Morgen unterzeichnen Angela Merkel und Emmanuel Macron in Aachen einen Nachfolgevertrag zum 1963 von de Gaulle und Adenauer geschlossenen Elysée-Vertrag über die deutsch-französische Freundschaft. Der Vertragsentwurf war bis Ende letzter Woche noch Verschlusssache. Die Bundesregierung hat heute nachgezogen und den Entwurf online gestellt, nachdem er bereits von der französischen Seite öffentlich war. In Frankreich hatte die Gelbwesten-Bewegung und Europaabgeordnete von Marine Le Pens Rassemblement National (früher Front National) Gerüchte verbreitet, der Vertrag sehe vor dass das Elsass wieder unter deutsche Verwaltung käme. Alexander Gauland hatte im Bundestag den noch geheimen Vertrag in Zusammenhang mit vermeintlichen deutschen Zahlungen an Frankreich gebracht. Weiterhin geheim ist eine Liste an konkreten Maßnahmen zur Umsetzung der Absichtserklärungen im Vertrag. Die Maßnahmenliste soll erst später vom nächsten deutsch-französischen Ministerrat beschlossen werden.
Zu Vertragsentwurf von Aachen und Maßnahmenliste sagt der Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament, Sven Giegold:
“Die Deutsch-Französische Freundschaft darf keine Verschlusssache sein. Geheimdiplomatie gehört ins 19. Jahrhundert. Unsere deutsch-französische Heimat gedeiht in offener Parlamentsdebatte deutscher und französischer Abgeordneter über konkrete öffentliche Vorschläge. Die Liste der konkreten Maßnahmen zur Umsetzung des Aachener Vertrags sollte jetzt genauso veröffentlicht werden wie der Vertragsentwurf selbst. Die Regierungen von Merkel und Makron sollten bei der Maßnahmenliste nicht den gleichen Fehler wiederholen wie beim Vertragsentwurf und mit der Veröffentlichung bis zum Aufkommen boshafter Gerüchte zu warten. Öffentliche Transparenz ist der beste Schutz vor boshaften Gerüchten von AfD, Le Pen und Gelbwesten. Geheimhaltung macht es den Feinden der deutsch-französischen Zusammenarbeit unnötig leicht boshafte Gerüchte zu streuen.
Der Vertrag von Aachen ist stärker als sein Vorgänger, aber das Verhandlungsergebnis der Regierungen bleibt schmerzlich hinter dem Mandat der beiden Parlamente zurück. Der Aachener Vertrag macht Klimaschutz und die Annäherung bei Sozialem, Steuern und Nachhaltigkeit zu neuen Zielen. Der Vertragsentwurf ist eine verpasste Chance, für Fortschritt bei der Unternehmensteuer, bei Klimaschutz und für gemeinsame Industrie- und Wirtschaftsprojekte. Ein starker Fortschritt ist der Bürgerfonds zur finanziellen Unterstützung von deutsch-französischen Bürgerprojekten, der auf Vorschlag der grünen Bundestagsabgeordneten Franziska Brantner aufgenommen wurde. Der geplante deutsch-französische Rat der Wirtschaftsweisen dürfte willkommenen Schwung in die einäugige Debatte der rein deutschen Runde bringen. Die eng verbundene deutsch-französische Wirtschaft braucht aber sobald wie möglich konkrete gemeinsame Investitionen in Zukunftsprojekte, die das Klima schützen und Jobs schaffen.”
