Dazu mein dpa-Interview für einen Europäischen Steuerpakt:
Giegold: Privaten Reichtum zur Lösung der Krise heranziehen
Interview: Thomas Strünkelnberg, dpa
Wie kann man Griechenland noch helfen? Im Gespräch ist ein zweiter Schuldenerlass, der diesmal für die Steuerzahler teuer werden könnte. Ein grüner EU-Parlamentarier findet das verfrüht. Er fragt: Warum sollte der private Reichtum nicht zur Lösung der Krise beitragen?
Brüssel (dpa Insight) – Statt den griechischen Schuldenberg mit einem weiteren Forderungserlass abzutragen, will ein grüner EU-Parlamentarier europaweit die Steuerflucht verhindern. Zu einem europäischen Steuerpakt zählten etwa Vermögensabgaben, denen die Betreffenden nicht durch Wohnsitzverlagerung innerhalb Europas ausweichen könnten, erklärte der finanzpolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Sven Giegold, im Interview mit dpa Insight EU. Nötig sei auch Transparenz der erzielten Einkünfte und Vermögen überall in Europa. Einen Schuldenschnitt nannte er «verfrüht», wollte ihn aber auch nicht ausschließen: «Aber es ist doch richtig, zunächst die Maßnahmen ins Auge zu fassen, die nicht wieder alle Steuerzahler in Haftung nehmen.»
«Es geht darum, endlich den privaten Reichtum sowohl in Griechenland als auch in Europa im Rahmen eines fairen Lastenausgleichs heranzuziehen», betonte Giegold. Er forderte eine europäische Mindestbesteuerung für Unternehmenseinkünfte. «Und wenn einzelne EU-Länder diesen Maßnahmen nicht zustimmen, kann sie eine Gruppe entschlossener Staaten in der EU mit Hilfe der verstärkten Zusammenarbeit auf den Weg bringen.»
Die Kapitalflucht allein aus Griechenland sei enorm, sagte der grüne Obmann im Wirtschaftsausschuss des EU-Parlaments. Schätzungen zufolge lägen allein 80 Milliarden Euro in der Schweiz. Europaweit seien es jährlich rund 1000 Milliarden Euro, die den öffentlichen Haushalten durch Steuerdumping und Steuerflucht verloren gingen. «Dass die Bundesregierung in Brüssel nichts tut, um die Steuerflucht und Steuerdumping zu bekämpfen, ist der eigentliche Skandal.»
dpa: Herr Giegold, für den Steuerzahler könnte es teuer werden: Es gibt Überlegungen, durch einen zweiten Schuldenerlass – der diesmal öffentliche Geldgeber wie Deutschland treffen soll – den griechischen Schuldenberg abzutragen. Wie beurteilen Sie eine solche Lösung?
Giegold: «Aus meiner Sicht ist das verfrüht und lenkt von der Einäugigkeit der Krisenpolitik ab. Es geht darum, endlich den privaten Reichtum sowohl in Griechenland als auch in Europa im Rahmen eines fairen Lastenausgleichs heranzuziehen. Europa braucht nicht eine Reihe von Schuldenschnitten, sondern einen europäischen Steuerpakt.»
dpa: Die Bundesregierung hat auch schon deutlich gemacht, dass sie von der Idee eines neuen Schuldenerlasses gar nichts hält. Die Frage ist, ob die Politik derartige Maßnahmen unter bestimmten Voraussetzungen akzeptieren sollte.
Giegold: «Solche Dementi sind immer als Drohung zu verstehen, das haben wir in der Krise gelernt. Eine Blockadehaltung – nach dem Motto: Wir sehen den steigenden Staatsschulden Griechenlands tatenlos zu – löst das Problem nicht. Ich kritisiere, dass die Bundesregierung keinerlei Maßnahmen auf der Einnahmenseite ergreift, nachdem wir auf der Ausgabenseite der Griechen vorerst am Ende der Fahnenstange angelangt sind. Wir sehen eine enorme Kapitalflucht aus Griechenland, man schätzt, dass alleine 80 Milliarden Euro in der Schweiz liegen. International werden Gewinne transnationaler Unternehmen aus den Krisenländern heraus in die Steueroasen verschoben. Diese Probleme betreffen auch Deutschland. Und dass die Bundesregierung in Brüssel nichts tut, um die Steuerflucht und Steuerdumping zu bekämpfen, ist der eigentliche Skandal.
