Sven Giegold

Regionale Wertschöpfung und Wirtschaftskreisläufe stärken: Meine Rede beim Bundestreffen der Regionalbewegung

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Interessierte,

am 24.6.2023 hatte mich der Bundesverband der Regionalbewegung zu einer Rede eingeladen. Das war eine gute Gelegenheit darzustellen, was wir inzwischen für die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe tun konnten. Und das ist eine ganze Menge und wir haben noch mehr vor! Dazu möchte ich meine Rede mit Ihnen und Euch teilen.

Ihr und Euer Sven Giegold

Rede: Regionale Wertschöpfung und Wirtschaftskreisläufe stärken

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich kann heute aus familiären Gründen leider nicht persönlich bei Ihnen in Farchant sein. Schade nicht nur, weil Sie in einer wunderschönen Region tagen, sondern weil ich viele Ihrer Beiträge verpasst habe.

Unterstützung für die Ziele der Regionalbewegung

Ich danke Ihnen für Ihren Einsatz für ländliche Regionen und das, was sie ausmacht.

Ländlicher Raum bedeutet vieles: Arbeits-, Wohn-, Rückzugs- und Urlaubsort. Wir haben eine großartige Natur in Deutschland, wie der Blick bei Ihnen aus dem Fenster zeigt. Gleichzeitig versorgt der ländliche Raum die Menschen mit dem, was sie zum Leben brauchen, mit oftmals regionalen Produkten, die mit Liebe hergestellt und mit großer Fähigkeit und Fertigkeit verarbeitet werden.

Wie Sie bin ich überzeugt, dass ländliche Regionen auch ein Treiber für Klimaschutz und Nachhaltigkeit sein können und sollten. Einerseits durch regionale Wertschöpfungsketten, die Produkte frisch und Wege kurz halten. Aber auch als Produzenten und Nutzer erneuerbarer Energien.

Stärkung gleichwertiger Lebensverhältnisse

Lassen Sie mich über ein sehr ambitioniertes Versprechen unseres Grundgesetzes sprechen, das mir besonders am Herzen liegt. Über ein Thema, das ein wichtiger Schwerpunkt meiner Arbeit als Staatssekretär für Regionalpolitik im BMWK ist: die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in unserem Land.

Gleichwertige Lebensverhältnisse sind für mich und auch Bundesminister Robert Habeck nicht irgendein abstrakter Auftrag aus dem Grundgesetz. Sie sind für uns vielmehr ein elementares politisches Ziel dieser Bundesregierung. Denn sie leisten einen wesentlichen Beitrag für Chancengerechtigkeit und für die Teilhabe an wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung. Wichtig dabei: Gleichwertige Lebensverhältnisse bedeutet nicht gleichartige Lebensverhältnisse: Deutschland steht für eine enorme regionale Vielfalt. Viele Menschen schätzen die hohe Lebensqualität und den guten Zusammenhalt in ländlichen Regionen; andere Menschen schätzen die Attraktivität städtischer Regionen als Wohnorte und Lebensräume.

Dabei ist Stadt nicht gleich Stadt und Land nicht gleich Land: Auch innerhalb ländlicher und städtischer Regionen gibt es jeweils enorme Unterschiede hinsichtlich der räumlichen Strukturen, die uns in unserem täglichen Leben begegnen. Das muss nicht per se schlecht sein. Ich bin davon überzeugt, dass regionale Vielfalt in unserem Land eine große Chance ist. Denn nur, wo sich Menschen selbstverständlich grüßen, viele Menschen Vereinen oder auch Religionsgemeinschaften angehören, sich auf den gleichen Festen begegnen, genügend Platz für die Natur und Spaziergänge ist und man in Ruhe in Gewässern Baden kann, nur da kann man wirklich gut leben – finde ich jedenfalls.

Ländliche Räume sind daher eben nicht strukturschwach, im besten Sinne reich. Doch ländliche Räume haben besondere Herausforderungen, z.B. bei der Infrastruktur, Bildungs- und Gesundheitswesen, guten Jobs, Fach- und Ausbildungskräften, Verkehrsanschlüssen. Dabei gilt es, darauf zu achten, dass Unterschiede in diesen entscheidenden Bereichen nicht zu groß werden. Das ist wesentlich für Chancengerechtigkeit und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Wir alle haben in den letzten Jahren mit Blick auf andere Länder gesehen, welche Folgen es haben kann, wenn sich die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit zuspitzt. Und wir sehen in Teilen Deutschlands, dass die politische Polarisierung spürbar zunimmt. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die territorialen Unterschiede nicht weiter zunehmen.

