Sven Giegold

Vermögensstudie der EZB rechnet die Deutschen ärmer als sie sind

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre mit Spannung erwartete Studie „The Eurosystem Household Finance and Consumption Survey“ vorgestellt. Ein viel diskutiertes Ergebnis der Studie ist, dass das Vermögen der deutschen Haushalte scheinbar geringer als das durchschnittliche Vermögen in Europa ist. Angesichts der Rettungsmaßnahmen in Ländern wie Portugal, Griechenland und Zypern enthält die Studie immensen politischen Zündstoff – denn warum sollten die „armen Deutschen“ die viel reicheren BürgerInnen aus den Südländern retten?

Es ist erfreulich, dass die EZB das Thema der Vermögen und Vermögensverteilung in der Eurorettung in den Blick nimmt. Das ist neu und findet sich nirgendwo in der Troika-Politik wieder, an der die EZB ja beteiligt ist. Die fehlende Besteuerung von großen Vermögen und Kapitaleinkünften ist ein wichtiges Versäumnis der bisherigen Krisenpolitik.

Die Vermögensstudie basiert jedoch auf Annahmen, die das Ergebnis grob verfälschen, und stellt damit eine schwache Leistung der EZB dar. Durch die Studie wird die öffentliche Debatte um die Eurorettungsmaßnahmen vergiftet und mit zunehmender Polemik geführt. Ich fordere die EZB deshalb auf, die Vermögensstudie zu korrigieren und eine öffentliche Stellungnahme dazu abzugeben, anstatt im Kleingedruckten der Studie auf die Schwachpunkte ihrer eigenen Untersuchung hinzuweisen.

Was wurde in der EZB-Studie untersucht?

Von 2008 bis 2011 wurden im Rahmen der Studie 62.000 Haushalte in 15 Ländern zu ihrem Vermögen befragt. Aus den Daten der Befragung wurde das Nettovermögen der Haushalte in Europa berechnet.

Die EZB möchte mit Hilfe der Studie Informationen zu den Vermögensbestandteilen der Haushalte in Europa gewinnen, um Rückschlüsse zu erhalten, wie sich wirtschaftliche Schocks auf das Vermögen der privaten Haushalte auswirken. Der Fokus der Untersuchung lag also nicht auf einem Vergleich der Vermögen in Europa. Dennoch hätte sich die EZB bewusst sein sollen, welche Sprengkraft ihre Studie enthält und ihre Annahmen vor ihrer Veröffentlichung überprüfen sollen.

Was sind die Ergebnisse der Studie?

In der Studie wurden Vermögen, Schulden, Konsumverhalten und Hemmnisse bei der Kreditvergabe der Haushalte in Europa untersucht. Ein in der Presse häufig aufgegriffenes Ergebnis betrifft das durchschnittliche Nettovermögen der Haushalte in Europa:

Land Netto-Vermögen
Luxemburg 397,8
Zypern 266,9
Malta 215,9
Belgien 206,2
Spanien 182,7
Italien 173,5
Frankreich 115,8
Niederlande 103,6
Griechenland 101,9
Slowenien 100,7
Finnland 85,8
Österreich 76,4
Portugal 75,2
Slowakei 61,2
Deutschland 51,4

Warum liefern die Daten der Studie keine verlässliche Aussage darüber, wie die Vermögen in Europa verteilt sind?

Die EZB weist selbst darauf hin, dass die Ergebnisse ihrer Untersuchung mit Vorsicht zu genießen sind. Im Folgenden sind die Schwachpunkte der Studie aufgelistet:

1) Vermögensgleiche Rechte wie die Forderungen aus Renten- und Sozialversicherungen und andere staatliche Leistungen, wie beispielsweise der Zugang zu kostenloser Bildung, wurden nicht in das Vermögen eingerechnet. In Deutschland trägt das Sozialsystem aber maßgeblich zum hohen Lebensstandard der BürgerInnen bei. Darüber hinaus ist in Deutschland die Notwendigkeit, Vermögen zum Schutz vor Notlagen und zur Altersvorsorge aufzubauen, aufgrund des gut ausgebauten Sozial- und Rentensystems geringer als in anderen europäischen Ländern.

