Sven Giegold

Digitaler Parteitag zu Corona: Meine Europa-Rede

Liebe Freundinnen und Freude,

Liebe Interessierte,

als erste Bundespartei haben wir Grünen heute einen digitalen Parteitag durchgeführt. Dabei zog sich der Europäische Zusammenhalt wie ein roter Faden durch den Parteitag. Das Thema war zentral in den Reden der Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck sowie vieler anderer Redner*innen. Auch im Leitantrag ist das Thema stark verankert, der sich bald in der beschlossenen Form auf gruene.de findet.

Auch ich konnte eine Rede halten, die Ihr Euch hier (in einer nachträglichen Aufzeichnung) hier anschauen könnt! Es wäre großartig, wenn Ihr sie verbreiten könntet:

https://www.youtube.com/watch?v=s2DxnQfgSjw&feature=emb_logo

https://twitter.com/sven_giegold/status/1256615393877200896

https://www.facebook.com/sven.giegold/videos/687102438691138/

Denn die europäische Integration ist in Gefahr, wenn die Coronakrise Europa nun noch stärker spaltet. Wir brauchen jetzt einen solidarisch finanzierten EU-Wiederaufbaufonds! Beim Wiederaufbau der Wirtschaft in Europa müssen Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung unsere ökonomisch erfolgreiche Strategie sein!

Die allermeisten Unternehmen sind genauso unverschuldet in den Lockdown geraten wie wir alle. Wenn Staaten, sie nun retten, so ist das grundsätzlich völlig legitim. Aber es gilt auch: Der Staat darf die Steuerzahler nicht schlechter vertreten, als ein Fondsmanager seine Investoren. Wenn der Staat Steuergelder an Großunternehmen gibt oder Anteile übernimmt, muss er auch Einfluss im Sinne der Bürger*innen ausüben: Für Klimaschutz und Menschenrechte; gegen Steuerdumping, Dividendenausschüttungen und hohe Boni. Lasst uns die Staatshilfen zum Hebel für Klimaschutz und Gemeinwohl machen.

Mit grünen europäischen Grüßen

Sven Giegold

 

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Die schriftliche Fassung meiner Rede:

Liebe Freundinnen und Freunde,

was Ernest Urtasun gerade geschildert hat und was mir meine Freunde aus Italien berichten, das bricht mir das europäische Herz. Wie kann es sein, dass in einer Krise, die kein Land allein verschuldet hat; einer Krise, die nur grenzüberschreitend bekämpft werden kann; einer Krise, in der es um Leben und Tod geht; wie kann es sein, dass in Europa in einer solchen Situation als erstens die Schlagbäume runtergehen, die Bundesregierung den Export von Medizingütern stoppt und der Bundesfinanzminister zur Auflebung der Nord-Süd-Spaltung in der Eurozone beiträgt?

Als ein solidarischer Geist die Politik in Europa hätte leiten müssen, wehte ein kalter national getriebener Wind. Wir mussten erleben, wie schnell der Weg zurück in die Kleinstaaterei gegangen wird, wie schnell das Erreichte aus jahrzehntelanger europäischer Integration aufs Spiel gesetzt wird. Seit über 10 Jahre bin ich nun im Europaparlament, aber so stark wie heute war der europäische Zusammenhalt bisher nur in der Eurokrise gefährdet. Aber gerade weil die Lage so dramatisch ist, ist sie für uns als Europapartei ein dringender Auftrag.

Es ist nicht mal 1 Jahr her, dass wir mit über 20 Prozent einen bisher einmalig großen Zuspruch von den Wähler*innen bei den Europawahlen bekommen haben. Und wenn ich jetzt sehe, dass sich in einer finanzpolitischen Debatte zu Coronabonds Ökonom*innen – unternehmensnah wie gewerkschaftnah, Künstler*innen, Unternehmer*innen, zivilgesellschaftliche Organisationen und viele, viele einzelne Bürger*innen einschalten und für mehr Solidarität in Europa aussprechen, dann ist doch klar: Wir Grünen müssen gerade in Deutschland die Spitze einer neuen europäischen Solidaritätsbewegung sein! Wir müssen uns der Demolierung des europäischen Haus am Entschiedensten entgegen stellen.

Nun sagen ja viele, das Eurozonen-Rettungspaket von 500 Milliarden sei ja – wenn auch mit Mühen – beschlossen worden. Doch dieses Rettungspaket ist ein Scheinriese. Die tatsächliche Summe ist viel kleiner und besteht praktisch ausschließlich aus Krediten, die auch die schwächsten EU-Länder wieder zurückzahlen müssen. In Italien beläuft sich der Zinsvorteil auf 0,08% der Wirtschaftsleistung. Lächerlich für ein hoch verschuldetes Land angesichts der Kosten von Corona.