Konkrete Initiativen und Förderprogramme mit Fokus auf gleichwertigen Lebensverhältnissen

Im BMWK haben wir deshalb bereits im ersten Jahr dieser Legislaturperiode sehr weitreichende Maßnahmen umgesetzt, insbesondere im Bereich der regionalen Strukturpolitik. So haben wir die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) – das Schlüsselwerkzeug der Regionalpolitik des Bundes – neu ausgerichtet. Künftig gelten drei Hauptziele:

  • Standortnachteile ausgleichen.
  • Beschäftigung schaffen und sichern, Wachstum und Wohlstand erhöhen.
  • Transformationsprozesse zu einer klimaneutralen und nachhaltigen Wirtschaft beschleunigen.

Wir haben auch die Interventionslogik der GRW angepasst und dazu u.a. die 50-km-Regel abgeschafft. Diese Regel, entlehnt aus der Exportbasistheorie aus der Mitte des letzten Jahrhunderts, war seit geraumer Zeit überholt! Heute können auch Unternehmen Förderung erhalten, die für lokale Märkte produzieren statt für den Export aus einer Region heraus.

Damit stärken wir regionale Wertschöpfungsketten. Davon können beispielsweise auch regionale Nahrungsmittelproduzenten profitieren. Auch werden die von der Regionalbewegung vorgeschlagenen „Regionalen Wertschöpfungszentren“ förderfähig.

Auch im Bereich der GRW-Infrastrukturförderung gibt es viele Neuerungen:

  • Förderhöchstsatz von 90% nur bei klimafreund-lichen/nachhaltigen Maßnahmen und nur mit regionaler Entwicklungsstrategie.
  • Stärkere Förderung der Eigenerzeugung von erneuerbaren Energien.
  • Bei Industriegebieten und touristischer Infrastruktur werden künftig Kosten für ökologische Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen und den präventiven Schutz vor Naturkatastrophen förderfähig.

Ausdrücklich benennen wir eine eigenständigere Regionalentwicklung als Ziel unserer Wirtschaftsförderung.

Aber: Im Rahmen der Regionalpolitik bleibt es dabei, dass die Entscheidung über einzelne Projekte dezentral getroffen wird. Der Bund unterstützt die Regionalpolitik finanziell im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben und sorgt für einen passenden rechtlichen Rahmen, so wie wir es jetzt gemacht haben. Wenn jedoch bestimmte Initiativen sich in Kommunen oder Ländern nicht durchsetzen können, kann der Bund die regionalpolitischen Entscheidungen nicht per Einzelmaßnahme zentralisieren.

Auch zum Gesamtdeutschen Fördersystem für strukturschwache Regionen (GFS) haben wir einen Arbeitsprozess zur Weiterentwicklung angestoßen, der 2025 abgeschlossen sein soll.

Ziele sind:

  • Mehr Transparenz über die regionale Verteilung der Fördermittel. Das ist bisher leider eine Black Box. Die letzte Bundesregierung hat es offenbar nicht gestört, gar nicht zu wissen, ob die Mittel überhaupt in jenen Regionen landen, wo sie besonders benötigt werden.
  • Wir werden das GFS auch stärker auf die Transformation der Wirtschaft hin zu Klimaneutralität und gleichwertige Lebensverhältnisse ausrichten.
  • Dazu brauchen wir nicht mehr Programme, sondern mehr Effizienz: wir müssen Programme harmonisieren, zusammenlegen, Förderlücken identifizieren. Nicht „je mehr desto besser“, sondern eher das Gegenteil ist richtig in Bezug auf die Anzahl und Komplexität von Förderprogrammen.
  • Und, wir müssen die Beratung von Kommunen bei Inanspruchnahme von Förderung verbessern.

Auch ein erster umfassender Bericht der Bundesregierung zum Stand gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland ist für 2024 geplant. Das BMWK ist hier neben dem BMI federführend. Wir werden dabei nicht nur Indikatoren analysieren, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger vor Ort nach ihrer Einschätzung befragen.

Es geht uns also auch um die wahrgenommene, persönlich erlebte Realität. Dafür werden 300.000 Personen in Deutschland persönlich angeschrieben. Das gab es in diesem Politikbereich noch nie! Das Ziel ist, die Wahrnehmung der Lebensqualität in verschiedenen Regionen umfassend transparent zu machen, um daraus politische Schlussfolgerungen ziehen zu können.

Aber nicht nur die nationale, auch die europäische Förderlandschaft muss stärker an die Bedürfnisse ländlicher Regionen angepasst werden.

