Sie kommt – oder auch nicht
Manchmal sind es die kleinen Dinge, die Großes verhindern. Dass das bei der bislang gescheiterten Finanztransaktionssteuer in Europa der Fall ist, legt ein Brief der beiden Finanzminister von Österreich und Frankreich nahe, welcher der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Sie sind Teil jener elf EU-Staaten, die sich in der Finanzkrise zusammengeschlossen haben, um die Transaktionssteuer durchzusetzen. Doch bisher ist bei den Bemühungen nicht viel herausgekommen.
Der Brief erklärt auf erstaunliche Art und Weise, warum: „Die Koordination unserer technischen Arbeit lässt ernsthaft zu wünschen übrig“, schreiben die Minister an ihre Kollegen und gewähren einen seltenen Blick hinter die Kulissen der Arbeit in Brüssel. Eine gute Figur macht die Politik dabei nicht gerade: „Es werden keine Dokumente im Vorfeld unserer politischen Diskussionen vorbereitet.“ Und: „Es gibt keine Protokolle nach den Sitzungen“, es gebe keinerlei Nachverfolgung der Themen, kein Sekretariat, das sich um die Organisation kümmere und auch keinen Vorsitzenden. Dieser Dilettantismus, so scheint es, hat dazu beigetragen, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer in Europa zu verhindern.
Doch das Dokument ist nicht nur bizarr, es ist brisant. Denn es zeigt, dass die Staaten einen neuen Vorstoß für die Steuer wagen. „Wir brauchen einen Neustart“, fordern Michel Sapin und Hans-Jörg Schelling. Und zwar in einer Form, der Finanzmarktteilnehmern überhaupt nicht gefallen wird: Die neue Steuer soll „die breitest mögliche Basis und niedrige Steuersätze haben“, fordern der Franzose und der Österreicher. Damit schlagen die Minister einen neuen Weg ein. Sie hoffen so, die Diskussion wiederzubeleben, die 2014 zu einem Stillstand gekommen war. Mit dem Bekenntnis zu einer Transaktionssteuer auf breiter Basis bei niedrigen Steuersätzen bewegt sich Frankreich mit einem großen Schritt auf die deutsche Position zu – und erhöht damit die Wahrscheinlichkeit für eine europäische Durchsetzung erheblich. Mit dem Brief ist erstmals dieser Strategiewechsel Frankreichs manifest, über den bereits spekuliert wurde.
Die neue Abgabe soll „die breitest mögliche Basis und niedrige Steuersätze haben“
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Nach Information der Süddeutschen Zeitung will sich die Gruppe der elf Finanzminister am 26. Januar treffen, schon dann könnte eine Einigung auf wesentliche Eckpunkte erzielt werden. Diese gemeinsame Position könnte beim Treffen der 27 EU-Finanzminister (Ecofin) am Folgetag vorgetragen werden. Die Befürworter hoffen auf einen Durchbruch bei den Verhandlungen. Das Ziel von Sapin und Schelling ist klar: „Wir hoffen, den Gesprächen über die Finanztransaktionssteuer neues Leben einzuhauchen und wir unterstreichen unseren Wunsch, dass die Steuer in 2016 eingeführt wird.“
Zum Hintergrund: Die Gruppe der elf Minister – darunter auch der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble – fand sich in der Finanzkrise zu einer „verstärkten Zusammenarbeit“ zusammen, um die Einführung einer Transaktionssteuer in Europa voranzutreiben. Es handelt sich dabei um eine informelle Gruppe, da nicht alle EU-Länder teilnehmen wollten. Die Idee der Transaktionssteuer war in der Finanzkrise populär geworden, weil die Politik hoffte, damit die Spekulationsblasen an den Finanzmärkten und den Hochfrequenzhandel einzudämmen. Zudem sollten die Finanzmarktakteure an den Kosten der Krise beteiligt werden. Manche Staaten sahen die Steuer schlicht als gute Möglichkeit, ihre Haushaltskassen zu füllen.
Die Reaktionen auf den neuen Vorstoß sind geteilt. Die Grünen etwa hoffen, dass der Durchbruch gelingt. „Schäuble kann nun beweisen, dass er eine echte Finanztransaktionssteuer wirklich will. Ausnahmen für diverse Derivate darf es nicht geben. Statt Produkte auszunehmen, muss die Steuervermeidung bei dieser Steuer entschlossen und fortlaufend bekämpft werden“, sagt Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament.
Die deutschen Banken fürchten das Vorhaben. „Der Vorstoß Frankreichs ist ernst zu nehmen“, sagte etwa Michael Kemmer, Chef des Bundesverbands der deutschen Banken. Der Verband hat Sorge, dass durch die neue Steuer Börsengeschäfte in andere Regionen der Welt abwandern würden. Somit würden nur europäische Institute benachteiligt, ohne eine wirkliche Veränderung zu bringen. Nur eines machte Kemmer bisher fröhlich: Schnell gehe in dieser Sache nichts, sagte der Bankenlobbyist.
Das haben auch Sapin und Schelling erkannt. In dem Brief versuchen sie daher, dem Dilettantismus einen Riegel vorzuschieben. Sie wollen einen der elf Minister zu ihrem permanenten Chef wählen. Derjenige solle dann auch die Organisationsstrukturen verbessern. Zudem wollen sie einen technischen Experten hinzuholen, der die Gruppe koordiniert. Und nicht zuletzt wollen die beiden die EU-Kommission bitten, ihre Arbeit zu unterstützen.
TTF – Sapin Schelling (version FR)
Von Andrea Rexer