Sven Giegold

Gastbeitrag Handelsblatt online: Russlands Oligarchen sind nicht der teuerste Skandal

Angela Merkel besuchte Zyperns Konservative und sprach von „Solidarität“. In Wahrheit horten russische Oligarchen dort Milliarden an Schwarzgeld. Doch die Debatte um Europas Steuergerechtigkeit scheut Berlin bis heute.

Türkisblaue Swimmingpools, schneeweiße Yachten und ein Hilferuf an die europäischen Steuerzahler. Die Signale aus Zypern sind so schrill, dass sie die Boulevardpresse alarmieren. Das wirkt selbst bei CDU und FDP. Die Regierungsparteien stimmen – zur Bild-Zeitung schielend – in die Empörung ein, wenn „russische Oligarchen“ laut Bundesnachrichtendienst bis zu 26 Milliarden Euro Schwarzgeld auf Zypern horten. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle hält es für „nicht vermittelbar“, wenn deutsche Steuerzahler für „russisches Schwarzgeld“ in Zypern haften sollen.

Im Ansatz haben die Kritiker von Union und FDP Recht. Doch sie belassen es bei oberflächlicher Scheinkritik. Es ist so wohlfeil wie folgenlos, den „russischen Oligarchen“ in der Rettungsdebatte zum Schreckgespenst zu erklären. Zugleich lenkt die Bundesregierung notorisch ab vom grundsätzlichen Problem: In Europa gibt es keine Steuergerechtigkeit.

Die EU duldet seit vielen Jahren Steueroasen wie Zypern. Deutsche Steuervermeider sind dort ebenso willkommen wie grenzüberschreitend tätige Holdinggesellschaften, die sich im Rest Europas jeder Solidarität entziehen. Die Mittelmeerinsel wirbt nicht nur mit der niedrigsten Körperschaftsteuer der gesamten EU – der Steuersatz liegt bei 10 Prozent, sondern verweigert sich auch Quellensteuern auf Dividenden. Wie einfach es ist, mit einer Briefkastenfirma in Nikosia den Steuerbehörden der europäischen Nachbarn zu entkommen, zeigten jüngst ZDF-Reporter. „Unternehmensberatungen“ bieten im Internet gleich das Komplett-Paket „Firmensitz auf Zypern“. Auch Rainer Brüderle könnte einmal googlen oder sich auf den Seiten des „Netzwerks Steuergerechtigkeit“ über die wahrhaft skandalösen Verhältnisse in der EU informieren – von Zypern über Malta bis Luxemburg.

Doch auch die Bundeskanzlerin tut so, als wären die zahlreichen Tricks nicht seit Jahren bekannt, mit denen Unternehmen und Besserverdienende einem funktionierenden europäischen Staatswesen das Fundament entziehen – seine Steuereinnahmen. Bei ihrem Kurzbesuch auf Zypern am Freitag verhandelte Angela Merkel nicht etwa effektive Steuerregeln. Sie sicherte ausgerechnet Zyperns Konservativen im Wahlkampf Unterstützung zu, die sich jede ausländische Kritik am zypriotischen Steuersystem verbieten. Doch das „Steuerparadies“ Zypern ist genauso eine europäische Frage wie die Krisenhilfe der EU. Merkel stellte „Solidarität“ mit Zypern in Aussicht. Warum forderte sie nicht die Solidarität Zyperns und deutscher Steuerflüchtlinge gegenüber den europäischen Bürgern ein?

Die deutsche Krisenpolitik zwingt EU-Länder zu harten sozialen Einschnitten. Doch das hohe Lied auf den europäischen Steuerwettbewerb mit all seinen bizarren Auswüchsen singen die meisten konservativen und liberalen Parteien in Europa unverdrossen weiter. Werden den Nehmerländern Bedingungen für EU-Hilfen diktiert, bleibt die Bundesregierung in Punkto Steuergerechtigkeit seltsam schweigsam. Von Portugal wurde die Schließung der Steueroase Madeira nicht verlangt. Griechenland darf weiter seine Reeder steuerlich pflegen. Irland offeriert sich weiter als Unternehmenssteueroase transnationaler Unternehmen. Und im Entwurf eines „Memorandum of Understanding“ Zyperns mit den internationalen Geldgebern werden zwar höhere Grundsteuern und Mehrwertsteuern verlangt, zu den Privilegien für Holdinggesellschaften und Briefkastenfirmen findet man nur Leerstellen.

Wir Grüne schlagen einen europäischen Steuerpakt vor, der mit Steueroasen mitten in der EU Schluss macht und Mindeststeuersätze für Unternehmen durchsetzt. Auch die europäische Kommission hat erste Vorschläge für Reformen gemacht. Ohne ein nachhaltiges und gerechtes Steuersystem in Europa ist keine Haftung der Gemeinschaft vermittelbar. Wer die Nachbarn um Hilfe bittet, muss dabei mit gutem Beispiel vorangehen, statt auf ebenso gemeinschaftsschädliche Steuerpolitik andernorts zu verweisen.

Veröffentlicht auf Handelsblatt online: http://app.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastbeitrag-russlands-oligarchen-sind-nicht-der-teuerste-skandal/7622024.html

Rubrik: Wirtschaft & Währung

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