HINTERGRUND
Vertrag von Aachen: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/997532/1570126/c720a7f2e1a0128050baaa6a16b760f7/2019-01-19-vertrag-von-aachen-data.pdf
Resolution von Assemblee und Bundestag vom Januar 2018: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/997532/318980/a0aac9a1ba8b4ea2867ecb6e9faa1f35/2018-01-22-dt-frz-resolution-data.pdf?download=1
Elysée-Vertrag von 1963: http://www.deutschland-frankreich.diplo.de/Elysee-Vertrag-22-Januar-1963,347.html
französische Regionalzeitung gegen Verschwörungstheorien: https://www.republicain-lorrain.fr/actualite/2019/01/16/non-le-traite-d-aix-la-chapelle-ne-va-pas-ceder-l-alsace-et-la-lorraine-a-l-allemagne
Bundestagsdebatte mit Kritik und Gerüchten der AfD (ab Seite 65 von 160): http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/19/19074.pdf
AUSGEWÄHLTE ARTIKEL DES VERTRAGSENTWURFS
Artikel 1
Beide Staaten vertiefen ihre Zusammenarbeit in der Europapolitik. Sie setzen sich für eine wirksame und starke Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ein und stärken und vertiefen die Wirtschafts- und Währungsunion. Sie bemühen sich um die Vollendung des Binnenmarkts, wirken auf eine wettbewerbsfähige, sich auf eine starke industrielle Basis stützende Union als Grundlage für Wohlstand hin und fördern so die wirtschaftliche, steuerliche und soziale Konvergenz sowie die Nachhaltigkeit in allen ihren Dimensionen.
Artikel 4
(1) … Sie leisten einander im Falle eines bewaffneten Angriffs auf ihre Hoheitsgebiete jede in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung; dies schließt militärische Mittel ein. Die territoriale Reichweite nach Satz 2 entspricht derjenigen nach Artikel 42 Absatz 7 des Vertrags über die Europäische Union.
…
(3) Beide Staaten verpflichten sich, die Zusammenarbeit zwischen ihren Streitkräften mit Blick auf eine gemeinsame Kultur und gemeinsame Einsätze weiter zu verstärken. Sie intensivieren die Erarbeitung gemeinsamer Verteidigungsprogramme und deren Ausweitung auf Partner. Hierdurch beabsichtigen sie, die Wettbewerbsfähigkeit und Konsolidierung der europäischen verteidigungstechnologischen und -industriellen Basis zu fördern. Sie unterstützen die engstmögliche Zusammenarbeit zwischen ihren Verteidigungsindustrien auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens. Beide Staaten werden bei gemeinsamen Projekten einen gemeinsamen Ansatz für Rüstungsexporte entwickeln.
Artikel 6
Im Bereich der inneren Sicherheit verstärken die Regierungen beider Staaten weiter ihre bilaterale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität sowie im Bereich der Justiz, der Nachrichtendienste und der Polizei. Sie führen gemeinsame Maßnahmen im Hinblick auf Aus- und Fortbildung und Einsätze durch und richten eine gemeinsame Einheit für Stabilisierungsoperationen in Drittstaaten ein.
Artikel 7
Beide Staaten setzen sich dafür ein, eine immer engere Partnerschaft zwischen Europa und Afrika zu errichten, indem sie ihre Zusammenarbeit in den Bereichen der Entwicklung des privaten Sektors, der regionalen Integration, der Bildung und Berufsbildung sowie der Gleichstellung der Geschlechter und der Stärkung und Selbstbestimmung von Frauen mit dem Ziel stärken, soziale und wirtschaftliche Perspektiven, Nachhaltigkeit, gute Regierungsführung sowie Krisenprävention, Konfliktbewältigung, auch durch friedenserhaltende Maßnahmen, und Konfliktnachsorge zu verbessern. Beide Staaten richten einen jährlichen Dialog auf politischer Ebene im Bereich der internationalen Entwicklungspolitik ein, um die Koordinierung von Politikplanung und -umsetzung zu intensivieren.
Artikel 9
Beide Staaten erkennen die entscheidende Rolle an, die die Kultur und die Medien für die Stärkung der deutsch-französischen Freundschaft spielen. Daher sind sie entschlossen, für ihre Völker einen gemeinsamen Raum der Freiheit und der Chancen sowie einen gemeinsamen Kultur- und Medienraum zu schaffen. Sie bauen Mobilität und Austauschprogramme zwischen ihren Staaten aus, vor allem für junge Menschen im Rahmen des Deutsch-Französischen Jugendwerks, und geben messbare Ziele in diesen Bereichen vor. Um immer engere Beziehungen in allen Bereichen des kulturellen Wirkens,
auch durch integrierte Kulturinstitute, zu fördern, richten sie spezielle Programme und eine digitale Plattform ein, die sich insbesondere an junge Menschen richten.
