Süddeutsche Zeitung vom 12.03.2012
Stur im Steuerkampf
Deutschland beharrt auf eigenem Abkommen mit der Schweiz
Von Daniela Kuhr
Berlin – Diese Woche könnte die Woche der Entscheidung werden für das Steuerabkommen mit der Schweiz. Gleich zwei mal steht es auf der Tagesordnung: zunächst an diesem Montag in Stuttgart, wo sich Vertreter des baden-württembergischen Finanzministeriums mit ihren Ressortkollegen aus den SPD-regierten Ländern treffen – und dann erneut bei dem Treffen aller Landesfinanzminister mit Schäuble am Mittwoch in Berlin.
Der Bundesfinanzminister scheint fest entschlossen zu sein, dem Abkommen doch noch zum Erfolg zu verhelfen. Es sieht vor, dass unversteuertes Vermögen auf Schweizer Konten pauschal mit 19 bis 34 Prozent belastet wird. Künftige Kapitalerträge sollen von 2013 an – wie in Deutschland – mit gut 26 Prozent besteuert werden. Bislang scheitert die Umsetzung am Widerstand der SPD-regierten Länder im Bundesrat, die auf Korrekturen drängen. Ihrer Ansicht nach kommen Steuerflüchtlinge dazu gut weg. Ob ihre Bedenken ausgeräumt wurden, wird sich womöglich in dieser Woche zeigen.
Derweil werden nun jedoch aus einem anderen Grund Zweifel an dem Abkommen laut. So befürchten Kritiker, dass dadurch Bemühungen um eine EU-weite Lösung im Kampf gegen Steuerflucht konterkariert werden. Hintergrund ist die schon lange geplante Verschärfung der EU-Zinsrichtlinie. Diese erfasst bislang nur Zinserträge natürlicher Personen. Sie soll jedoch etwa auf Veräußerungsgewinne, Versicherungsmäntel oder Vermögensverwaltungsgesellschaften ausgeweitet werden. Eigentlich hätte genau diese geplante Verschärfung Thema beim Treffen der EU-Finanzminister im Februar sein sollen. Doch hatte die dänische EU-Ratspräsidentschaft den Punkt kurz zuvor wieder von der Tagesordnung genommen – auf Drängen Deutschlands, wie Finanzstaatssekretär Hans Bernhard Beus der SZ bestätigte.
Kritiker sehen darin den Beleg, dass Deutschland das eigene Abkommen mit der Schweiz wichtiger ist als eine EU-weite Lösung. ‚Hätten die EU-Finanzminister bei ihrem Treffen beschlossen, dass die EU-Kommission Verhandlungen mit der Schweiz aufnehmen soll, dann hätte Deutschland das Abkommen nicht mehr abschließen dürfen‘, sagt Sven Giegold, Steuerexperte der Grünen im EU-Parlament. Denn es gebe die klare Regel, dass ein bilaterales Abkommen nicht in Bereiche eingreifen dürfe, die bereits von der EU geregelt worden seien oder um die sie sich gerade kümmere. Seiner Ansicht nach müsste die Bundesregierung Druck machen, ‚damit Europa als Ganzes gegen Steueroasen vorgeht‘, doch stattdessen verstricke man sich ‚in bilateralen Sonderwegen‘.
Finanzstaatssekretär Beus wies das zurück. Deutschland sei im Gegenteil sehr an einer EU-weiten Lösung im Kampf gegen Steuerflucht interessiert, sagte er. Doch seien die Erfolgsaussichten größer, wenn das deutsch-Schweizer Abkommen umgesetzt sei. Hintergrund ist, dass Länder wie Österreich und Luxemburg, die bei deutschen Kapitalanlegern ebenfalls sehr beliebt sind, strengere EU-weite Steuerregeln bislang ablehnen, weil sie befürchten, andernfalls gegenüber der Schweiz ins Hintertreffen zu geraten. Nach Ansicht von Beus ließen sich diese Einwände entkräften, wenn Deutschland zunächst das Abkommen mit der Schweiz umsetzen würde. ‚Zumal es sehr viel weiter reicht als die geplante Verschärfung der EU-Zinsrichtlinie. Wir würden damit die Steuerschlupflöcher vollständig schließen.‘
Das wiederum sieht Giegold anders. Ein ‚Erfolg‘ sei das Schweiz-Abkommen ganz sicher nicht. Erst recht nicht, wenn man es mit dem vergleiche, was die USA mit der Schweiz vereinbart hätten. ‚Die USA haben erreicht, dass die Schweizer Banken die Anonymität sämtlicher amerikanischer Steuerflüchtlinge beenden müssen. Bei dem deutschen Abkommen mit der Schweiz dagegen bleiben die Anleger anonym.‘ Aus seiner Sicht ist es ‚inakzeptabel‘, dass sich Deutschland mit weniger zufrieden gebe als die USA. ‚Doch offenbar hat man entschieden, für einmalig ein paar Silberlinge auf Transparenz zu verzichten.‘
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Frankfurter Rundschau vom 12.03.2012
Schäuble lockt SPD zum Deal
Finanzminister startet neuen Anlauf für ein Steuerabkommen mit der Schweiz
Von Markus Sievers.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) startet in dieser Woche einen neuen Anlauf, um sein Steuerabkommen mit der Schweiz vor dem politischen Scheitern zu bewahren. Bei einem Treffen mit den Länderkollegen der SPD und der Grünen am Mittwoch will er nach FR-Informationen Nachverhandlungen mit der Schweiz anbieten, um den Widerstand im Bundesrat doch noch zu brechen. Beispielsweise könnte für Zinseinkünfte – und nur für diese – ein höherer Tarif von 35 Prozent erhoben werden. Für alle anderen Kapitaleinkommen – von Dividenden bis zu Kursgewinnen – bliebe es bei dem auch in Deutschland geltenden Satz von 26,375 Prozent.
