Erleichterungen für Versicherer stoßen auf Widerstand
Die EU-Kommission will der Branche entgegenkommen und das neue Aufsichtsrecht entschärfen. Europa-Parlamentarier wehren sich dagegen.
Michael Detering Berlin Die Kritik an den neuen Aufsichtsregeln für die Versicherer wird lauter. „Die Europäische Kommission zieht die falschen Lehren aus der Krise“, sagte Sven Giegold, der finanzpolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament, dem Handelsblatt. Anstatt aus der Schuldenkrise zu lernen und die Regeln zu verschärfen, würden sie weiter aufgeweicht.
Die EU-Kommission plant, eine Krisenklausel in das neue Aufsichtsrecht Solvency II einzubauen, die den Rückstellungsbedarf der Versicherer bei Krisen an den Finanzmärkten verringern soll („Counter-Cyclical Premium“). Da die Versicherer ihre Kapitalanlagen langfristig halten, seien kurzfristige Schwankungen bei den Marktwerten nicht entscheidend, lautet die Argumentation.
Bis Ende des Monats will die Kommission einen konkreten Vorschlag unterbreiten, sagte Karel van Hulle, Referatsleiter für Versicherungen bei der EU-Kommission, gestern auf einer Solvency- II-Tagung in Berlin. Das neue Aufsichtsrecht soll ab 2013 gelten.
Giegold betont, dass das neue Vorhaben noch nicht den Segen des EU-Parlaments hat. „Dieser Vorschlag darf so nicht umgesetzt werden“, sagt Giegold. Er kann sich eine solche Regelung nur in Ausnahmefällen vorstellen, über die die Aufsichtsbehörde dann fallweise entscheiden müsste.
Auch anderswo gibt es noch Diskussionsbedarf: Schon seit längerem kritisieren Experten, dass Solvency II das Risiko von Staatsanleihen ausblendet. Während die Versicherer etwa für Aktien oder Bank- und Unternehmensanleihen Kapital vorhalten müssen, ist dies bei europäischen Staatsbonds nicht der Fall. Rolf Wenzel, Abteilungsleiter im Bundesfinanzministerium, verteidigte dies gestern. Eine Kapitalunterlegung entsprechend dem Rating eines Landes sei keine Alternative, so Wenzel. „Dadurch würde der Einfluss der Ratingagenturen weiter steigen, und ich stelle die rhetorische Frage, ob das gewollt ist.“
Jörg Schneider, Finanzvorstand von Munich Re, geht hingegen davon aus, dass auch Staatsanleihen künftig mit Kapital unterlegt werden müssen. „Früher oder später wird das kommen, und aus Risikosicht ist das auch sinnvoll“, sagte Schneider am Rande der Tagung. Sonst gebe es den Anreiz, in riskante Staaten zu investieren. Allerdings müsste nicht nur das Aufsichtsrecht für Versicherer, sondern auch für die Banken geändert werden. Um auf der sicheren Seite zu sein, würde die Munich Re in ihren Risikomodellen bereits Staatsanleihen mit Kapital unterlegen, sagte Schneider.
Erschienen im Handelsblatt vom 18.10.2011