Sven Giegold

Zeit für eine echte Wirtschaftsunion – Artikel in SZ und Le Monde

Gemeinsam mit den Kollegen Dany Cohn-Bendit und Pascal Canfin aus unserer Europa-Fraktion sowie mit Gerhard Schick aus unserer Bundestagsfraktion haben wir einen Text mit vier Vorschlägen für eine echte Wirtschaftsunion verfasst, der heute parallel auf deutsch in der Süddeutschen Zeitung und auf französisch in Le Monde erschienen ist. Ihr findet beide Artikel hier dokumentiert.

Süddeutsche Zeitung

Zeit für eine echte Wirtschaftsunion

Der Weg aus der Krise der Eurozone bedeutet, ökonomische Nationalismen und neoliberale Dogmen über Bord zu werfen

Von Pascal Canfin und Sven Giegold

Der Euro ist ein Schlüsselelement des europäischen Aulbaus, und Europa ist ein wesentlicher Hebel, der uns die Chance gibt, vor uns liegende globale Krisen gemeinschaftlich zu lösen. Deshalb ist die Verteidigung des Euro gegen die Souveränisten von links und rechts ein zentrales Element unseres politischen Projekts. Wir schlagen dafür vier Maßnahmen vor:

Erstens, die Schaffung europäischer Anleihen, wie sie kürzlich vonJean-Claude Juncker, dem Vorsitzenden der Eurogruppe, vorgeschlagen wurden. Die Gläubiger eines Teils unserer nationalen Schulden erhielten im Austausch gegen Staatsanleihen eine europäische Anleihe. Wie bei amerikanischen Staatsanleihen würden diese Eurobonds niedrig verzinst werden, da das Ausfallrisiko das der gesamten Euro-Zone und nicht nur das eines einzelnen Landes wäre. Ein echter Verlust wäre damit so gut wie ausgeschlossen. Heute können sich Länder wie Griechenland und Irland nicht mehr zu normalen Zinssätzen finanzieren, was die Schuldentragfähigkeit von immer mehr Euro-Mitgliedsstaaten gefährdet. Die Bündelung eines Teils unserer Staatsschulden würde es ihnen ermöglichen, einen viel niedrigeren Zinssatz für einen Teil ihrer Schulden zu bezahlen. Für den übrigen, rein nationalen Teil der Schulden, bleiben die unterschiedlichen Zinssätze legitim. Die Zinssätze werden wegen des höheren Risikos über dem heutigen Niveau liegen und damit Anreize geben, nicht nachhaltige öffentliche Verschuldung zu reduzieren. Deutschland hat, gefolgt von Frankreich, öffentlich diese Option abgelehnt, obwohl sie ein Ausweg aus der gegenwärtigen Situation ist. Ohne eine niedrigere Zinslast wird es für einige Mitgliedsländer sehr schwer, ihre Staatsschulden dauerhaft zu bedienen. Das ist daher auch im Interesse der Gläubigerstaaten. Solidarität ist aber nur gemeinsam mit Stabilität zu haben. Die Vergemeinschaftung eines Teils der Ausfallrisiken braucht die effektiv sanktionierbare Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts.

Zweitens, die Schaffung einer echten europäischen Wirtschaftsregierung nach französischer Terminologie oder eine Erweiterung der makroökonomischen Kooperation nach der Terminologie der Europäischen Kommission. Seit dem Inkrafttreten der Eurozone driften unsere Volkswirtschaften immer weiter auseinander. Deutschland profitiert beim Export vom Euro und gibt die Produktivitätsgewinne kaum an seine Arbeitnehmer weiter. Dadurch wird die Binnennachfrage abgeschwächt, was die restliche Eurozone beeinträchtigt. Umgekehrt nutzten Griechenland und Portugal den Euro als Schirm für niedrige Zinssätze, um sich immer weiter zu verschulden. Bisher hatte in Europa keine Autorität die Macht, die einzelnen Mitglieder zu bewegen, gegen diese Ungleichgewichte vorzugehen. Dies steht im Mittelpunkt einer der im September veröffentlichten Richtlinienentwürfe der Europäischen Kommission, die darauf abzielen, das wirtschaftliche Regieren auf andere Bereiche jenseits der öffentlichen Finanzen zu erweitern. Diese Texte werden derzeit zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat verhandelt. Ein Erfolg ist hier essenziell, um Europa zu befähigen, die nationalen Politiken in die notwendige Richtung zu lenken. Eine gemeinsame Währung ist mit divergierenden Volkswirtschaften schlicht inkompatibel.

