Gestern hat die französische Nationale Gesundheitsbehörde die Ergebnisse einer großangelegten Studie zur Belastung von Erwachsenen und Kindern durch Umwelthormone (sogenannte “endokrine Disruptoren”) vorgelegt. Im Zeitraum von zwei Jahren wurden Urin, Haare und Blut von 1104 Kindern und 2503 Erwachsenden auf verschiedene endokrine Disruptoren getestet (aus den Gruppen der Bisphenole, Phthalate, Parabenen, Glykolether, bromierte Flammschutzmittel und perfluorierte Verbindungen). Das besorgniserregende Fazit der Studie: Alle getesteten Personen haben endokrine Disruptoren im Körper.
Endokrine Disruptoren stören das empfindliche Hormonsystem des Körpers und können zu schweren Schäden führen. Das gilt insbesondere für Entwicklung von Kindern, die in besonderem Maße durch das genaue Zusammenspiel von Hormone bestimmt wird. Deswegen müssen Kinder und Schwangere besonders geschützt werden.
Doch genau das Gegenteil zeigt diese Studie: Die getesteten Kinder sind stärker mit endokrinen Disruptoren belastet als die erwachsenen Studienteilnehmer*innen. Die gemessenen Mengen an endokrinen Disruptoren sind vergleichbar mit anderen Studien in EU-Ländern und weltweit. Das zeigt: Die geltenden EU-Regeln zum Schutz der Gesundheit vor endokrinen Disruptoren sind nicht ausreichend.
Unter den getesteten Stoffen sind auch die bekannteren Vertreter Bisphenol A, F, und S, die in Lebensmittelverpackungen wie Dosen und Plastikfolien, Thermopapier (Kassenzettel), Kosmetikprodukten, Farben, Lacken und verschiedenen anderen Kunststoffen zu finden sind. Zwar wurde Bisphenol A schon aus vielen Produkten verbannt, aber oft von den Herstellern einfach nur durch die nahen Verwandten Bisphenol F und S ersetzt. Diese vermeintlich sicheren Ersatzstoffe zeigen in ersten Studien ähnlich schädliche Wirkungen wie Bisphenol A.
Die Gefahr von endokrinen Disruptoren liegt besonders darin, dass allerkleinste Mengen schon das Hormonsystem verändern und langfristige Schäden verursachen können. Deswegen gibt es für endokrine Disruptoren aus wissenschaftlicher Sicht keine sicheren Grenzwerte wie für andere Chemikalien, wie auch die EU-Kommission selbst einräumt (https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2018/DE/COM-2018-734-F1-DE-MAIN-PART-1.PDF). Hinzu kommen Kombinationseffekte unterschiedliche Stoffe, die zusammen wirken und sich gegenseitig in ihrer Wirkung verstärken. Deswegen muss es bei diesen Umwelthormonen gelten: Nicht weniger, sondern gar keine Belastung ist das Ziel!
Das hat auch die EU-Kommission unter langem Druck von Umwelt- und Gesundheitsschutzorganisationen erkannt und eine “Strategie für eine nicht-toxische Umwelt” angekündigt. Diese sollte schon 2018 veröffentlicht werden, was aber bis heute nicht erfolgt ist. Ein Grund dafür ist die Kritik von Chemie-Unternehmen, denen das Ziel dieser Strategie zu weit geht, und sie verwässern und verhindern wollen.
Gleichzeitig gibt es aber immer stärkere Anzeichen, dass endokrine Disruptoren schon jetzt die Entwicklung von Kindern beeinflussen. Ein momentan viel diskutiertes Beispiel sind “Kreidezähne”, unter denen in manchen Ländern jeder vierte Zwölfjährige leidet und bei denen auch endokrine Disruptoren wie Bisphenole unter Verdacht stehen (unser Webinar zum Thema: https://sven-giegold.de/europe-calling-generation-kreidezaehne/). Das zeigt, es muss jetzt im Sinne des Vorsichtsprinzip gehandelt und nicht weiter verzögert werden!
Heute und morgen diskutiert in Brüssel der Umweltausschuss des Europaparlaments die Regulation von Chemikalien in der EU. Wir fordern die alte und neue EU-Kommission auf, die “Strategie für eine nicht-toxische Umwelt” sofort zu veröffentlichen und die bestehende Chemikalien-Regulierung so zu ändern, dass die Bevölkerung nicht weiter endokrinen Disruptoren ausgesetzt ist. Konkret fordern wir ein sofortiges Verbot von Bisphenolen und anderen endokrinen Disruptoren in Lebensmittelverpackungen, wie es Frankreich für Bisphenol A schon seit 2015 tut. Der Schutz der Gesundheit muss vor kurzsichtigen Interessen eines Teils der Chemieindustrie stehen!
Mit entschlossenen europäischen Grüßen,
Sven Giegold
Link zur Studie der französischen Nationalen Gesundheitsbehörde: https://www.santepubliquefrance.fr/presse/2019/polluants-du-quotidien-donnees-inedites-chez-les-enfants-et-les-adultes