Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Interessierte,
die letzten beiden Wochen waren entscheidende Wochen für unseren gemeinsamen Einsatz für eine EU, in der Gesundheitsschutz bei Chemikalien über Gewinninteressen steht und für eine saubere Chemie. Denn schon letzte Woche hat in Brüssel der Pestizid-Untersuchungsausschuss des Europaparlaments (PEST) seine Empfehlungen für eine grundlegende Reform des Pestizid-Zulassungsverfahrens verabschiedet. Diese Woche hat das Europaparlament in Straßburg dann eine solche Reform der Transparenz des Zulassungsverfahrens beschlossen. Wo viel Licht ist, war dieses mal aber auch einiger Schatten, denn das fragwürdige “Innovationsprinzip” hat vom Europaparlament erstmals grünes Licht bekommen. Im Folgenden möchten wir Euch über Details dazu informieren.
Starke Empfehlungen des PEST-Untersuchungsausschusses verabschiedet
Der Sonderausschuss zum EU-Zulassungsverfahren für Pestizide wurde im März diesen Jahres auf Initiative unserer Grünen/EFA-Fraktion im Europaparlament eingesetzt, um nach der kontroversen Wiederzulassung von Glyphosat das Verfahren genau zu prüfen und Vorschläge für eine Reform vorzulegen. Nach zahlreichen Anhörungen mit Expert*innen haben mein belgischer Kollege Bart Staes und der deutsche Abgeordnete der CDU, Norbert Lins, einen Abschlussbericht mit Forderungen vorgelegt, den der Ausschuss mit breiter Mehrheit angenommen hat. Der Bericht fordert nichts weniger als eine grundlegende Reform des Zulassungsverfahrens von Pestiziden. Unter anderem sollen nicht nur die Pestizidwirkstoffe selbst strenger geprüft werden, sondern auch die Mischungen der Endprodukte und die Pestizidrückstände. Hierbei soll mehr als bisher auf Auswirkungen für die Umwelt und Gesundheit geprüft und die Anwendung des Vorsorgeprinzips gestärkt werden. Zudem sollen die Studien zu Glyphosat noch einmal durch den wissenschaftlichen Beirat der EU-Kommission komplett neu bewertet werden. Man war sich einig, dass die Krebsgefahr nicht einfach ignoriert werden darf (siehe dazu auch einen Bericht der taz vom 13.12.18: https://www.taz.de/!5551767). Die Prüfung und Zulassung soll zukünftig vollständig transparent sein, also alle Studien und deren zugrundeliegenden Rohdaten öffentlich zugänglich sein. Nationale Zulassungsbehörden dürfen nicht länger Hersteller-Bewertungen einfach übernehmen, sondern sollen dies immer kenntlich machen.
Abschließend fordert der Bericht die verstärkte Forschung und Förderung von Alternativen zu Pestiziden. Das war nur ein kleiner Ausschnitt der Empfehlungen, eine vollständige kommentierte Liste findet Ihr auf der Homepage meiner Grünen Kollegin Maria Heubuch: https://www.maria-heubuch.eu/fileadmin/heubuch/pdf2018/Die_Empfehlungen_des_PEST-Ausschusses_auf_einen_Blick.pdf
Jetzt kommt es darauf an, dass diese starken Empfehlungen vom Plenum des Parlaments in der Januar-Sitzung bestätigt werden, und dann die EU-Kommission und die Mitgliedsländer diesen Vorschlägen auch folgen.
Europaparlament verabschiedet starke Transparenz-Reform für Pestizide, GMOs und Nahrungsmittel
Diesen Dienstag hat die vom PEST-Sonderausschuss geforderte grundlegende Reform schon begonnen: Denn das Europaparlament hat mit großer Mehrheit (427 zu 172) und gegen die Stimmen der meisten Abgeordneten der Christdemokraten seine Verhandlungsposition zur Transparenz-Reform des Zulassungsverfahrens für Pestizide, Nahrungsmittel und gentechnisch-veränderte Organismen festgelegt.
Kernpunkt der Reform ist eine öffentlich-zugängliche Datenbank aller Studien, die für ein Zulassungsverfahren bei der zuständigen EU-Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA verwendet werden. Unternehmen, aber auch Labore und andere Institutionen, die diese Studien durchführen, müssen diese ohne Verzögerung der EFSA melden und die Ergebnisse vollständig einreichen. Damit wird es es für die Hersteller fast unmöglich, Studien mit unliebsamen Ergebnissen wie bisher geheim zu halten und erlaubt unabhängigen Wissenschaftlern die Kontrolle der Ergebnisse. Entscheidend wird dabei sein, welche Konsequenzen bei einem Verstoß gegen diese Vorgaben drohen. Hier ist die EU-Kommission in der Pflicht, die Einhaltung zu überprüfen und harte Strafe zu verhängen.
Alle eingereichten Studien und andere Informationen, die die EFSA bei ihren Zulassungsentscheidungen einbezogen hat, sollen dann öffentlich gemacht werden, sobald der Zulassungsantrag grundsätzlich zur Prüfung akzeptiert wurde. Das ist sehr früh im Verfahren und somit rechtzeitig, damit auch unabhängige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Daten prüfen können. Die Berichterstatterin Renate Sommer von der CDU hatte versucht, auf Druck der Industrielobby diesen Zeitpunkt auf nach der erfolgten Prüfung durch die EFSA, also fast ganz am Ende des Verfahrens, zu verschieben, was eine unabhängige und öffentliche Prüfung fast unmöglich gemacht hätte. Das hat das Parlament mit den Stimmen von Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken abgelehnt.
