Sven Giegold

Kapitalmarktunion: Europäische Werte stärken statt kurzfristiger Shareholder Value

EU-Finanzmarktkommissar Jonathan Hill hat heute einen Vorschlag in Form eines Grünbuchs, für eine Kapitalmarkt-Union (CMU) vorgelegt. Damit gibt Kommissar Hill den Startschuss für das Vorhaben der EU-Kommission, einen tatsächlich grenzüberschreitenden Kapitalmarkt zu schaffen. Ziel ist es, Hürden für grenzüberschreitende Investitionen zu beseitigen. Außerdem plant die Kommission, die Rolle der Bankkredite in der Unternehmensfinanzierung zu verringern.

Den Grünbuch-Vorschlag für eine Kapitalmarkt-Union kommentiert Sven Giegold, finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament:

 

“Kommissar Hill sollte die Kapitalmarkt-Union nutzen, um auf diesem Weg die Finanzierung am Markt mit europäischen Werten zusammenzubringen. Europa braucht keinen Kapitalmarkt, der einseitig und kurzfristig auf Shareholder Value setzt.

Wirtschaftliche, ökologische und soziale Kriterien müssen zum Kompass für langfristig orientierte Investitionen im Finanzsektor werden. Dazu bietet die Kapitalmarktunion eine Chance. Solche Nachhaltigkeitskriterien müssen deshalb Eingang in Risikoanalysen, Geldanlageprodukte und Rating-Berichte finden.

Aus den Ideen der Kommission für Vereinfachungen am Kapitalmarkt kann ebenfalls Nützliches gedeihen: Einfache, europäisch normierte Finanzprodukte könnten Kleinanlegern mehr Durchblick verschaffen, geringere Gebühren ermöglichen und durch Vergleichbarkeit den Wettbewerb stärken. Wir begrüßen, dass Kommissar Hill sich dafür eingesetzt hat. Solange sichergestellt ist, dass der Verbraucherschutz weiterhin eine wichtige Rolle spielt, sind wir ebenso für Vereinfachungen bei simpel strukturierten Verbriefungen und bei Anlageprospekten zu haben. Auch die Harmonisierung von Kapitalmarkt-Regeln macht in Europa Sinn, wenn sie mit einer Stärkung der europäischen Aufsichtsbehörden ESMA, EBA und EIOPA einhergehen. Gerade der angestrebte europäischer Kapitalmarkt darf bei der Aufsicht von grenzüberschreitenden Akteuren und dem Verbraucherschutz nicht an hinterherhinken.

Trotz der Chancen, die eine europäische Kapitalmarkt-Union bietet, sollte niemand die Augen davor verschließen, dass insbesondere in Bereichen wie Steuer-, Insolvenz- und Bilanzrecht gewaltige Hindernisse für dieses Projekt stecken. Kommissar Hill hat ein dickes Brett vor sich, um hier zu Fortschritten zu kommen. Denn gerade hier gilt, dass nicht alles automatisch besser wird, wenn es europäisch vereinheitlicht wird. So brauchen wir aus Sicht europäischer Werte keine Ausweitung von IFRS.

Für gute und effiziente Finanzmärkte geht ein Tunnelblick auf den Kapitalmarkt in die Irre. Die starke Rolle der Banken als Vermittler zwischen Unternehmen und Kapital ist vor allem ein Vorteil: Kleine und mittlere Unternehmen konnten sich gerade zum Rückgrat unserer Wirtschaft entwickeln, wo sie auf langfristige Unterstützung und Kompetenz von realwirtschaftlich orientierter Banken verlassen konnten. Gerade Sparkassen, Förderbanken und Kreditgenossenschaften sind eine Stärke und kein Problem. Besonders Banken können das Informationsgefälle zwischen Unternehmen und Kapitalgebern bei kleinen Geldbeträgen schließen. Wie auch eine Kapitalmarktunion braucht Europa daher eine Initiative zur Gründung neuer lokaler Banken und Förderinstitute, deren Ziel ein öffentlicher oder gemeinwirtschaftlicher Auftrag ist und nicht Gewinnmaximierung. Kleine Institute leiden zudem übermäßig unter den Kosten der strikteren und komplexeren Regulierung. Die EU-Kommission sollte daher prüfen, ob kleine, konservativ wirtschaftende Banken sich für einen schlanken und einfachen aber auch harten Satz an Regeln entscheiden können.”

Rubrik: Wirtschaft & Währung

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