Der Entwurf der Mitteilung der EU-Kommission zu den geplanten Finanzmarktreformen der neuen von der Leyen-Kommission ist geleakt. Die wegweisende Mitteilung stellt die geplanten Maßnahmen der EU-Kommission für Banken, Versicherungen und Kapitalmärkte für die nächsten Jahre dar und soll am 19. März 2025 im Kollegium beschlossen werden.
Sven Giegold, stv. Vorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen und langjähriger früherer Koordinator der grünen Fraktion im Finanzausschuss (ECON) des Europaparlaments:
„Dieser Mitteilungsentwurf ist eine Gefahr für nachhaltiges Wachstum in Europa. Europa braucht dringend eine Vollendung des Binnenmarkts – gerade für Banken und Kapitalmärkte. Nur integrierte Kapitalmärkte können die innovativen Unternehmen finanzieren, die Europa für den Green Deal braucht. Der Mitteilungsentwurf ist in allen Kernfragen so hasenfüßig, als sein Draghis Weckruf nie geschrieben worden.
Seit über 20 Jahren müht sich die EU weitgehend erfolglos, die vielen Hindernisse im Binnenmarkt für Banken und Kapitalmärkte zu beseitigen. Denn um die relevanten Stolpersteine für die Integration der Finanzmärkte zu beseitigen, muss die EU dicke Bretter bohren. Dazu sind die Mitgliedsstaaten bislang nicht bereit. Auf die Blockade bei den wichtigen Themen hat die EU-Kommission mit immer neuen Trippelschritten für mehr Kapitalmarktintegration reagiert. Diese Salamitaktik beschäftigt zwar die Gesetzgebung und alle betroffenen Finanzunternehmen, bewirkt ökonomisch jedoch kaum etwas.
Mit ihrer neuen Mitteilung hat die EU-Kommission nun den nächsten Akt dieser Selbstbeschäftigung eingeleitet. Der Blockade der wirklich wichtigen Gesetzesvorschläge im Rat der Mitgliedstaaten will die EU-Kommission lediglich appellierend zuschauen. Blockiert sind unter anderem die EU-Gesetzesvorschläge zu Insolvenzrecht, zu Quellensteuern, zur steuerlichen Begünstigung von Fremdkapital gegenüber Eigenkapital und zur Einlagensicherung. Statt alle politischen und rechtlichen Hebel in Bewegung zu setzen, um hier Fortschritte durchzusetzen, sollen nun in den nächsten Jahren neue unwichtigere Gesetze vorgeschlagen werden. Dabei könnte die EU-Kommission bereits bestehende Verletzungen der Kapitalverkehrsfreiheit und anderen geltenden EU-Rechts konsequent mit Vertragsverletzungsverfahren verfolgen. Ebenso könnte die Kommission versuchen, eine Staatengruppe im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit zu schnelleren Fortschritten bei der Kapitalmarktintegration zu motivieren. Bei schweren Verzerrungen im Binnenmarkt käme auch Art. 116 AEUV zur Überwindung der Einstimmigkeitsregeln im Steuerrecht in Betracht. Erfreulich sind lediglich die klaren Worte im Bereich der Handels- und Post-Handelsstrukturen, ebenso zu den Stärken des „Auto-enrolement“ im Bereich kapitalgedeckter Alterssicherungssysteme. Hier hat die Kommission scheinbar tapfere Beamte und die Faxen dicke.
In der Substanz bedeuten die Vorschläge eine weitere Abkehr von wissenschaftlicher Finanzmarktregulierung. Mit wirtschaftspolitischen Begründungen werden mögliche Absenkungen von Eigenkapitalanforderungen angekündigt. Die Erfahrungen diverser kostenreicher Finanzkrisen zeigen jedoch, dass Eigenkapitalanforderungen strikt empirisch auf Basis langer Zeitreihen und nicht politisch gesetzt werden sollten. Gleichzeitig bietet die Finanzmarktregulierung ein lohnendes Betätigungsfeld für intelligenten Bürokratieabbau. Das Motto muss jedoch lauten: Einfache, konsequent durchgesetzte und harte Regeln, die strikt datenbasiert relevante Risiken adressieren statt alles in absurde Tiefen festzulegen.
Grundsätzlich richtig ist die gemeinsame EU-Kapitalmarktaufsicht ESMA in Paris zu stärken. Einseitig ist jedoch, für die Versicherungsaufsicht EIOPA in Frankfurt selbst im Bereich der sehr großen Versicherungsgesellschaften schwach zu halten.
Erstaunlich ist das Versäumnis, sich im Entwurf der Mitteilung nicht mit den konkreten Chancen und Hindernissen für innovative Finanzmarktakteure auseinander zu setzen. Gerade FinTechs und andere neue Geschäftsmodelle sind eine Chance für mehr Wettbewerb auf den Finanzmärkten und sind Leidtragende der national fragmentierten Kapitalmärkte in Europa. Erstaunlich ist ebenso, dass in der Mitteilung keine Bilanz zum anhaltenden unfairen Wettbewerb durch Kryptowährungen gezogen wird. Trotz aller Regulierungsversuche sind die wirtschaftlich Berechtigten hinter einzelnen Zahlungen auch für die Zwecke der Strafverfolgung und Besteuerung kaum ausfindig zu machen. Schließlich fehlt der Kommunikation Ambition im Verbraucherschutz, z.B. wenn es um die Senkung der hohen Kosten im europäischen Zahlungsverkehr durch Kreditkarten geht.
Die amüsantesten Zitate aus dem Leak (Insider-Witz):
„The Commission invites the co-legislators to agree on an ambitious outcome in the crisis management and deposit insurance framework negotiations and stands ready to provide its full support in this process.“
„The Savings and Investments Union should also be better integrated into the European Semester process, where progress by Member States, individually and coordinated, will be regularly assessed. Actions that are instrumental to deliver the Savings and Investments Union may be further reflected in Country Specific Recommendations, thus incentivising Member States to deliver.“
Der Leak zum Nachlesen:
https://table.media/wp-content/uploads/2025/03/07150728/2025_Draft_Savings-and-Investments-Union.pdf