Sven Giegold

Handelsblatt: Wann zahlt der Steuerzahler?

Handelsblatt, 23.04.2014

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Wann zahlt der Steuerzahler?

Die EU-Kommission und die EZB streiten um die Finanzierung von Hilfen für kapitalschwache Banken.

Bei Pleiten haften Gläubiger und Eigner der Institute.

  • Unklar sind Lücken, die der EZB-Stresstest aufdeckt.

Ruth Berschens, Dorit Heß, Jan Hildebrand / Brüssel, Frankfurt, Berlin. Wolfgang Schäuble (CDU) beschwört den Paradigmenwechsel. „Haften sollen zunächst die Eigentümer und Bankgläubiger“, preist der deutsche Finanzminister seit Monaten den zentralen Grundsatz der europäischen Bankenunion. Dadurch würden „die Steuerzahler so gut wie möglich geschützt“. Dieses sogenannte Bail-in ist der wahrscheinlich wichtigste Baustein der EU-Richtlinie zur Bankensanierung und -abwicklung.

Doch für das gerade eingeführte Prinzip droht Gefahr von höchster Stelle. So soll es für Kapitallücken, die beim bevorstehenden Stresstest durch die Europäische Zentralbank (EZB) entdeckt werden, Ausnahmen geben. Treibende Kraft ist die EZB-Bankenaufsicht mit ihrer Chefin Danièle Nouy.

Die EZB übe in dieser Sache Druck auf die EU-Kommission aus, bestätigten mehrere hochrangige EU-Diplomaten dem Handelsblatt. Auf europäischer Ebene wird derzeit darüber verhandelt, wie die Abwicklungsrichtlinie bei der Bankenüberprüfung (Comprehensive Assessment) angewendet wird. Die EZB wolle das künftig geltende Bail-in-Prinzip in bestimmten Fällen abschwächen. Sie sorge sich vor allem um die Finanzmarktstabilität, heißt es zur Begründung von Verhandlungsteilnehmern. Deshalb wolle sie im Zweifel eher Steuerzahler als Bankengläubiger heranziehen.

Offiziell weist die EZB solche Pläne zurück. „Wenn die EZB im Rahmen des Comprehensive Assessment Kapitalbedarf bei einer Bank feststellt, dann muss dieser zuerst aus privaten Mitteln gedeckt werden“, heißt es. „Nur wenn diese Möglichkeit gänzlich ausgeschöpft ist, kann über den Einsatz öffentlicher Mittel nachgedacht werden.“

Auf Nachfragen, wann die Bedingungen erfüllt sind, bleibt die Zentralbank schwammig. Dabei sind gerade diese Details strittig – sie bieten die Hintertür für Staatshilfen.

Schon im Juli hatte EZB-Präsident Mario Draghi in einem Brief an EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia gefordert, die Vorschriften zur Gläubigerbeteiligung beim Stresstest flexibel zu handhaben. Prinzipiell schreibt die EU-Richtlinie vor, dass Gläubiger und große Einleger erst acht Prozent der Bilanzsumme zu den Verlusten beitragen müssen, bevor der Staat einspringen darf. Die Regel soll in zwei Stufen ab 2015 und voll ab 2016 gelten.

Allerdings gibt es eine Ausnahme: „Vorsorgende“ staatliche Beihilfen sind erlaubt, wenn eine Bank noch lebensfähig ist und gerettet werden kann.

Die vorsorgende Rekapitalisierung fällt nicht unter die Abwicklungsrichtlinie mit dem strengen Bail-in-Grundsatz, sondern unter EU-Beihilferecht. Das schreibt eine laxere Gläubigerbeteiligung vor. Allerdings stellt Brüssel dafür strenge Bedingungen. Sie sind in einem elfseitigen Arbeitsdokument der Kommission aufgelistet, das dem Handelsblatt vorliegt. Unter anderem dürfen die vorsorglichen Hilfen „nicht dazu genutzt werden, um Verluste zu decken, welche das Institut bereits erwirtschaftet hat oder wahrscheinlich in naher Zukunft erwirtschaften wird“.

Um diesen Passus streiten EZB und Kommission offenbar. Hintergrund: Der Stresstest wird zwei Szenarien haben – ein Basis-Szenario unter normalen ökonomischen Bedingungen und ein ungünstiges Szenario. Die EU-Kommission meint, dass es beim Basis-Szenario keine vorsorgliche Staatshilfe geben darf – schließlich ist der Eintritt wahrscheinlich. Und dass die Bank schon unter freundlichen Rahmenbedingungen in Kapitalnot geraten könnte, spricht nicht für ihren Gesundheitszustand.