Drittens, die Schaffung eines echten europäischen Haushalts, finanziert durch Eigenmittel. Der EU-Haushalt ist im Moment auf ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzt. Transferleistungen von reichen in ärmere Regionen der EU mithilfe der Strukturfonds machen nur 37 Milliarden Euro für die gesamte Union aus. Von Haushaltssolidarität, wie sie auf nationaler Ebene oder in den Vereinigten Staaten existiert, ist also fast nichts zu sehen. Die Finanzierung des europäischen Budgets müsste durch Eigenmittel über Steuern auf Einkünfte geschehen, die bisher auf nationaler Ebene nicht ausreichend besteuert werden. Eine Finanztransaktionssteuer wäre hier eine Möglichkeit. Mit der Einführung einer solchen Steuer- und der Beendigung des absurden Steuerwettbewerbs der Europäischen Staaten, von dem bisher vor allem multinationale Unternehmen profitieren, würde Europa seinen echten Mehrwert beweisen. Wir würden gemeinsam anpacken, was keiner der Mitgliedsstaaten alleine leisten kann. Damit können wir erreichen, dass Zukunftsinvestitionen und Entwicklungszusammenarbeit nicht die ersten Opfer der Krise werden. Deshalb ist es mehr als überfällig, dass die Kommission endlich einen konkreten Legislatiworschlag vorlegt, so wie es die Mehrheit im Europäischen Parlament fordert.

Viertens müssten die Möglichkeiten zur Spekulation mit Staatsanleihen limitiert werden. Es sind nicht die Finanzmärkte, die für Ungleichgewichte in der Eurozone verantwortlich sind, aber sie sind der Hebel, um an Ungleichgewichten Krisen zu entzünden und profitieren dabei auch noch. Es ist möglich, sich mit einem Credit Default Swap (CDS) gegen das Risiko des Scheitems eines Staates wie Irland oder Griechenland abzusichern, ohne die Anleihen des Staates zu besitzen. Hedge-Funds genieren sich nicht, CDS zu kaufen und damit die Preise in die Höhe zu treiben. Reale Anleihegläubiger müssen dann annehmen, dass diese gestiegenen Preise bei den CDS einen Risikoaufschlag bedeuten. Hedge-Fonds verkaufen ihre CDS dann mit großem Gewinn. Dieser virtuelle Risikoaufschlag lässt den Zinssatz steigen, zu dem der betroffene Staat sich mit Anleihen finanziert, und mit den Zinsen wachsen auch die Probleme. Dieser Mechanismus muss verboten werden. Bisher unterstützt von den europäischen Mitgliedsstaaten nur Deutschland diese schärferen Regeln.

Es gibt einen Weg aus der Krise der Eurozone. Ihn zu gehen bedeutet aber ökonomische Nationalismen und neoliberale Dogmen über Bord zu werfen. Es ist Zeit für eine echte Wirtschaftsunion. Frankreich und Deutschland haben hier die größte Verantwortung. Die Frage ist nur, ob unsere derzeitigen Entscheidungsträger dazu in der Lage sind.

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Le Monde

Il faut mutualiser les dettes

Pour une gouvernance économique

L’Europe face à la crise de la zone euro. Devant les risques de faillite d’Etats européens asphyxiés par leur dette, quelles solutions emprunter ? De l’émission d’obligations au retour des monnaies nationales, examen des pistes sociales et libérales

Pour sortir de la crise actuelle, nous proposons quatre mesures. Premièrement, la création d’obligations européennes selon les modalités avancées récemment par Jean-Claude Juncker, président de l’Eurogroupe. Les détenteurs d’une partie de nos dettes nationales se verraient remettre une obligation européenne en échange de leurs bons du Trésor. Comme pour les bons du Trésor américain, ces euro-obligations bénéficieraient d’un taux d’intérêt très bas puisque le risque de défaut associé à l’ensemble de la zone euro, et non à un seul pays, est nul.

Cette mutualisation d’une partie de nos dettes nationales permettrait aux pays qui n’arrivent plus à se financer à des taux normaux, comme la Grèce et l’Irlande aujourd’hui mais peut être aussi d’autres demain, de bénéficier d’un taux d’intérêt beaucoup plus faible sur une partie de leur dette. Mais sur la partie restante, purement nationale celle-là, les écarts de taux resteraient, ce qui n’est pas illégitime puisqu’ils reflètent en partie les différences de situation macroéconomique et ce qui les incitera à ne pas laisser déraper le niveau de leur endettement.

L’Allemagne puis la France ont refusé la semaine dernière cette option alors qu’elle est essentielle pour sortir de la situation actuelle, où les marchés jouent contre les Etats les uns après les autres.