Hier ist unser Ziel bessere Verzahnung der Politiken für Stadtentwicklung, und die Entwicklung ländlicher Räume – sowohl der nationalen als auch der europäischen Programme. Stadt-Umland-Beziehungen müssen stärker in den Blick genommen werden und das funktionale Zusammenwirken unterschiedlicher Siedlungsräume muss eine größere Rolle spielen. Dadurch lassen sich Synergien zwischen den vielen Programmen heben und Parallelstrukturen vermeiden, sodass die Förderung der Stadtentwicklung nicht zum Nachteil für das Umland führt. Schon jetzt arbeiten wir an der Vorbereitung der nächsten EU-Förderperiode für die Kohäsionspolitik. Diese Arbeiten werden wir von einer großen Konsultation begleiten.

Stärkung des ländlichen Raums beim Ausbau und der Nutzung erneuerbarer Energien

Was wir auch nicht übersehen dürfen: Doe Rolle des ländlichen Raums bei der Gewinnung erneuerbarer Energien.Ländliche Räume haben den Platz, den wir für Erneuerbare Energien brauchen. Das Land wird daher besonders von der Umstellung auf Erneuerbare Energien und nachwachsende Rohstoffe profitieren. Viele landwirtschaftliche und andere Betriebe sind Produzenten von Solar- und Windenergie sowie Bioenergie – oder wären es gerne.

Schon im Osterpaket des letzten Jahres haben wir zahlreiche Hemmnisse und zu geringe Wirtschaftlichkeit neuer Erneuerbaren Investitionen abgebaut. Seitdem boomt die Photovoltaik und auch beim Wind geht es bergauf. Im Rahmen der Erarbeitung des neuen Solarpakets I zu diesem Sommer beschäftigen wir uns besonders mit dem Abbau unnötiger Bürokratie. Auch die Förderung von Solaranlagen auf landwirtschaftlichen Flächen wird hier Thema sein.

Wir wollen bspw. die EEG-Förderung auch für kleine PV-Freiflächenanlagen auf benachteiligten landwirtschaftlichen Gebieten öffnen. Darüber hinaus überprüfen wir die finanzielle Förderung der besonderen Solaranlagen, zu denen auch Agri-PV-Anlagen zählen. Zum Thema Agri-PV gibt es ja nachher beim Wissensmarkt auch noch zwei Beiträge einer Expertin und eines Experten.Hinsichtlich Solaranlagen auf Dachflächen sind im Solarpaket I eine Reihe von Maßnahmen geplant, die dem Ausbau in der Breite einen Schub geben sollen. Insbesondere soll die Grenze der Direktvermarktungspflicht so ausgestaltet werden, dass diese nicht zu einer Hemmschwelle für die Anlagengröße wird. Außerdem sollen auch Gebäude im Außenbereich für die Dachvergütung zugelassen werden, die innerhalb der letzten 10 Jahre gebaut wurden.

Erleichterungen durch Bürokratieabbau und Planungsbeschleunigung

Was auch in der NRW-Regionalitätsstrategie angesprochen wird, ist der erforderliche Bürokratieabbau. Die Bundesregierung plant noch dieses Jahr einen Entwurf für ein viertes Bürokratieentlastungsgesetz vorzulegen. Ich möchte dabei insbesondere jene Hürden beseitigen, die kleine, regionale oder handwerkliche Produzentinnen und Produzenten betreffen und im Wettbewerb benachteiligen.

Ich wäre Ihnen daher dankbar, wenn Sie mir entsprechende Hinweise geben könnten. Auch das Instrument der Praxis-Checks, das wir erstmals im Bereich Photovoltaik eingesetzt haben, soll bürokratische Hindernisse identifizieren. Berichts-, Dokumentations- und Statistikpflichten, die in der Zuständigkeit des BMWK liegen, überprüfen wir kritisch. Was nicht gebraucht wird, streichen wir und entlasten so auch kleine und regionale Produzentinnen und Produzenten.

Zusammenfassung

Wie Sie sehen, haben wir für die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe und Initiativen, wie sie sich in der Regionalbewegung versammeln, schon einiges auf den Weg gebracht. Zugegeben, wir haben derzeit einigen Ärger, aber das liegt eben daran, dass wir Wichtiges nicht aussitzen, sondern machen.

Lassen Sie uns in der Diskussion aber auch darüber sprechen, welche Punkte die Bundesregierung aus Ihrer Sicht noch nicht ausreichend adressiert.

Einer meiner Mitarbeiter aus dem BMWK, Herr Adam, ist seit Donnerstag schon vor Ort und wird mir aus den Foren und Gesprächen, die Sie führen, berichten. Sprechen Sie ihn gerne an und geben Sie ihm Punkte und Anregungen für mich mit. Sollten Sie schriftliche Hinweise haben, schreiben Sie gerne an bastian.alm@bmwk.bund.de

Rubrik: BMWK

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