Trotzdem soll die EZB dafür plädieren, dass Kapitalhilfen auch bei Lücken im Basis-Szenario möglich sind. Dafür habe sich Aufsichtschefin Nouy bei einer Sitzung des Wirtschafts- und Finanzausschusses am 25. März in Brüssel starkgemacht, wird in Teilnehmerkreisen berichtet. „Kein Kommentar“, heißt es dazu von der EZB. Auf die Frage, ob sie eine vorsorgliche Rekapitalisierung im Basis-Szenario wie die Kommission ablehne, teilt sie mit: „Wir erörtern derzeit mit der Kommission die Anwendung des bestehenden Rechts auf das Comprehensive Assessment. Wir haben keinen Zweifel daran, dass wir dabei ein gegenseitiges Einvernehmen erzielen.“

Sven Giegold, Europa-Abgeordneter der Grünen, kritisiert: „Frau Nouy hat öffentlich für eine Gläubigerbeteiligung an den Abwicklungskosten plädiert und betreibt jetzt hinter den Kulissen das Gegenteil. Damit macht sich die neue EZB-Bankenaufsicht unglaubwürdig.“ Auch in der Bundesregierung ist man vom Vorstoß aus Frankfurt nicht angetan. Schäuble habe beim informellen EU-Finanzministerrat Anfang April in Athen betont, dass er die EU-Kommission beim Streit über die Gläubigerbeteiligung voll und ganz unterstütze, hieß es in Teilnehmerkreisen.

Allerdings hat auch die EZB Unterstützer. In Kreisen der Kommission werden unter anderem Frankreich und Italien genannt. Die Gegner einer strikten Gläubigerbeteiligung haben eine weitere Hintertür: Bis Ende 2014 gilt die neue Richtlinie noch nicht. Wenn die EZB also im Herbst die Ergebnisse verkündet, bleiben noch einige Wochen, Kapitalspritzen nach dem EU-Beihilferecht zu gewähren.

 

Handelsblatt, 23.04.2014

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Die Rückkehr der Marktwirtschaft

Eine Haftungs-Rangfolge soll dafür sorgen, dass Großbanken ihre Verluste künftig nicht mehr beim Staat abladen können.

Ruth Berschens, Brüssel. Die Bankenkrise von 2008 kennt vor allem ein Opfer: den Steuerzahler. Die Mitgliedstaaten der EU stellten insgesamt 3,2 Billionen an Kapitalhilfen und Bürgschaften bereit, um ihre Geldhäuser zu retten. In Deutschland waren es rund 250 Milliarden Euro. Experten schätzen, dass davon bis zu 70 Milliarden Euro beim Staat hängen bleiben. Die Banken luden diese Verluste also bei allen Bundesbürgern ab, statt ihre Aktionäre und Gläubiger dafür zur Kasse zu bitten. Das marktwirtschaftliche Haftungsprinzip wurde ausgehebelt.

Das soll künftig nicht mehr möglich sein. Die Marktwirtschaft und ihre Grundsätze sollen in die Finanzbranche zurückkehren: Wer Gewinne einstreichen will und dafür Risiken eingeht, der soll auch die Verluste tragen. So steht es in der neuen EU-Bankenabwicklungsrichtlinie. Mitgliedstaaten, Europaparlament und EU-Kommission hatten sich Ende 2013 auf das Regelwerk geeinigt.

Wenn eine Bank zusammenbricht, soll der Richtlinie zufolge ab 2016 eine Haftungskaskade (Bail-in) gelten: Zuerst werden die Eigentümer, also die Aktionäre, zur Kasse gebeten. Dann müssen die Gläubiger zahlen, und zwar zuerst diejenigen, die nachrangige Anleihetranchen (Junior) halten, dann die mit vorrangigem Status (Senior). Zum Schluss werden Personen und Institutionen mit Spareinlagen bei dem Institut von mehr als 100 000 Euro herangezogen. Konten bis zu 100 000 sind gesetzlich geschützt und bleiben daher immer verschont.

Damit sind erneute staatliche Hilfen für Banken aber nicht ausgeschlossen. Zum einen wurde der Kostenbeitrag von Eigentümern, Gläubigern und Einlegern auf acht Prozent der Bilanzsumme begrenzt. Zum anderen bleiben „präventive“ staatliche Beihilfen erlaubt – allerdings nur unter bestimmten Bedingungen. Und darum wird in Brüssel nun gerungen.

Die Hintertür zur staatlichen Beihilfe ist nicht nur für sanierungsbedürftige Geldhäuser bedeutend. Auch gesunde Banken profitieren davon: Sie können sich billiger refinanzieren, wenn der Staat als letzte Rettungsinstanz zur Verfügung steht. Dieser Aspekt scheint vor allem für Frankreich bedeutend zu sein, wo vier Großbanken ihren Sitz haben. Die Pariser Regierung kämpfte in Brüssel vehement gegen eine strenge Gläubigerhaftung. Dass nun die französische Chefin der EZB-Bankenaufsicht, Danièle Nouy, dasselbe tut, ist womöglich kein Zufall.

 

 

Rubrik: Wirtschaft & Währung

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