Der Grünen-Europapolitiker Sven Giegold warnte vor einem „lausigen Deal“, von dem Schwarzgeld-Besitzer in der Schweiz profitieren würden. „Schäubles Steuerabkommen muss komplett neu gefasst werden, um die Besitzer von Großvermögen endlich zur Transparenz zu zwingen“, sagte Giegold. Der 2011 ausgehandelte Vertrag sieht für Vermögen in der Schweiz eine anonymisierte Abgeltungsteuer von 26,375 Prozent auf Kapitaleinkünfte deutscher Steuerzahler vor. Besitzer von altem Schwarzgeld müssen einmalig 19 bis 34 Prozent ihres angelegten Vermögens zahlen, um sich vor Ermittlungen der Behörden zu bewahren. Zudem beschränkt das Abkommen die Zahl der Fälle, in denen deutsche Ämter von den Kollegen in der Schweiz Auskunft verlangen können. Deutschland muss sich darüber hinaus verpflichten, keine illegal erworbenen CDs mit Daten von Steuerhinterziehern anzukaufen.
Die Kritiker hatten an dieser bilateralen Einigung vor allem moniert, dass sie das Bankgeheimnis nicht wirklich beende. „Jeder Hartz IV-Bezieher muss alles offen legen, bevor er sein Geld bekommt“, betonte Giegold. „Das muss für die reichen Kapitalanleger erst recht gelten.“ Ein schlechter Kompromiss sei gefährlich, weil es hier um grundsätzliche Weichenstellungen für die Finanzpolitik gehe. So könnte auch eine künftige rot-grüne Bundesregierung Vermögen, Erbschaften und Kapitaleinkünfte nicht wirksam besteuern, wenn die Anleger mitten in Europa weiter ihr Geld an einem sicheren Ort verstecken könnten. Die Bremer Finanzsenatorin Karoline Linnert kündigte eine harte Haltung in den Gesprächen mit Schäuble an. „Bremen will weiterhin konsequent Steuerhinterzieher verfolgen. Der deutsche Staat darf sein Strafverfolgungsrecht nicht aufgeben.“ Aus Kreisen der SPD-Länderfinanzminister hieß es, dass man den Anspruch auf ein Ende der Anonymität nicht aufgeben werde.
Die Nachbesserung bei Zinseinkünften liegt nahe, weil für diese Kapitaleinkommen und nur für diese eine bestehende EU-Richtlinie eine schärfere Belastung vorsieht. Ihre in der Schweiz verdienten Zinsen müssen Anleger heute mit 35 Prozent versteuern, sofern sie anonym bleiben wollen. Neben der Opposition in Deutschland hatte daher auch die EU-Kommission bei Schäuble dagegen protestiert, dass seine Vereinbarung den strengeren EU-Standard unterläuft. Brüssel erwartet, dass bei Zinsen der Status quo mit 35 Prozent erhalten bleibt und nicht die Abgeltungsteuer von gut 26 Prozent zur Anwendung kommt. Auch aus der Schweiz kamen Hinweise, dass die Regierung dort zu Nachverhandlungen an dieser Stelle bereit sein könnte. Allerdings wären die Auswirkungen wohl gering. Bisher flossen jährlich gerade einmal 150 Millionen Euro Zinssteuern von den Eidgenossen an die Deutschen. Wer sein Konto in Bern oder Zürich nicht offen legen möchte, kann die Einkünfte etwa als Dividenden deklarieren und umgeht so die Zinsrichtlinie.