2) In der EZB-Studie ist der Immobilienbesitz ein wesentlicher Faktor der Vermögensbemessung. Insbesondere die Berechnung des Wertes der Immobilien ist jedoch fragwürdig:

  • In der Studie wurde der Wert der Immobilien mit Immobilienpreisen von 2008 und 2010 berechnet. In den Ländern, die in der Vermögensstudie reich erscheinen, sind die Immobilienpreise in diesen Jahren infolge von Immobilienblasen stark nach oben verzerrt. Dadurch steigt das Vermögen der Haushalte künstlich an. In Deutschland hingegen sind die Häuserpreise seit Jahren auf einem stabilen und im europäischen Vergleichniedrigen Niveau und fließen weniger stark in die Vermögensbemessung ein.
  • In anderen Ländern stellt der Immobilienbesitz einen wichtigen Posten der Altersvorsorge dar. Zudem gibt es einen attraktiven Markt für Mietwohnungen.

3) Das Vermögen wurde je Haushalt – und nicht aufgeschlüsselt nach Einzelpersonen – berechnet. Aufgeschlüsselt nach Einzelpersonen ist das Netto-Vermögen der Nordeuropäer höher, da dort vergleichsweise wenige Personen in einem Haushalt leben. In den südeuropäischen Ländern wohnen hingegen mehr Personen in einem Haushalt, so dass deren Pro-Kopf-Vermögen in Wirklichkeit niedriger ist.

4) Die Studie ist Ausdruck der ökonomischen Ungleichgewichte in Europa. Deutschland hat sich jahrelang durch das Drücken der Lohnniveaus einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Dies spiegelt sich zum Teil in der Vermögensstudie der EZB wider. Die hohen Ungleichgewichte in der Eurozone haben zudem zur Verschuldung zwischen europäischen Staaten geführt. Das drückt sich in der Nettoauslandsposition der Staaten aus, die angibt ob Volkswirtschaften gegenüber dem Ausland unter dem Strich Vermögen oder Schulden haben. Zum Vergleich der finanziellen Vermögenssituation zwischen Staaten ist die Nettoauslandsposition zudem besser geeignet:

Land Netto-Auslandsposition in % des BIP
Luxemburg 107,8
Zypern -71,3
Malta 7,5
Belgien 65,7
Spanien -91,8
Italien -20,6
Frankreich -15,9
Niederlande 35,5
Griechenland -86,1
Slowenien -41,2
Finnland 13,1
Österreich -2,3
Portugal -105,0
Slowakei -64,4
Deutschland 32,6

Quelle: Economic Governance Support Unit des Europäischen Parlamentes, Daten vom 15. März 2013

5) Die befragten Haushalte mussten den Wert ihres Vermögens selbst einschätzen. Es ist gut möglich, dass manche unter- und andere übertrieben haben. Die Daten sind daher nur wenig aussagekräftig.

6) In der Umfrage wurde nach Wohnsitz und nicht nach Staatsangehörigkeit unterschieden. Beispielsweise fließt somit das Vermögen reicher Unternehmen, die sich auf Zypern niedergelassen haben, in das durchschnittliche Vermögen der Zyprioten ein und erhöht dieses.

 

Hier gehts zu den Ergebnissen der EZB-Vermögensstudie.

Hier gehts zu einem guten Artikel der NachDenkSeiten, in dem die methodischen Fehler aus den Annahmen der EZB anschaulich beschrieben werden.

Hier noch ein sehr gutes Dokument von meinem Kollegen Dr. Tobias Lindner, dem wirtschaftspolitischen Sprecher der Grünen im deutschen Bundestag.

Rubrik: Wirtschaft & Währung

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