Sven Giegold

Historische Entscheidung des EU-Parlaments für Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn

Soeben hat das Europäische Parlaments zum ersten Mal einen Bericht beschlossen, um dem Rat formell ein Verfahren nach Artikel 7 EU-Vertrag wegen Verletzung der europäischen Werte durch einen Mitgliedstaat vorzuschlagen. Grüne, Sozialdemokraten, Liberale, Linke und die Mehrheit der Christdemokraten sowie die italienische Fünf-Sterne-Bewegung haben für den Bericht gestimmt (448 Ja-Stimmen). Gegen den Bericht gestimmt hat eine fragwürdige Allianz der restlichen Christdemokraten, vor allem von Viktor Orbans Fidez, sowie der Rechtskonservativen und der Rechtspopulisten inklusive der AfD (197 Nein-Stimmen). Der Bericht der Grünen Berichterstatterin des Parlaments, Judith Sargentini aus den Niederlanden, dokumentiert den Verfall von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Ungarn mit Veröffentlichungen internationaler Organisationen und Gerichte. Die wichtigsten Vorwürfe betreffen die Einschränkungen der Gewaltenteilung, vor allem des Verfassungsgerichts, mangelhafte Transparenz der Parteien- und Wahlkampffinanzierung, Korruption, Einschränkungen der Medienfreiheit und der Redefreiheit.

 

Nun muss der Rat der Mitgliedstaaten entscheiden, ob er der Empfehlung des Europaparlaments zur Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 7 EU-Vertrag folgt. Das Verfahren kann bis zum Entzug des Stimmrechts Ungarns im Rat führen. Die EU-Kommission prüft außerdem Folgen für den Bezug von EU-Fördermitteln.

 

Dazu sagt der Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament, Sven Giegold:

 

“Das ist eine historische Entscheidung. Ein Konsens der Demokraten. Bei Rechtsstaatlichkeit und Demokratie darf es in Europa keine Kompromisse geben. Das Europaparlament zeigt klare Kante für Europas Grundwerte. Dem bedrohlichen Verfall von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Ungarn wollen wir nicht tatenlos zusehen. Die Entscheidung ist ein wichtiges Signal an die Demokraten und Europafreunde in Ungarn. Es ist gut, dass ausreichend Abgeordnete über ihren parteipolitischen Schatten gesprungen sind.

 

Es ist das richtige Zeichen, dass eine Delegation des Innenausschusses des Europaparlaments schon nächste Woche Malta und die Slowakei besucht. In der nächsten Plenarsitzung wird der Abbau der Rechtsstaatlichkeit in Rumänien im Plenum diskutiert. Liberale und Sozialdemokraten in Rumänien oder Sozialdemokraten in Malta und der Slowakei müssen die Klarheit des Europaparlaments genauso spüren wie die Christdemokraten in Ungarn.

 

Ich freue mich mit Judith Sargentini über diesen Erfolg. Der Bericht zeigt schwarz auf weiß, welchen Demokratieverächter Bayerns Ministerpräsident Söder oder Innenminister Seehofer beklatschen. CSU-Politiker Seehofer und Söder sollten sich an ein Beispiel an ihrem Parteikollegen Weber nehmen. Sie dürfen nicht weiter gemeinsame Sache mit Orban machen. Das Schweigen von Merkel gegenüber Orbán muss ein Ende haben.”

 

Sie finden das Ergebnis der namentlichen Abstimmung in Kürze auf www.sven-giegold.de sobald die genauen Daten veröffentlicht sind.

 

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HINTERGRUND: Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union

 

“(1) Auf begründeten Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments oder der Europäischen Kommission kann der Rat mit der Mehrheit von vier Fünfteln seiner Mitglieder nach Zustimmung des Europäischen Parlaments feststellen, dass die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der in Artikel 2 genannten Werte durch einen Mitgliedstaat besteht. Der Rat hört, bevor er eine solche Feststellung trifft, den betroffenen Mitgliedstaat und kann Empfehlungen an ihn richten, die er nach demselben Verfahren beschließt.

Der Rat überprüft regelmäßig, ob die Gründe, die zu dieser Feststellung geführt haben, noch zutreffen.

 

(2) Auf Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten oder der Europäischen Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments kann der Europäische Rat einstimmig feststellen, dass eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der in Artikel 2 genannten Werte durch einen Mitgliedstaat vorliegt, nachdem er den betroffenen Mitgliedstaat zu einer Stellungnahme aufgefordert hat.

 

(3) Wurde die Feststellung nach Absatz 2 getroffen, so kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit beschließen, bestimmte Rechte auszusetzen, die sich aus der Anwendung der Verträge auf den betroffenen Mitgliedstaat herleiten, einschließlich der Stimmrechte des Vertreters der Regierung dieses Mitgliedstaats im Rat. Dabei berücksichtigt er die möglichen Auswirkungen einer solchen Aussetzung auf die Rechte und Pflichten natürlicher und juristischer Personen.

Die sich aus den Verträgen ergebenden Verpflichtungen des betroffenen Mitgliedstaats sind für diesen auf jeden Fall weiterhin verbindlich.

 

(4) Der Rat kann zu einem späteren Zeitpunkt mit qualifizierter Mehrheit beschließen, nach Absatz 3 getroffene Maßnahmen abzuändern oder aufzuheben, wenn in der Lage, die zur Verhängung dieser Maßnahmen geführt hat, Änderungen eingetreten sind.

 

(5) Die Abstimmungsmodalitäten, die für die Zwecke dieses Artikels für das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat gelten, sind in Artikel 354 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union festgelegt.”

 

Zur erforderlichen Mehrheit aus Artikel 354 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union:

 

“Für die Zwecke des Artikels 7 des Vertrags über die Europäische Union beschließt das Europäische Parlament mit der Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und mit der Mehrheit seiner Mitglieder.”

Rubrik: Demokratie & Lobby

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