Sven Giegold

Handelsblatt: Stresstest für Sabine Lautenschläger

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Handelsblatt, 9.1.2014, Seite 1:

EUROPÄISCHE ZENTRALBANK

Stresstest für Sabine Lautenschläger

Die designierte EZB-Direktorin muss sich den Fragen der EU-Parlamentarier stellen.

Der Wechsel von Bundesbank-Vize Sabine Lautenschläger in das Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) könnte schneller erfolgen als erwartet: Bereits am Montagabend findet vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments eine Anhörung statt – der ein positives Votum folgen dürfte. Formal müssen dann noch die Staats- und Regierungschefs zustimmen.

Der finanz- und wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament, Sven Giegold, rechnet fest damit, „dass das Parlament Sabine Lautenschläger akzeptieren wird“. Sie könne zwar vor der Anhörung nicht über Kandidaten spekulieren, sagte die Ausschussvorsitzende Sharon Bowles dem Handelsblatt. Aber es würde „allen gefallen, wenn Frauen nicht länger übersehen würden“. Ihre Kollegen und sie hätten immer gewusst, dass es eine Fülle von Frauen mit Talent und Erfahrung gebe. „Ich bin zuversichtlich, dass sich das am Montag zeigen wird“, sagte sie. CDU-Europaparlamentarier Burkhard Balz hat ein „Wohlwollen quer durch die Fraktionen ausgemacht, weil hier eine sehr qualifizierte Frau vorgeschlagen wird“.

Die Anhörung dürfte für Lautenschläger dennoch keine leichte Aufgabe werden: Die Parlamentarier haben ihr vorab eine Liste mit 45 Fragen geschickt, deren Beantwortung sie vor der Anhörung erwarten. Der komplexe Fragenkatalog liegt dem Handelsblatt vor. Ein überzeugendes Auftreten ist für Lautenschläger wichtiger als für frühere Anwärter auf einen Posten im EZB-Direktorium: Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass sie Vizechefin der Bankenaufsicht werden soll – wofür die Zustimmung des Parlaments erforderlich ist. Dorit Heß, Yasmin Osman

 

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Der Lackmustest

Die EU-Parlamentarier wollen Bundesbank-Vizepräsidentin Lautenschläger am Montag mit harten Fragen löchern. Noch im Januar könnte sie zur EZB wechseln. Parlamentarier haben 45 Fragen vorbereitet.

DORIT HES FRANKFURT. Sabine Lautenschläger ist eine selbstbewusste Frau. Sie weiß, was sie will. Sie weiß, was sie kann. Doch am kommenden Montag steht für die Bundesbank-Vizepräsidentin ein Termin an, der ihr größten Respekt abnötigt.

Lautenschläger muss vor dem Europäischen Parlament in Straßburg um 19 Uhr Rede und Antwort stehen. Sie muss Rechenschaft darüber ablegen, was sie dafür qualifiziert, als Nachfolgerin von Jörg Asmussen in das Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) einzuziehen.

Die Befragung der Abgeordneten ist die schwierigste Hürde, die die 49-jährige Juristin noch überwinden muss, bevor sie zur EZB wechseln und möglicherweise sogar Vizechefin der dort ab November angesiedelten Bankenaufsicht werden kann. Die EU-Finanzminister haben bereits am Dienstag für Lautenschläger gestimmt. Das positive Votum der EZB wird noch in dieser Woche erwartet.

Die öffentlichen Anhörungen im EU-Parlament gelten als unberechenbar und dauern oft sehr lange. Bereits am Dienstag haben die Abgeordneten der Bundesbank eine Liste von 45 Fragen zugesandt, deren schriftliche Beantwortung sie vor der Anhörung zurückerwarten. Die Fragen liegen dem Handelsblatt vor (siehe „Fragenkatalog der Parlamentarier“).