Wir sollten erst über Schuldenschnitte nachdenken, wenn das geschehen ist und man die großen Potenziale gehoben hat. Ich glaube allerdings, dass das dann nicht mehr nötig sein wird, denn jährlich verlieren die öffentlichen Haushalte in Europa etwa 1000 Milliarden Euro durch aggressives Steuerdumping und Steuerflucht. Mehr als alle Staatsdefizite zusammen.»
dpa: Das ist also kein ausschließlich griechisches Problem.
Giegold: «Richtig, das ist ein europäisches Problem. Wir habendas gleiche Bild in Portugal: Es ist bekannt, dass alle wichtigen portugiesischen Unternehmen Tochterfirmen in den Niederlanden haben, um zu vermeiden, in Portugal Unternehmenssteuern zu bezahlen. Dort würde das Geld aber dringend benötigt. Das Land erstickt an den Sparprogrammen.»
dpa: Das heißt, aus Ihrer Sicht sollten zunächst Maßnahmen für Vermögensbesteuerung und gegen Steueroasen auf den Weg gebracht werden, bevor man sich über einen weiteren Schuldenschnitt Gedanken macht. Aber verweigern würden Sie sich einem solchen Schritt unter gewissen Voraussetzungen auch nicht?
Giegold: «Ich halte es in der Krise für falsch, ständig Maßnahmen auszuschließen. Damit hat sich die Politik unglaubwürdig gemacht. Dass die Bundesregierung mit dieser Strategie nicht aufhört, nützt nicht dem Vertrauen in die europäische Demokratie. Aber es ist doch richtig, zunächst die Maßnahmen ins Auge zu fassen, die nicht wieder alle Steuerzahler in Haftung nehmen – was bei einem Schuldenschnitt Griechenlands für öffentliche Gläubiger der Fall wäre. Man sollte mit einem Maßnahmenpaket einen europäischen Steuerpakt auf den Weg bringen und diejenigen besteuern, die bisher viel zu wenig zur Lösung der Krise beigetragen haben, obwohl sie von den Maßnahmen gegen die Krise am meisten profitierten. Denn die Euro-Stabilisierung nützt zuvorderst denen, die viele Euros besitzen.»
dpa: Dann bleibt die Frage, wie man wirkungsvoll gegen Steueroasen vorgehen oder Vermögensbesteuerung erreichen will. Vor allem in Griechenland funktioniert all dies bekanntlich nicht besonders gut.
Giegold: «Genau deshalb brauchen wir einen europäischen Plan. Griechenland kann das Problem sicherlich nicht alleine lösen, und auch Deutschland kann das Problem inzwischen nicht mehr alleine lösen.
Was wir unter einem europäischen Steuerpakt verstehen, sind im Grunde vier Dinge. Erstens: europäisch koordinierte Vermögensabgaben, damit man solchen Maßnahmen nicht allein durch Wohnsitzverlagerung innerhalb Europas ausweichen kann. Zweitens: Transparenz der erzielten Einkünfte und Vermögen überall in Europa. Da sind wir mit der Zinsrichtlinie den ersten Schritt schon gegangen. Einige Länder verweigern sich noch – die Bundesrepublik will im Steuerabkommen mit der Schweiz Anonymität von Kapitalvermögen dauerhaft absichern. Hier brauchen wir einen Kurswechsel. Wir sollten viel mehr mit den Steueroasen innerhalb und außerhalb Europas so hart verhandeln, wie es die USA schon tun.
Drittens brauchen wir europäische Mindestbesteuerung für Unternehmenseinkünfte. Die können wir gemeinsam koordinieren. Und wenn einzelne EU-Länder diesen Maßnahmen nicht zustimmen, kann sie eine Gruppe entschlossener Staaten in der EU mit Hilfe der verstärkten Zusammenarbeit auf den Weg bringen. Aber in Sachen Steuerpolitik in Europa habe ich noch keine ernsthafte Anstrengung der Bundesregierung wahrgenommen – leider.»
dpa: Es geht also darum, jetzt endlich die Einnahmenseite zu verbessern.
Giegold: «Genau. Wir sehen, dass die bisherige Sparpolitik dazu geführt hat, dass die Konjunktur immer stärker in die Knie gegangen ist. Das darf so nicht weitergehen. Höhere Umsatzsteuern oder Konsumbesteuerung haben ebenfalls negative Effekte auf die Konjunktur. Aber auf der Einnahmeseite, gerade bei großen Vermögen, die zur Nachfrage in dem jeweiligen Land wenig beitragen, könnten die Staaten ihre Lage verbessern, ohne die Wirtschaft immer weiter abzuwürgen.»