Heute hat die EU-Kommission die Revisionsvorschläge für zwei Buchhaltungsrichtlinien und die Transparenzrichtlinie vorgelegt (1). Die GRÜNEN begrüßen, dass mehr Transparenz für Zahlungen international tätiger Firmen geschaffen werden soll. Demnach sollen die Unternehmen in Zukunft eine Reihe von Zahlungen nach Ländern beziehungsweise Projekten aufgeschlüsselt offen legen, sofern sie in der Rohstoffindustrie oder der Wald- und Forstwirtschaft tätig sind. Dazu gehören vor allem in verschiedenen Ländern oder für unterschiedliche Projekte gezahlte Steuern auf Gewinne, Lizenzgebühren und Förderabgaben, ausgeschüttete Gewinne und verschiedene Prämien.
Neben Regierungen profitieren auch Investoren, Anteilseigner von Unternehmen und interessierte Akteure von mehr Transparenz. Damit sie die betriebswirtschaftliche Situation eines Konzerns wirklich nachvollziehen können, brauchen sie weitere Informationen als die bisher nicht nach Ländern aufgeschlüsselten Daten der Jahresberichte. Kleine und mittelständische Unternehmen sind vom Anwendungsbereich und damit den erweiterten Berichterstattungspflichten der Richtlinien nicht erfasst.
Sven Giegold, finanz-und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament kommentiert die Vorschläge:
Es ist an der Zeit, dass zumindest in der EU strengere Buchhaltungspflichten und Transparenzvorschriften eingeführt werden. Allerdings greift der vorgelegte Vorschlag noch zu kurz, um Steuerhinterziehung und Korruption einen Riegel vorzuschieben. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die länderbezogene Berichterstattung nur für die Unternehmen gelten soll, die in der Rohstoffindustrie und Wald- und Forstwirtschaft tätig sind. Viele Entwicklungsländer sind stark abhängig von ihrer Agrarwirtschaft und zunehmend von Industrie. Auch für diese müssen mehr Daten offen gelegt werden. Die Ausnahme für kleine und mittelständische Unternehmen ist hingegen sinnvoll.
Der Katalog von Kriterien, die offengelegt werden sollen, fällt viel zu knapp aus. Damit Regierungen erfolgreich gegen Steuerhinterziehung und Korruption vorgehen zu können, brauchen sie noch weitere Referenzdaten. Ohne Verkaufszahlen ist es zum Beispiel unmöglich nachzuvollziehen, wofür bestimmte Lizenzgebühren transferiert wurden.
Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Vorschläge im legislativen Verfahren noch gestärkt werden. Das Europaparlament hatte sich fraktionsübergreifend auf unsere Initiative hin für einen umfassenden Ansatz bei der länderbezogenen Berichterstattung eingesetzt. In Zukunft muss gelten, dass multinationale Unternehmen sich durch angemessene Besteuerung in allen Ländern und Regionen fair an den dort entstehenden Kosten beteiligen.
(1) Die Kommission schlägt vor zwei Buchhaltungsrichtlinien zusammenzufassen und die Transparenzrichtlinie zu überarbeiten.
Presseschau dazu:
Keine Steuerschlupflöcher für die Multis
EU-Parlament drängt Kommission zur Überarbeitung der Mutter-Tochter-Richtlinie
Das Themenfeld ist dasselbe geblieben, nur dieFront ist eine andere. Sven Giegold, anno 2000 Mitbegründer der deutschen Sektion des globalisierungskritischen Netzwerks Attac, sitzt seit 2009 für die Grünen im Europäischen Parlament. Attac steht in der deutschen Übersetzung des französischstämmigen Akronyms für »Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürger«. Als finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion setzt sich Giegold für ein Steuersystem ein, das den Staat in die Lage versetzt, seinen öffentlichen Aufgaben nachzukommen und den Unternehmen Anreize bietet, Gewinne produktiv zu reinvestieren, statt Vermögensverwaltung zu betreiben.
1980 betrug die Körperschaftsteuer, die Kapitalgesellschaften wie zum Beispiel Aktiengesellschaften im EU-Durchschnitt auf ihren Gewinn zu zahlen hatten, nominal noch astronomisch anmutende 44 Prozent, 1995 waren es immerhin noch 35 Prozent, 2010 noch spärliche 23,2 Prozent. Eine Entwicklung, der Einhalt geboten werden muss, meint Giegold, der die Federführung für den »Bericht zur Revision der Mutter-Tochter-Richtlinie« innehat. Die Richtlinie der EU-Kommission hat das Ziel, eine Doppel- oder Mehrfachbesteuerung von ausgeschütteten Gewinnen einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft zu vermeiden. Das hält der studierte Wirtschaftswissenschaftler zwar der Theorie nach für ein sinnvolles Anliegen, allerdings habe es mit der Steuerpraxis nichts zu tun. »Faktisch geht es darum, das System der Doppel-Nicht-Besteuerung zu durchbrechen«, meint Giegold, der moniert, dass multinationale Konzerne unter der geltenden Mutter-Tochter-Richtlinie verschiedene Steuersysteme innerhalb Europas gegeneinander ausspielen können. »So wie die Richtlinie derzeit gefasst ist, haben Tochtergesellschaften das Recht, Gewinne unversteuert ins Land der Mutter zu transferieren. Das Heimatland der Mutter hat dann die Wahl, die Gewinne unversteuert zu lassen oder sie auf die Gewinne der Mutter anzurechnen.« Fast alle Länder – auch Deutschland – verzichteten im Steuerwettlauf auf diese Nachbesteuerung. Die Konsequenz: Gewinne von Töchtern aus Niedrigsteuerländern werden steuerfrei in die Mutterländer der Konzerne mit höheren Steuern transferiert – quasi eine Doppel-Nichtbesteuerung. Und zuvor sorgedie kreative Buchführung mit internen Verrechnungspreisen dafür, dass ein unangemessen großer Teil der Gewinne dort anfällt, wo die niedrigsten Steuersätze gelten, beschreibt Giegold die Grundproblematik. Der Konzern Google hätte es so geschafft, seine in Europa anfallenden Gewinne effektiv nur mit 2,4 Prozent zu versteuern.
Der vom EU-Parlament mit seiner konservativen Mehrheit angenommene Bericht fordert nun, dass ausgeschüttete Gewinne an Mutterkonzerne immer mit mindestens 70 Prozent des EU-Durchschnittssteuersatzes von 23,2 Prozent besteuert werden müssen, also gut 16 Prozent. Auch Konservative und Liberale, die gegen jeglichen Eingriff in die Steuerautonomie der Nationalstaaten seien, konnten sich für das Argument, dem Missbrauch der Richtlinie einen Riegel vorzuschieben, erwärmen, freut sich Giegold. »Einen Konsens im Europäischen Parlament zu finden, ähnelt durchaus der Konsenssuche im Attac-Koordinierungskreis, wo ebenfalls Personen mit unterschiedlichem politischen Hintergrund aufeinandertrafen, von Linksradikalen über Umweltschützer bis hin zu kritischen Christen«, vergleicht er seine außerparlamentarische Vergangenheit mit seiner Gegenwart. Rückenwind für dieparlamentarischen Versuche, die Finanzmärkte zu zähmen, verspricht sich Giegold von der neuen Protestbewegung »Occupy Wall Street«, die er »großartig« findet. »Diese Gegenkraft von der Straße ist enorm wichtig.« In Frankfurt am Main und Hannover hat der 41-Jährige an den Aktionen teilgenommen, auf die Umzingelung des Reichtages am 12. November freut er sich jetzt schon.