Sven Giegold

State of the Union/Von der Leyen: Kein klimapolitischer Weckruf

Zur heutigen “State of the Union”-Rede von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagt Sven Giegold, Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament:

 

“Die Rede der EU-Kommissionspräsidentin war kein großer Wurf. Von der Leyen hat zu einzelnen Themen gute Vorschläge gemacht, aber sie enttäuschte mit Blick auf die größte Herausforderung. Von der Leyen redete über eine Stunde, sprach aber nur fünf Minuten über die Klimakrise. Nach dem europäischen Klimakrisensommer mit Fluten, Waldbränden und Hitzewellen, habe ich den klimapolitischen Weckruf vermisst. Es fehlte an klimapolitischer Entschlossenheit in der Rede. Wenige Wochen vor der UN-Klimakonferenz in Glasgow hätte aus Europa ein stärkeres Klimasignal kommen muss. Von der Leyen muss nun vor allem die nationalen Regierungen für mehr Tempo und Ambition in der Klimapolitik gewinnen. Auch die klimapolitische Ambition der Bundesregierung bleibt hinter der Ambition Europas zurück.

 

Von der Leyens Schweigen zur Konferenz über die Zukunft Europas ist vielsagend. Wem die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürger am Herzen liegt, kann dieses Thema nicht ignorieren. Aus von der Leyens einstigen großem Versprechen für mehr Bürgerbeteiligung, ist enttäuschende Sprachlosigkeit geworden. Gerade die Kommissionspräsidentin darf beim Mangel an Handlungsfähigkeit Europas und demokratischen Reformen nicht schweigen. Beschwörungen des europäischen Geistes helfen nicht gegen die realen Spaltungen und Verwerfungen in der EU.

 

Bei anderen Themen war die Kommissionspräsidentin stärker: Ihre Worte zur Rechtsstaatlichkeit waren eine unausgesprochene Kritik an Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin hatte zuletzt gegenüber der polnischen Regierung die Rechtsstaatlichkeit zur Verhandlungssache degradiert und die Anrufung des EuGH kritisiert. Rechtsstaatlichkeit und der EuGH sind Europas Fundament und es ist gut, dass die Kommissionspräsidentin dazu klare Worte gefunden hat. Der Vorschlag für ein europäisches Gesetz zur Pressefreiheit ist begrüßenswert. Nicht nur durch Autokraten, sondern auch durch mafiöse Strukturen und Schadensersatzklagen  in manchen EU-Ländern hat die Pressefreiheit gelitten.

 

Ein großer Fortschritt ist das angekündigte Verbot von Produkten, die durch Zwangsarbeit entstanden sind. Es ist gut, dass die Kommissionspräsidentin diesen Vorschlag von uns Grünen aufgegriffen hat. Ebenso ist der Vorschlag für ein “Global Gateway”-Vorschlag als Antwort auf die chinesische “Neue Seidenstraße”-Initiative ein großer Erfolg. Auch die Ambition für die europäische Halbleiterproduktion geht in die richtige Richtung. Europäische Investitionen in solche Schlüsseltechnologien sind wichtig. Allerdings müssen auch hier Nachhaltigkeit und Menschenrechte in der gesamten Lieferketten gewährleistet werden.

 

Unterm Strich ist die Rede den hohen Erwartungen nicht gerecht geworden: Von der Leyen hat oft von der Seele Europas gesprochen, aber insgesamt blieb ihre Rede blutleer. Insbesondere in der Klimapolitik muss in diesem Herbst mehr kommen. Mit der UN-Klimakonferenz in Glasgow steht ein Meilenstein des Pariser Klimaabkommens an. Europa und die Welt sind längst nicht auf Kurs, um der größten Herausforderung unserer Zeit gerecht zu werden.”

 


Hinweis: Dieser Blogbeitrag wurde innerhalb der letzten 2 Monaten vor der Bundestagswahl 2021 veröffentlicht. In diesem Zeitraum wurde die Homepage und die zugrunde liegende IT-Infrastruktur aus Wahlkampfmitteln und nicht aus dem Parlamentsbudget finanziert.

Rubrik: Klima & Umwelt

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