Wir konnten auch verhindern, dass die Liste der Ausnahmegründe, mit denen die Hersteller eine Veröffentlichung mit Hinweis auf Geschäftsgeheimnisse verhindern können, nicht wie von den Konservativen vorgeschlagen vollständig geöffnet wird. Vielmehr gibt es klare und begrenzte Kriterien. Zentral ist auch, dass die Beweislast zu den Geheimhaltungsgründen allein bei den Unternehmen liegt, und nicht bei der EFSA, wie von den Konservativen beantragt. Das hätte die EFSA überfordert und so eine inflationäre Nutzung dieser Ausnahmen wahrscheinlicher gemacht.
Gemäß des Beschlusses des Parlaments soll die EFSA nun auch die Möglichkeit bekommen, eigene Studien in Auftrag zu geben, schon wenn es gegensätzliche wissenschaftliche Einschätzungen gibt. Auch hier haben wir den Kommissionsvorschlag deutlich verbessern können, der dies nur in Ausnahmefällen vorgesehen hatte. Diese Studien sollen dann auch aus einem Fonds bezahlt werden, der von der Herstellern gefüllt, aber vollständig von der EFSA kontrolliert wird. Das war eine zentrale Forderung von uns Grünen aber auch von vielen NGOs, um unabhängige Studien zu gewährleisten und Interessenskonflikte der beauftragten Labore zu verhindern.
Damit war diese Abstimmung bis auf einige wenige Ausnahmen ein großer Erfolg für eine echte Transparenz im Zulassungssystem. Der Versuch der Berichterstatterin und der EVP-Fraktion, auf Druck der Industrie den Entwurf so zu ändern, dass letztlich sogar weniger Transparenz das Ergebnis gewesen wäre, ist gescheitert. Konsequenterweise ist Renate Sommer (CDU) dann auch von ihrer Rolle als Berichterstatterin des gesamten Parlaments zurückgetreten.
Weitere Details finden sich in diesem Briefing meines Kollegen Martin Häusling, der die Verhandlungen für uns Grüne im Umweltausschuss geführt hat: https://www.martin-haeusling.eu/images/181211_Briefing_Haeusling_GFL_Transparenz_u_Nachhaltigkeit_der_EU-Risikobewertung_in_der_Lebensmittelkette_Dez_2018.pdf
Als nächster Schritt geht dieses starke Mandat nun in die “Trilog”-Verhandlungen mit den Mitgliedsländern und der EU-Kommission. Wir drängen darauf, dass diese noch vor den Europawahlen abgeschlossen wird. Die EVP-Fraktion hat allerdings schon angekündigt, dass sie daran kein Interesse hat und die Reform trotz des starken Votums des Parlaments auf die lange Bank schieben will. Wir werden uns dafür stark machen, dass das nicht passiert.
Dieses sehr positive Ergebnis zeigt auch, was öffentlicher Druck bewegen kann: Anlass für den zugrunde liegenden Vorschlag der EU-Kommission waren die 1,4 Millionen Unterschriften des Europäischen Bürgerinitiative “Stopp Glyphosat”.
Europaparlament winkt gefährliches “Innovationsprinzip” durch
Das so genannte “Innovationsprinzip” wurde von der der Industrie-Lobbygruppe “European Risk Forum” (ERF) entwickelt. Mitglied in dieser Gruppe sind hauptsächlich Unternehmen aus der Chemie-, Öl-, Gas- und Tabak-Industrie, wie Bayer, Chevron und Philip Morris. Das Prinzip besagt, dass bei jeder Entscheidung der EU-Organe, die Auswirkungen auf “Innovationen” beachtet und adressiert werden sollen. Dieses Prinzip hat das Ziel, der Industrie die Möglichkeit zu geben, soziale und ökologische Standards abzubauen und das Vorsorgeprinzip aufzuweichen. Denn anders als das Vorsorgeprinzip, also der Verpflichtung der EU den Bevölkerungs- und Umweltschutz über Gewinninteressen zu stellen, hat das Innovationsprinzip keine rechtliche Grundlage. Seit Jahren versucht die ERF, das zu ändern und das Innovationsprinzip in das EU-Recht zu bekommen. Die NGO Corporate Europe Observatory hat diese Kampagne und die Gefahren des Prinzips ausführlich hier analysiert: https://corporateeurope.org/environment/2018/12/innovation-principle-trap
Diese Industrie-Kampagne hatte nun am Mittwoch einen Erfolg, denn das Innovationsprinzip hat Einzug in das Verhandlungsmandat des Parlaments zum nächsten Forschungsrahmen-Programm “Horizon Europe” erhalten. Wir hatten gemeinsam mit den Linken die Streichung beantragt, was die Christdemokraten mit Hilfe der Rechtskonservativen und Liberalen aber verhindert haben. Nun liegt es an den Mitgliedsländern, in den anstehenden Verhandlungen mit der Kommission und dem Parlament sich gegen dieses Prinzip zu positionieren. Wir werden uns weiter sowohl in Europa als auch im Bund dagegen stark machen, und die Positionierung der Bundesregierung in den Verhandlungen genau verfolgen. Das Innovationsprinzip darf keinen Eingang ins EU-Recht finden!
Angesichts der Erfolge durch öffentlichen Druck bei der Transparenz im Zulassungsverfahren, haben wir auch hier eine gute Chance gegen die nicht unbesiegbare Industrielobby zu gewinnen. Wir bleiben dran. Danke, dass Ihr in Euren Verbänden und Initiativen dabei mithelft! Es lohnt sich.
Mit hoffnungsvollen europäischen Grüßen
Sven Giegold