Sven Giegold

SZ: Auf einem Auge blind
Berlin blockiert die stärkere Kontrolle der EU-Länder

Süddeutsche Zeitung vom 22.06.2012

Auf einem Auge blind

Berlin blockiert die stärkere Kontrolle der EU-Länder

Von Alexander Hagelüken

München – Ende 2011 waren Europas Regierungen noch voller Tatkraft. Nach Monaten der Euro-Krise beschlossen sie, das Schuldenmachen endlich zu begrenzen: Mit Regeln gegen neue Haushaltslöcher; und mit einer Offenlegung von Verbindlichkeiten, die oft in der Statistik fehlen. Etwa absehbare Zahlungen für Pensionen von Beamten, Risiken aus Bankenrettungen oder den privaten Bau von Autobahnen im Staatsauftrag. Um Hunderte Milliarden Euro geht es dabei, all das sollte künftig offenliegen. Nun blockieren EU-Regierungen die Transparenz – selbst der Stabilitätswächter Nummer eins, die Bundesrepublik.

Die EU-Kommission könnte über ihr Statistikamt Zugriff auf versteckte Verbindlichkeiten bekommen und dafür sorgen, dass Staaten mit Verschleierungstradition Daten offenlegen. Als sich nun Kommission, Parlamentarier und Regierungen trafen, um Transparenz zu vereinbaren, gab es Widerstand. Neben Deutschland treten auch Frankreich, Italien und Portugal auf die Bremse.

Die Bedenken haben im deutschen Fall damit zu tun, dass Verpflichtungen etwa für Pensionen unterschiedlich hoch angesetzt werden können. Dies ist Berlin zu viel der Spekulation. Der deutsche Widerstand ruft Kritik hervor. Jede Woche gibt es neue Warnzeichen. Auch Zypern und Italien könnten bald unterm Rettungsschirm Zuflucht suchen. Da würde es helfen zu wissen, welche verborgenen Lasten ein Land drücken. Portugal etwa hat hohe Verpflichtungen, weil es den Bau von Autobahnen an Private verlagert hat. Und nicht nur in Deutschland wird es absehbar viel Geld kosten, den Ruhestand der Beamten zu finanzieren.

Der Widerstand gegen Transparenz weckt ungute Erinnerungen. Griechenland manövrierte sich in die Krise, in dem es Statistiken türkte. Millionenteure Kampfbomber tauchten nicht im Etat auf. Die EU-Kommission konnte es nicht kontrollieren. Als die Schummeleien 2004 aufflogen, verlangte die Kommission Zugriffsrechte. Doch die Regierungen lehnten ab, auch Deutschland – es war der Anfang des griechischen Dramas. Der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold wirft der Bundesregierung daher Amnesie vor: ‚Finanzminister Schäuble hat aus dem griechischen Desaster nichts gelernt‘, schimpft Giegold. ‚Einige Regierungen sind immer noch blind für die einfachsten Lehren aus der Euro-Krise.‘

Rubrik: Meine Themen, Wirtschaft & Währung

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