Artikel 12
Beide Staaten richten einen gemeinsamen Bürgerfonds ein, der Bürgerinitiativen und Städtepartnerschaften fördern und unterstützen soll, um ihre beiden Völker einander noch näher zu bringen.
Artikel 13
… (2) Zu diesem Zweck statten beide Staaten unter Achtung der jeweiligen verfassungsrechtlichen Regeln der beiden Staaten sowie im Rahmen des Rechts der Europäischen Union die Gebietskörperschaften der Grenzregionen sowie grenzüberschreitende Einheiten wie Eurodistrikte mit angemessenen Kompetenzen, zweckgerichteten Mitteln und beschleunigten Verfahren aus, um Hindernisse bei der Umsetzung grenzüberschreitender Vorhaben, insbesondere in den Bereichen Wirtschaft, Soziales, Umwelt, Gesundheit, Energie und Transport zu überwinden. Sofern kein anderes Instrument es ihnen ermöglicht, Hindernisse dieser Art zu überwinden, können auch angepasste Rechts- und Verwaltungsvorschriften einschließlich Ausnahmeregelungen vorgesehen werden. In diesem Fall kommt es beiden Staaten zu, einschlägige Rechtsvorschriften einzubringen.
Artikel 16
Beide Staaten werden die grenzüberschreitende Mobilitäterleichtern, indem sie die zwischen ihnen bestehenden digitalen und physischen Netze, unter anderem die Eisenbahn-und Straßenverbindungen, besser miteinander verknüpfen. Sie werden im Bereich der innovativen, nachhaltigen und allen zugänglichen Mobilität eng zusammenarbeiten, um gemeinsame Ansätze oder Standards zwischen beiden Staaten zu entwickeln.
Kapitel 5
Nachhaltige Entwicklung, Klima, Umwelt und wirtschaftliche Angelegenheiten
Artikel 18
Beide Staatenarbeiten darauf hin, den Prozess der Durchführung mehrseitiger Übereinkünfte in den Bereichender nachhaltigen Entwicklung, der globalen Gesundheit sowie des Umwelt-und Klimaschutzes, insbesondere das Übereinkommen von Paris vom 12.Dezember 2015 und die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen, zu stärken. Zu diesem Zweck arbeiten sie eng zusammen, um gemeinsame Ansätze und politische Strategien zu erarbeiten, wozu auch die Schaffung von Anreizen für den Umbau ihrer Volkswirtschaften und die Förderung ehrgeiziger Maßnahmen zum Kampf gegen den Klimawandel zählen. Sie stellen die Berücksichtigung des Klimaschutzes in allen Politikbereichen sicher, unteranderem durch regelmäßigen, sektorübergreifenden Austausch zwischen den Regierungen in Schlüsselbereichen.
Artikel 20
(1) Beide Staaten vertiefen die Integration ihrer Volkswirtschaften hin zu einem deutsch-französischen Wirtschaftsraum mit gemeinsamen Regeln. Der Deutsch-Französische Finanz-und Wirtschaftsrat fördert die bilaterale Rechtsharmonisierung, unter anderem im Bereich des Wirtschaftsrechts, und stimmt die wirtschaftspolitischen Maßnahmen zwischen Deutschland und Frankreich regelmäßig ab, um so die Konvergenz zwischen beiden Staaten zu befördern und die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften zu verbessern.
(2) Beide Staaten richten einen deutsch-französischen „Rat der Wirtschaftsexperten“ ein, der sich aus zehnunabhängigen Fachleuten zusammensetzt und das Ziel verfolgt, ihren Regierungen wirtschaftspolitische Empfehlungen zu unterbreiten.