Sven Giegold

In der Presse: Defizitsünder Ungarn duckt sich weg

Financial Times Deutschland vom 13.04.2011

Defizitsünder Ungarn duckt sich weg

Sparprogramm steht aus // Grüne vermuten Vorzugsbehandlung für EU-Präsidentschaft

Peter Ehrlich, Brüssel

Die EU-Kommission und der Interna-tionale Währungsfonds (IWF) verlan-gen von Ungarn stärkere Reformanstrengungen, damit das Land dauerhaft unter ein Haushaltsdefizit von 3,0 Prozent des Bruttoinlandspro-dukts (BIP) kommt. Die Reformen müssten umfassend und schnell erfolgen, damit das Defizit nachhaltig korrigiert werde, erklärte Haushaltskommissar Olli Rehn. Auch der IWF verlangte in dieser Woche mehr Klarheit über das Budget 2012. Dahinter stehen Zweifel, ob sich das Land tatsächlich an die Vorgaben von EU und IWF hält. Ungarn hatte 2008 und 2009 Zahlungsbilanzhilfen in Höhe von 5,5 Mrd. Euro von der EU sowie Kredite vom IWF erhalten.

Das Land steht aber als Nicht-Euro-Land viel weniger im Blickpunkt der Öffentlichkeit als Griechenland, Irland und Portugal. Ungarn hatte sich im Gegenzug für die Ende 2010 ausgelaufenen Hilfen verpflichtet, sein Defizit zu verringern und bereits 2011 unter drei Prozent zu senken. Tatsächlich soll es im laufen-den Jahr sogar einen Überschuss von zwei Prozent geben, weil Sondersteuern und eine Überführung von Geldern privater Pensionsfonds in den öffentlichen Haushalt einmalig Geld in die Kasse spülen. In ungarischen Medien wurden aber bereits Zweifel laut, ob bei Herausrechnung der Einmaleffekte das Drei-Prozent-Ziel erreicht wird. Das ungarische Finanzministerium geht von einem Defizit vor den Sondermaßnahmen in Höhe von 2,94 Prozent aus. Die Kommission warnte, dass die Sondersteuern für Sektoren wie Ein-zelhandel und Telekommunikation nicht gut für das Investitionsklima seien. Konzerne aus Deutschland und anderen EU-Staaten hatten die Zusatzbelastung als Diskriminierung ausländischer Investoren abgelehnt. Die Steuern sind bis 2012 befristet.

Ab 2012 muss Ungarn außerdem die Hilfskredite zurückzahlen. Damit würde das Defizit wieder steigen, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Ungarn hätte eigentlich schon im Herbst ein neues Spar- und Reformprogramm vorlegen müssen. Bereits im Juni 2010 wurde das Land per EU-Finanzministerbeschluss aufgefor-dert, konkrete Maßnahmen zu benennen, mit denen das Haushaltsziel erreicht werden soll. Der bisher angekündigte Szell-Kalman-Plan sei zwar gut, aber zu unkonkret, meinen Kom-mission und IWF.

In Sitzungen zur Vorbereitung der Finanzministertref-fen gab es Ratskreisen zufolge deshalb schon mehrfach harte Kritik an der ungarischen Regierung. Trotzdem bekam das Land jetzt wieder Zeit bis Mitte Mai für seine Detailplanung. Der mit Zweidrittelmehrheit regierende Ministerpräsident Viktor Orban hatte lieber Wahlversprechen erfüllt, als seinen Bürgern neue Sparprogramme zuzumuten.

Der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold kritisierte, Kommission und Finanzministerrat seien gegenüber der amtierenden Ratspräsidentschaft viel zu zurück-haltend. „Es ist beschämend, dass Rat und Kommission nicht in der Lage sind, für die Einhaltung der Regeln zu sorgen“, sagte Giegold. „Das ist das alte Lied: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“ Aus Sicht der Kommission und des Währungsfonds muss das Land einen Restrukturierungsplan für die Staatsfirmen im Transportsektor vorlegen und die Ausgaben von Gemeinden und Regionen besser kontrollieren.

Rubrik: Meine Themen, Wirtschaft & Währung

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