Deuxièmement, la création d’un véritable gouvernement économique européen, selon la terminologie française, ou d’un élargissement de la coopération macroéconomique, selon la terminologie de la Commission européenne. Depuis l’entrée en vigueur de la zone euro, nos économies divergent. L’Allemagne bénéficie de l’euro pour accroître ses exportations avec une monnaie plus faible que si elle avait le seul deutschemark et ne redistribue pas les gains de productivité à ses salariés, ce qui limite sa consommation intérieure et donc l’effet d’entraînement sur le reste de la zone.

A l’inverse, la Grèce et le Portugal utilisaient l’euro comme un parapluie qui leur permettait de s’endetter à des taux d’intérêt très faibles, puisque fixés en lien avec la moyenne de l’inflation de l’économie de la zone, alors que leur propre taux d’inflation était plus élevé.

Or, jusqu’à présent en Europe, aucune autorité n’a le pouvoir de forcer, ni même d’inciter, chaque Etat à mettre en place des politiques visant à réduire ces déséquilibres. C’est tout l’enjeu de l’une des directives proposées par la Commission européenne en septembre et qui vise justement à élargir la gouvernance économique à d’autres questions que celles des finances publiques. Ce texte est en négociation entre le Parlement européen et le Conseil. Il doit aboutir à doter l’Europe d’un pouvoir d’orientation des politiques nationales sur ces sujets. Car on ne peut pas avoir structurellement une même monnaie et des économies divergentes.

Troisièmement, la création d’un véritable budget européen financé par des ressources propres. Le budget européen est aujourd’hui limité à 1 % du PIB. Les transferts financiers des zones riches de l’Union vers les zones pauvres, au travers des fonds structurels, représentent moins de 40 milliards d’euros pour toute l’Union. Rien à voir donc avec les solidarités budgétaires qui existent au niveau national. Ce budget européen additionnel, qui permettrait par exemple à l’UE de financer les investissements verts nécessaires à la conversion écologique de l’économie dans les zones qui n’en n’ont pas les moyens, devrait être financé sur des ressources propres assises sur les facteurs économiques mobiles qui ne sont pas ou plus assez taxés au niveau national.

Nous avons montré dans une étude récente qu’une taxe européenne sur les transactions financières de 0,05 % pourrait rapporter jusqu’à 190 milliards d’euros par an. En mettant en place une telle taxe dont une partie importante pourrait aller au budget européen, comme en mettant fin à l’absurde concurrence fiscale entre nous dont les seuls bénéficiaires sont les multinationales, l’Europe démontrerait aux peuples sa réelle plus-value : faire ensemble ce que chacun d’entre nous ne peut pas faire seul. Il est donc urgent que la Commission fasse une proposition législative concrète comme une majorité du Parlement européen le demande.

Quatrièmement, limiter les possibilités de spéculation sur les dettes souveraines. Les marchés financiers qui sont responsables des déséquilibres au sein de la zone euro. Mais ils disposent d’outils pour allumer le feu et en tirer bénéfice. Ainsi, il est aujourd’hui possible d’acheter un credit default swap (CDS) sur l’Irlande ou la Grèce, qui est un produit financier qui assure l’acheteur contre le risque de faillite d’un Etat, sans posséder d’obligations irlandaises ou grecques. Des fonds spéculatifs (hedge funds) ne se gênent pas pour acheter des CDS, donc à en faire monter le prix, ce qui en retour fait penser aux vrais détenteurs d’obligations qu’ils doivent se couvrir contre un risque accru… en achetant des CDS.

Les fonds spéculatifs peuvent alors revendre leurs CDS avec une belle plus-value en ayant fait augmenter le taux d’intérêt auquel l’Etat se finance et donc en ayant aggravé les problèmes… Ce mécanisme doit être interdit, et une négociation est en cours pour le faire entre l’ensemble des gouvernements et le Parlement européen. Mais, au sein des Etats, seule l’Allemagne y est pour l’instant favorable !

Le chemin pour sortir de la crise de la zone euro existe. Mais il implique de sortir tout à la fois des crispations nationalistes et des dogmes néolibéraux. La France et l’Allemagne ont une responsabilité majeure. Nos dirigeants actuels seront-ils à la hauteur ?

Pascal Canfin, Dany Cohn-Bendit, Sven Giegold, députés européens du groupe des Verts/ALE,

Gerhard Schick, député et porte-parole des Verts au Bundestag

Rubrik: Meine Themen, Wirtschaft & Währung

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