Sven Giegold

Handelsblatt: Blauer Brief für Mario Draghi

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Handelsblatt 19.12.2013

Bankenaufsicht: Blauer Brief für Mario Draghi

EU-Parlamentarier fordern vom Chef der Europäischen Zentralbank klare Auskunft zur Bankenaufsicht.

DORIT HESS, FRANKFURT. Anfang Dezember bekam Mario Draghi unerfreuliche Post. Absender war eine Dame, die für den Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) keine Unbekannte ist: Sharon Bowles. Bereits zum zweiten Mal hat die Vorsitzende des einflussreichen Wirtschaftsausschusses im EU-Parlament zur Feder gegriffen – weil sie mit seiner Antwort auf ihren ersten Brief nicht zufrieden war.

Die Parlamentarier um Bowles sehen sich von Draghi unzureichend informiert über das wichtigste Projekt der EZB – die europäische Bankenaufsicht. Die neue Behörde nimmt im November 2014 ihre Arbeit unter dem Dach der EZB in Frankfurt auf. Dann werden die mächtigen Notenbanker noch mächtiger sein, weil sie fortan für Geldpolitik und Aufsicht verantwortlich sind.

In ihrem Brief vom 6. Dezember stellt die britische Liberale Bowles im Namen der Parlamentarier dem italienischen Notenbankchef auf drei Seiten zehn Fragen mit diversen Unterfragen. „Einige der Fragen sind nicht vollständig beantwortet“, schreibt sie und fordert unter anderem ein Organigramm der Aufsichtsstruktur ein. Draghi habe zwar in seinem Brief einen Überblick gegeben – „aber wir wollen das komplette Bild“.

So bemängeln die Parlamentarier, dass die EZB bislang mit einer Rechts- und mit einer Personalabteilung für künftig zwei Zweige im Haus plane. Ihnen geht die Trennung der Bereiche Aufsicht und Geldpolitik nicht weit genug.

Zudem wollen sie wissen, ob die Notenbank bestätigen könne, dass sie mit den künftig von ihr beaufsichtigten Banken auf Englisch kommunizieren wolle. Und: „Wie will die EZB sicherstellen, dass alle kleineren Banken mit der EZB in ihrer eigenen Sprache kommunizieren können?“, fragen sie. In Bezug auf den laufenden Bilanz-Tüv der EZB haken sie nach, wie die Notenbank in dem dreistufigen Verfahren die Risiken der Engagements in Staatsanleihen berücksichtigen will.

Für Draghi sind solche drängenden Fragen ungewohnt. Bislang war die EZB in ihrer Rolle als Notenbank bewusst der parlamentarischen Kontrolle entzogen – um sicherzustellen, dass sie nicht auf politischen Druck agiert. Einmischungen des Parlaments könnten die Unabhängigkeit der EZB gefährden.

Doch nun untersteht die Bankenaufsicht bei der EZB der Kontrolle der Parlamentarier. Diese Rechenschaftspflicht ist für die EZB ein echter Balanceakt. Denn sollten beispielsweise Details über den Kapitalbedarf eines Finanzinstituts in die Öffentlichkeit gelangen, könnte das Banken destabilisieren.

Dass die Volksvertreter dennoch so vehement auf Transparenz pochen können, liegt an dem Kompromiss über Kontrollrechte, den sie im September mit EZB-Vertretern erzielt hatten. Diesen Kompromiss hatten die Parlamentarier als großen Erfolg gefeiert. „Wir haben Transparenz bei der EZB-Bankenaufsicht durchgesetzt“, hatte der Grünen-Parlamentarier Sven Giegold damals gesagt.

Die EZB reagiert auf die Vorwürfe mit dem Hinweis auf mangelnde Zeit: „Wir arbeiten an den Antworten.“ Aufgrund der Fülle der Aufgaben seien manche Entscheidungen schlicht noch nicht getroffen. Innerhalb von nur einem Jahr muss die EZB eine neue Behörde mit rund 1 000 Beschäftigten aufbauen. Im Januar könne Bowles mit Antwort von Draghi rechnen, heißt es aus der EZB.

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Der erste Antwortbrief von Mario Draghi mit den unvollständigen Antworten: MD-13-665 Sharon Bowles on SSM

Der zweite Brief unserer Arbeitsgruppe an die EZB: D62781 – Draghi – ECB responses to the EP questions on the SSM preparati…

Rubrik: Wirtschaft & Währung

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