Süddeutsche Zeitung vom 20.09.2013
Meister des Lobbyismus
Verkäufer von Lebensversicherungen sollen ihre Provisionen offenlegen und im Interesse des Kunden handeln? Lieber nicht, wenn es nach den einflussreichen Vertretern der Branche in Brüssel geht. Ihr bester Verbündeter dabei: die deutsche Bundesregierung
Von Herbert Fromme, Köln – Die Versicherungswirtschaft steht vor einem wichtigen Lobby-Erfolg in Brüssel. Und zu einem nicht unbedeutenden Teil hätte sie ihn der schwarz-gelben Bundesregierung zu verdanken. ‚Verkäufer von Lebensversicherungen müssen im Vertrieb deutlich weniger transparent sein als die Anbieter anderer Investmentprodukte‘, kritisiert der Europaabgeordnete und Finanzexperte der Grünen, Sven Giegold. So eine Gelegenheit zu Vorwürfen gegen die Bundesregierung kommt natürlich nicht ganz ungelegen, wenige Tage vor der Bundestagswahl.
Doch Giegolds Kritik enthält einen nachprüfbaren Kern – und er steht nicht allein damit. Auch der politisch unverdächtige Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) in Frankfurt sieht die Entwicklung in Brüssel äußerst kritisch.
‚Nicht nur die Transparenzregeln, sondern auch die Vertriebsregeln müssen für Wertpapiere und Versicherungen gleich sein‘, sagt Hauptgeschäftsführer Thomas Richter. Sonst werde ein Vertriebsweg für dasselbe Angebot deutlich bevorzugt. Richter nennt das ‚Verpackungsarbitrage‘. Wer als Verbraucher einen Fonds beim Anbieter kauft, kommt in den Genuss aller Transparenz- und Beratungsregeln. Nicht aber, wer denselben Fonds in Form einer fondsgebundenen Lebensversicherung erwirbt.
In Brüssel wird gerade die seit 2007 geltende Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (Markets in Financial Instruments Directive oder Mifid) überarbeitet. Darin legt die EU verbindlich für alle Mitgliedsstaaten fest, welche Regeln für den Vertrieb von Anlageprodukten gelten und wie die Kunden regelmäßig zu unterrichten sind. Unter Mifid müssen Vermittler tatsächlich fließende Provisionen – und nicht nur einkalkulierte Kosten – offenlegen. Sie müssen prüfen, ob Produkte für die betreffenden Kunden wirklich geeignet sind. Außerdem sind die Anbieter verpflichtet, Kunden jährliche Kontoauszüge mit allen direkten und indirekten Kosten zukommen zu lassen.
Das Europaparlament verlangt, dass diese Regeln auch für Lebensversicherungen gelten sollen. Durchgesetzt haben das Grüne und Sozialdemokraten. Doch Berlin und die meisten anderen EU-Regierungen halten dagegen. ‚Eine Reihe von Mitgliedsstaaten wandten sich gegen die vom Europaparlament vorgesehene Anwendung ausgewählter Regelungen der Mifid auch für Versicherungsprodukte‘, heißt es zustimmend in einem internen Bericht des Auswärtigen Amtes über das Treffen der Arbeitsgruppe Finanzdienstleistungen des Europäischen Rates am 2. September. Das Papier liegt der SZ vor. Ganz vorne dabei in der Ablehnung der Initiative: die Bundesregierung.
Berlin und die Versicherungswirtschaft sind sich einig: Die Regulierung der Versicherer gehört nicht in die neue Mifid-Richtlinie, sondern in ein anderes Regulierungsungetüm, die Neufassung der Versicherungsvermittler-Richtline (Insurance Mediation Directive oder IMD 2). Giegold ist empört: ‚Erstens kommt IMD 2 frühestens in zwei Jahren, während Mifid bald kommt‘, sagt er. ‚Außerdem tut die Versicherungswirtschaft alles, damit die IMD-Richtlinie möglichst zahnlos bleibt.‘
Dabei hat die Branche offenbar einen Verbündeten in dem CDU-Europaabgeordneten Werner Langen gefunden, dem Berichterstatter im EU-Parlament zur veränderten Richtlinie. ‚Langen will alle Verschärfungen für die Versicherer aus IMD 2 herausstreichen‘, sagte ein Kenner der Brüsseler Szene. Selbst die Pflicht zum ehrlichen und redlichen Handeln im besten Interesse des Kunden, das Prinzip des ‚best advice‘, wolle Langen aus IMD 2 gestrichen haben.
Auch der Fondsverband BVI will nicht einsehen, dass die Versicherer bis zur Verabschiedung von IMD 2 – und möglicherweise noch länger, wenn die Regeln entsprechend weichgespült ausfallen – weniger strenge Regeln befolgen müssen als Fondsanbieter. ‚Wir sind für gleiche Spielregeln für alle, in Mifid wie auch in IMD. Wir unterstützen daher, dass Lebensversicherungen in die Mifid fallen‘, sagt Geschäftsführer Richter.
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sieht das naturgemäß anders. ‚Vertriebsregeln für Versicherungsprodukte sollten ausnahmslos in der EU-Vermittlerrichtlinie IMD 2 festgelegt werden, die derzeit auf europäischer Ebene verhandelt wird‘, teilt der GDV mit. Verzögerungen im politischen Prozess zur IMD 2 dürften nicht zu Hau-Ruck-Aktionen bei Mifid führen. Und die bisher zu Recht unterschiedlichen Vertriebsregeln für Versicherungs- und Investmentprodukte dürften nicht willkürlich vermischt werden. ‚Das wäre in der Aufsichts- und Vertriebspraxis nicht handhabbar.‘
‚Keine Lobby arbeitet so erfolgreich in Brüssel wie die der Versicherungswirtschaft‘, kommentiert Grünen-Abgeordneter Giegold. ‚Bei denen kann die Bankenlobby noch ein Praktikum machen.‘