Vor allem geht es um Geldpolitik: „Wie beurteilen Sie die stark unterschiedlichen Kreditkonditionen innerhalb der Euro-Zone, wie sollte die EZB darauf reagieren?“ Eine Antwort erwarten die Parlamentarier aber auch auf die Frage: „Was sind Ihre wichtigsten Ziele, die Sie während Ihres Mandats bei der EZB erreichen wollen?“ Mit Interesse wird man vor allem in den europäischen Hauptstädten Lautenschlägers Antwort auf die Frage lesen, welche weiteren politischen Maßnahmen sie für notwendig halte, um die Euro-Krise zu überwinden.

Die Beantwortung der Fragen verlangt fachliches Wissen und diplomatisches Fingerspitzengefühl. Die Abgeordneten scheinen dies der Bundesbankvizechefin zuzutrauen – prinzipiell stehen sie ihr wohlgesinnt gegenüber. „Ich habe bislang nicht viel Kritik an Frau Lautenschläger gehört“, sagt Sven Giegold, Finanzexperte der Grünen im Europaparlament. Er schätze sie vor allem wegen ihrer „strengen und unnachgiebigen Haltung gegenüber den Banken“. Und die Vorsitzende des einflussreichen Ausschusses sieht sich bestätigt, dass es „eine Fülle von Frauen mit Talent und Erfahrung gibt“. Das werde die Anhörung am Montag zeigen, erwartet die liberale Britin Sharon Bowles. Und der EU-Parlamentarier der CDU, Burkhard Balz, geht „von einem Grundwohlwollen quer durch die Fraktionen aus, weil hier eine sehr qualifizierte Frau vorgeschlagen wird“.

Die Vorschusslorbeeren sind viel wert, garantieren aber noch keinen reibungslosen Verlauf der Anhörung. Immerhin stellen sich für das EU-Parlament gleich mehrere entscheidende Fragen: Kann Lautenschläger im EZB-Direktorium die Rolle von Asmussen ausfüllen, der über jahrelange Erfahrungen im internationalen Krisenmanagement verfügt, zunächst als Finanzstaatssekretär, dann als „Außenminister“ der EZB? Welche geldpolitische Position vertritt Lautenschläger? Steht sie auf der Seite von Bundesbank-Chef Jens Weidmann, der kaum einen Konflikt scheut, um für seine stabilitätsorientierte Linie im EZB-Rat zu kämpfen? Oder ist sie eher geldpolitische Pragmatikerin wie EZB-Chef Mario Draghi? Auf diese Fragen könnte es bei der Anhörung am Montag Antworten geben.

Die Abgeordneten wollen auch mehr über den persönlichen und beruflichen Hintergrund Lautenschlägers erfahren. Sie fragen nach den wichtigsten Entscheidungen ihres beruflichen Lebens. Und sie wollen wissen, ob sie geschäftliche oder finanzielle Verbindungen oder andere Verpflichtungen habe, die in Konflikt zu ihrer neuen Tätigkeit stehen könnten.

Von Lautenschläger sind klare Aussagen zu erwarten – dafür ist sie bekannt, vor allem in Bezug auf Fragen zur Bankenaufsicht: „Die Stresstests sollten streng ausfallen – also auch die unterschiedliche Bonität von Staatsanleihen berücksichtigen“, sagte sie jüngst im Handelsblatt-Interview. Solche Aussagen sind im EU-Parlament populär.

Über ihre geldpolitische Überzeugung aber weiß man so gut wie nichts, obwohl sie als Vizepräsidentin zusammen mit Weidmann alle geldpolitischen Entscheidungen vorbereitet hat. Doch am Montag muss sie auch zur Geldpolitik Farbe bekennen. Die EU-Abgeordneten fragen sie, wann aus ihrer Sicht der richtige Zeitpunkt für die EZB sei, aus den unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen auszusteigen. Sie wollen wissen, welche Rolle Ratings von Staatsanleihen in Bezug auf die EZB-Politik spielen sollten.

Wie Lautenschläger sich auf die Fragestunde, die auf eineinhalb Stunden angesetzt ist, vorbereitet, will sie nicht verraten. Die Bundesbank sagt nur: „Kein Kommentar.“ Wer Lautenschläger kennt, weiß: Sie wird viel lesen und mit den Experten der Bundesbank sprechen. Ihre Vorbereitung wird gründlich sein, die Abende bis Montag werden arbeitsreich und die Nächte kurz sein.