Es geht also im Angesicht der tiefen Krise jetzt um echte Solidarität. Alle Länder Europas müssen es mit ihren Unternehmen und Jobs durch die Krise schaffen. Deshalb brauchen wir nun einen Wiederaufbaufonds in Höhe von mindestens 1.000 Milliarden Euro. Damit das Geld schnell fließen kann, muss die EU zinsgünstige Coronabonds ausgeben. Dieser Wiederaufbaufonds muss besonders den Ländern helfen, die von Corona am härtesten getroffen waren. Und die Lasten des Fonds müssen wir solidarisch nach wirtschaftlicher Stärke schultern.

Den Wiederaufbau der Wirtschaft wollen wir konsequent am Europäischen Green Deal und an der Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommen ausrichten. Eine Verschiebung des Klimaschutzes können wir uns nicht leisten und sie wäre auch wirtschaftlich falsch. Doch in Brüssel und Berlin tobt schon seit Wochen eine Lobbyorgie gegen den Green Deal. Während viele Unternehmen konsequenten Klimaschutz längst unterstützen, schneiden sich andere Teile der Wirtschaft damit kurzsichtig ins eigene Fleisch: Wirtschaftliche Stärke geht in Zukunft nur noch mit, nicht gegen den Klimaschutz! Deshalb: European Green Deal jetzt erst recht!

Ein weiterer Knackpunkt ist: Bis Mitte letzter Woche hat die EU-Kommission Staatshilfen an Unternehmen in Höhe von 1900 Milliarden Euro genehmigt. Davon knackige 52% in Deutschland. Das ist doppelt so viel, wie es unserer Wirtschaftsleistung in Europa entspricht. Hier droht nun eine zweite Spaltung des Europäischen Binnenmarkts. Gerade die schwächeren Staaten, die von der Coronakrise besonders betroffen sind, müssen mit ihren Unternehmen und Jobs Teil der Europäischen Wirtschaft bleiben. Auch deshalb ist so wichtig, dass der solidarische Wiederaufbaufonds wirklich kommt.

Die allermeisten Unternehmen sind genauso unverschuldet in den Lockdown geraten wie wir alle. Wenn Staaten, sie nun retten, so ist das grundsätzlich völlig legitim. Aber es gilt auch: Der Staat darf die Steuerzahler nicht schlechter vertreten, als ein Fondsmanager seine Investoren. Wenn der Staat Steuergelder an Großunternehmen gibt oder Anteile übernimmt, muss er auch Einfluss im Sinne der Bürger*innen ausüben: Für Klimaschutz und Menschenrechte; gegen Steuerdumping, Dividendenausschüttungen und hohe Boni. Lasst uns die Staatshilfen zum Hebel für Klimaschutz und Gemeinwohl machen.

Überhaupt wirkt es so, als ginge es derzeit darum Geld auszugeben als gäbe es kein Morgen. So richtig diese Ausgaben in der Coronakrise auch sind: Nachhaltige Finanzpolitik dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Der wichtigste Beitrag, den die EU leisten kann, ist eine Politik der Null-Toleranz gegen Geldwäsche und Steuerdumping. Europa braucht endlich gemeinsame Mindeststeuersätze und Steuertransparenz für Großunternehmen, eine europäische Digitalsteuer und ein hartes Vorgehen gegen jede Form der Finanzkriminalität. Die Bundesregierung muss hier eine Initiative ergreifen statt europäisch zu blockieren!

In zwei Monaten übernimmt die Bundesregierung die EU-Ratspräsidentschaft. Ein “weiter so” der deutschen Europapolitik aus wahlweise Nichtstun oder Blockieren kann es jetzt nicht mehr geben. Europa ist schwach, wenn es gespalten ist, und stark, wenn es zusammenhält. Diesen europäischen Zusammenhalt gilt es wiederzubeleben. Nach der Eurokrise sind zumindest einige neue Integrationsschritte wie die Bankenunion gelungen. Aus der Coronakrise muss eine stärkere Solidarunion erwachsen mit dem GreenDeal als ökonomisch erfolgreicher Strategie aus der Krise. Mit Solidarität nach innen wie auch nach außen. Lasst uns dafür die treibende Kraft sein!

 

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PS: Zum Thema “Angriff der Lobbyisten auf den Klimaschutz – Wie der Lobbyismus die Corona-Krise missbraucht” organisiere ich ein Webinar am 12. Mai um 20.00 Uhr. Ich würde mich freuen, mit vielen von euch zu diskutieren, wie wir den Europäischen Green Deal stärken und vor der Lobby schützen können. Ihr könnt euch hier bereits anmelden: https://attendee.gotowebinar.com/register/3086789141461218063

Rubrik: Brüssel

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