Sven Giegold

Europäischen Bürgerinitiative: Der großen Koalition im Europaparlament fehlt der Mut zur Reform

Soeben hat der Verfassungsausschuss ein Mandat für die Trilog-Verhandlungen mit Kommission und Rat der Mitgliedstaaten zur Reform der Europäischen Bürgerinitiative  (EBI) beschlossen. Das Mandat wurde mit den Stimmen von Christdemokraten, Sozialdemokraten, Liberalen und Rechtskonservativen gegen die Grünen und Linken beschlossen. Der beschlossene Kompromiss sieht verbindliche Unterstützung für erfolgreiche Bürgerinitiativen nur vor, falls die EU-Kommission eine Gesetzesinitiative verspricht, dann aber nicht vorlegt.

 

Für andere, leider häufig aufgetretene Fälle schwacher Reaktionen der Kommission trotz über einer Million Unterschriften für eine EBI listet der Kompromiss nur mögliche, aber nicht verbindliche Maßnahmen auf. Dazu zählen etwa eine Resolution des Parlaments und eine Abstimmung darüber im Parlament vor der Initiative der Kommission oder ein Legislativer Initiativbericht des Parlaments im Sinne der EBI. Bisher folgte auf EBIs im Parlament nur eine Anhörung der Initiatoren. Das empfinden die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zu Recht als zu wenig.

 

Auch für die Blockademöglichkeit unliebsamer EBIs wie Stopp TTIP durch die Kommission gibt es keine Lösung. Die Kommission hatte diese EBI nach ihrer rechtlichen Prüfung nicht zur Registrierung zugelassen. Der Europäische Gerichtshof gab später den Initiatoren der EBI Recht und wies die Kommission an, die EBI doch noch zuzulassen. Grüne Anträge auf eine neutrale Rechtsprüfung wurden im Ausschuss abgelehnt. Auch die Grünen Vorschläge, künftig auch EBIs für Änderungen der EU-Verträge zuzulassen, fand keine Mehrheit.

 

Grüne und Linke werden im Plenum eine erneute Abstimmung über das heutige Votum im Verfassungsausschuss verlangen. Die Abstimmung darüber kann dann schon in der nächsten Plenarsitzung, 3.-5. Juli, anstehen.

 

Dazu sagt der Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament, Sven Giegold:

“Die Große Koalition der Blockierer bei der Stärkung der direkten Demokratie in Europa sollte bis zur Abstimmung im Plenum des Europaparlaments ihren Europäischen Mut wieder finden. Millionenfache direkte Einmischung der Bürger in der Europäischen Demokratie verdient die volle Unterstützung des Europaparlaments als Stimme der Bürger. Wir Volksvertreter dürfen der EU-Kommission nicht erlauben, Bürgerinitiativen schon bei der Registrierung durch eine missbräuchliche Rechtsprüfung zu blockieren oder trotz millionenfacher Unterstützung ins Leere laufen zu lassen. Eine neutrale Prüfung für die Zulassung von EBIs und verbindliche Unterstützung im Europaparlament für erfolgreiche EBIs können die angeschlagene  Glaubwürdigkeit der direkten Beteiligungsmöglichkeit von EU-Bürgern wieder herstellen.

 

Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale sollten im Juli-Plenum die Rückkehr an den Verhandlungstisch unterstützen. So könnte das Parlament doch noch starke Verpflichtungen eingehen, damit die Kommission auf erfolgreiche Bürgerinitiativen auch entsprechend reagiert. Eine Festlegung des Europaparlaments auf eine Resolution, eine Abstimmung über die Ziele der EBI und einen legislativen Initiativbericht falls sich die Kommission verweigert, könnte für den nötigen Einfluss sich aktiv beteiligender Bürger bei der Kommission sorgen.

 

Die Glaubwürdigkeit der derzeit laufenden Konsultationen der EU-Bürger zur Zukunft der EU würde steigen, wenn Parlament und Kommission den Bürgern auch Initiativen zu Vertragsänderungen erlauben würden. Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberale werden in den bevorstehenden Veranstaltungen erklären müssen, warum sie im Verfassungsausschuss gegen diese Möglichkeit gestimmt haben. Wir werden uns weiter für direkte Bürgerbeteiligung an der Zukunft der EU einsetzen.”

 

Entwurf einer neuen Verordnung zur EBI der EU-Kommission: http://www.europarl.europa.eu/RegData/docs_autres_institutions/commission_europeenne/com/2017/0482/COM_COM(2017)0482_EN.pdf

 

Entwurf des Berichts von MdEP György Schöpflin (Fidez/Christdemokraten): http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+COMPARL+PE-618.206+01+DOC+PDF+V0//DE&language=DE

 

Änderungsanträge aller Fraktionen: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+COMPARL+PE-620.899+02+DOC+PDF+V0//DE&language=DE

 

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HINTERGRUND: Was wurde aus den Grünen Änderungsanträgen

 

SEHR SCHWACH ÜBERNOMMEN – Mehr Wirkung: Erfolgreiche EBIs verdienen einen EU-Gesetzentwurf

Die Kommission sollte innerhalb eines Jahres nach einer erfolgreichen EBI einen Gesetzesvorschlag vorlegen. Dafür sollte das Europaparlament eine Resolution zur EBI im Plenum diskutieren und abstimmen (Änderungsantrag 74). Tut die Kommission nicht, was sie in ihrer ersten Reaktion zusagt, muss das Europaparlament den Druck mit einem legislativen Initiativbericht erhöhen (Änderungsantrag 80). Der angenommene Kompromiss nennt zwar diese Möglichkeiten, verpflichtet das Europaparlament aber zu nichts.

ABGELEHNT – Weniger Hürden: die EU-Kommission darf die Zulässigkeitsprüfung nicht zum Stopp unangenehmer EBIs zweckentfremden

Die EU-Kommission darf nicht weiter EBIs anhand des sehr politischen Zuständigkeits-Kriteriums aussortieren. Wir hatten einen Ausschuss unabhängiger Experten vorgeschlagen, der anstelle der EU-Kommission dir Zulässigkeitsprüfung einer EBI vornehmen sollte. (Änderungsanträge 57, 110, 111, 115, 118, 130, 132, 134, 136, 141). Dies wurde im Ausschuss abgelehnt. Nur eine verständlichere Erklärung im Falle der Ablehnung wird noch von der Kommission gefordert.

ABGELEHNT – Vertragsänderungen sollten ausdrücklich mit einer EBI angestoßen werden dürfen.

Das hatten wir in Änderungsantrag 59 vorgeschlagen. Auch das wurde abgelehnt.

Rubrik: Demokratie & Lobby

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