Ein Vetorecht beim Einzug Lautenschlägers in das EZB-Direktorium haben die Parlamentarier zwar nicht. Trotzdem ist die Akzeptanz der Volksvertreter für die Kandidatin von höchster Bedeutung. Denn bei ihrer möglichen Ernennung zur Vizechefin der europäischen Bankenaufsicht müsste sie erneut vor die Abgeordneten treten. Und dabei hat das Parlament sehr wohl ein Vetorecht. Die jetzige Anhörung ist für Lautenschläger daher auch eine Generalprobe.

 

VITA SABINE LAUTENSCHLÄGER

Die Bundesbankerin Sabine Lautenschläger ist seit Juni 2011 Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank. Ihr Verantwortungsbereich umfasst Revision, Banken und Finanzaufsicht. Zudem begleitet die 49-Jährige Bundesbank-Präsident Jens Weidmann in die Sitzungen des EZB-Rats.

Die Bankenaufseherin Die Juristin ist Mitglied des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht und des Ausschusses für Finanzstabilität des Bundesfinanzministeriums. Bei der Finanzaufsicht Bafin war die Stuttgarterin zuvor Chefin der Aufsicht über Großbanken und zuletzt Exekutivdirektorin für die Bankenaufsicht.

 

AUSZÜGE AUS DEM FRAGENKATALOG DER EU-PARLAMENTARIER

Persönliches

Was war die wichtigste Entscheidung, die Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn getroffen haben?
Gehen Sie irgendwelchen geschäftlichen Tätigkeiten nach, oder haben Sie irgendwelche anderen Verpflichtungen, die im Konflikt mit Ihrem Mandat bei der EZB stehen könnten?
Was sind Ihre wichtigsten Ziele, die Sie während Ihres Mandats bei der EZB erreichen wollen?

Geldpolitik 
Wie beurteilen Sie die stark unterschiedlichen Kreditkonditionen innerhalb der Euro-Zone, wie sollte die EZB darauf reagieren?
Glauben Sie, dass sich die Banken zu sehr auf die Liquidität der EZB verlassen?
Wie sehen Sie die Rolle der EZB beim European Stability Mechanism (Rettungsfonds ESM), und welche Herausforderungen kommen auf die EZB zu?

EU-Wirtschaftspolitik
Welche weiteren politischen Maßnahmen sind notwendig, um die Euro-Krise zu überwinden?
Was halten Sie von einer Finanztransaktionssteuer?
Wie beurteilen Sie die jüngste Entwicklung des Euro-Dollar-Kurses?
Wie beurteilen Sie die jüngste Entwicklung des Euro-Renminbi-Kurses?
Glauben Sie, Zentralbanken sind in der Lage, gegen starke Volatilitäten bei den Wechselkursen anzukämpfen?
Wie beurteilen Sie die Erfolge der G20? Reicht die derzeitige Koordinierung?

Finanzstabilität und Aufsichtsfragen 
Wie könnten die Wettbewerbsverzerrungen, die infolge der Rettungsaktionen durch die Regierungen und die Notenbanken entstanden sind, beseitigt werden?
Wie könnten die Finanzinstitute davon abgehalten werden, zu große Risiken einzugehen?
Was halten Sie von der derzeitigen Regulierung des Schattenbankensystems?

Transparenz- und Legitimitätsfragen
Welche Art von Beziehung zum privaten Finanzsektor würde Ihrer Meinung nach einen Interessenkonflikt für ein Ratsmitglied der EZB darstellen?
Welche Schlussfolgerungen würden Sie bei einem Vergleich der Transparenzpflichten von EZB und der US-Notenbank Fed ziehen? Glauben Sie, eine Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle des EZB-Rats nach Vorbild der Fed oder der Bank of England wäre sinnvoll?
Was halten Sie von dem Dialog zwischen Parlament und EZB?
Sollten EZB-Ratsmitglieder mit Parlamentariern über geldpolitische Fragen diskutieren, oder würde das deren Unabhängigkeit gefährden?

Rubrik: Wirtschaft & Währung

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