Sven Giegold

Leak: CDU/CSU-Fraktion will Europäischen Währungsfonds faktisch begraben und brüskiert damit Frankreich

Die CDU/CSU-Fraktion will am kommenden Dienstag beschließen, den von der EU-Kommission vorgelegten Vorschlag zur Errichtung eines Europäischen Währungsfonds (EWF) abzulehnen. Der Beschluss soll just dann erfolgen, wenn der französische Präisdent Macron im Europaparlament in einer mit Spannung erwarteten Rede seine Vorschläge verteidigen will. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, den EWF durch eine einstimmige Mehrheit im Rat der EU aus der Taufe zu heben. Die CDU/CSU-Fraktion lehnt dieses Verfahren ab und will dem EWF nur zustimmen, wenn dieser über eine Änderung der EU-Verträge errichtet wird. Eine Zustimmung zu einer Änderung der EU-Verträge wären in vielen EU-Ländern nur mit nationalen Referenden zu erreichen. Zum Vorstoß der CDU/CSU-Fraktion sagt der wirtschafts- und finanzpolitische Sprecher der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament, Sven Giegold:

”Die Unionsfraktion will die Reform der Eurozone ausbremsen und damit Europas Zukunft vor die Wand fahren. Die pro-europäischen Worte im Koalitionsvertrag entpuppen sich als reine Lippenbekenntnisse. Der Europäische Währungsfonds ist ein essentieller Baustein für eine gesunde und krisenfeste Eurozone. Die Union will den Fonds faktisch begraben, denn eine Vertragsänderung ist sehr schwierig zu erreichen. Die Union setzt gleichermaßen die Zukunft Europas und Deutschlands auf Spiel, denn beides ist untrennbar miteinander verbunden. Von der SPD-Spitze muss ein jetzt ein unmissverständliches Bekenntnis zu den EU-Reformen und eine Absage an die Blockierer in der Union kommen.

Der Vorschlag der Unionsfraktion ist ein Affront gegen Frankreich. Merkel muss jetzt ein Machtwort sprechen, auch um ein Signal an Präsident Macron zu senden. Die Bundesregierung lässt Macron bei den EU-Reformen seit einem Jahr in der Warteschleife. Seit einem Jahr blockiert die Bundesregierung in Europa eine Reform nach der nächsten. Auch ein EU-Finanzminister, transnationale Wahllisten, eine europäische Einlagensicherung und ein Eurozonen-Haushalt scheitern derzeit an Deutschland. Während die Unionsfraktion den Europäischen Währungsfonds ausbremst, tritt SPD-Finanzminister Scholz bei der europäischen Einlagensicherung auf die Bremse und blockiert damit eine weitere zentrale Reform in der Eurozone. Statt die Einlagensicherung zu blockieren, sollten die Bundesregierung sie als reine Rückversicherung ausgestalten. Damit kann die wichtige Institutssicherung der deutschen Sparkassen und Genossenschaftsbanken gesichert werden, ohne die europaweite Sicherung der Einlagen zu schwächen.

Bis zur Europawahl im nächsten Jahr müssen konkreten Reformen auf den Weg gebracht werden, alles andere wäre Wahlkampfhilfe für Europas Rechtspopulisten. Die Union blockiert in der Europapolitik offenbar aus Angst vor Angriffen von der AfD. Nach den Aslyrechtsverschärfungen und der Islam-Kritik, laufen Teile der Union jetzt auch in der Europapolitik der AfD hinterher.”

 

Leaks der Tischvorlagen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion:

https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2018/04/cdu_tischvorlage_hintergrundinfos-ewf-stellungnahme-art23gg.pdf

https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2018/04/cdu_tischvorlage_reformagenda-europa.pdf

Grüne Argumentationshilfe zur europäischen Einlagensicherung:
https://sven-giegold.de/2016/argumentationshilfe-zu-edis/


Hintergrundinformationen zu den Vorschlägen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion:
Änderung der Rechtsgrundlage ist ein Nein durch die juristische Hintertür
Der Beschlussentwurf der CDU/CSU Bundestagsfraktion legt die Axt an den Europäischen Währungsfonds. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, den Europäischen Währungsfonds auf der Rechtsgrundlage Artikel 352 AEUV zu gründen. Auf diese Weise braucht die Einrichtung des Währungsfonds zwar eine Einstimmigkeit im Rat oder zumindest der beteiligten Staaten. Der EU-Vertrag muss jedoch nicht geändert werden. Die Unionsfraktion macht nun eine Änderung des EU-Vertrags zur Bedingung ihrer Zustimmung zu einem europäischen Währungsfonds (siehe Ziffer 2, Spiegelstrich 1 des Entwurfs einer Stellungnahme zum EWF von der CDU/CSU-Fraktion) und will über einen Beschluss des Bundestages die Bundesregierung auf ihre Linie zwingen. Eine Vertragsänderung in diesem Falle würde in mehreren Mitgliedsländern Referenden bei der Ratifizierung auslösen (z.B. Irland, Niederlande), so dass die Einrichtung des Fonds faktisch auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben wäre. Damit torpediert die Unionsfraktion den Inhalt des Koalitionsvertrags (siehe dort Zeile 250).
Änderung der Rechtsgrundlage gibt Ungarn und Polen ein Veto-Recht
Die Eurozone macht sich mit der Änderung der Rechtsgrundlage auch abhängig von Nicht-Euroländern wie Ungarn, Dänemark oder Polen, die sich in den letzten Jahren europapolitisch unkonstruktiv verhalten haben. Der Vorschlag von der EU-Kommission ermöglicht dagegen auch den Weg über die „verstärkte Zusammenarbeit“, die zwar Einstimmigkeit voraussetzt, aber keinem Land ein Veto gibt, das sich an den Europäischen Währungsfonds nicht beteiligen will.
Änderung der Rechtsgrundlage ist juristisch nicht notwendig

Die Entscheidung über die Rechtsgrundlage liegt in der Kompetenz der EU-Kommission. Anders als im Vorschlag der Unionsfraktion behauptet, ist es keine Mehrheitsmeinung unter Europarechtlern, dass die Errichtung eines Europäischen Währungfonds über Art. 352 AEUV nicht zulässig ist (Ziffer 2, Spiegelstrich 1 des Entwurfs einer Stellungnahme zum EWF). Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Pringle-Urteil die Tür für die Nutzung von Art. 352 AEUV sogar aufgemacht (Randziffer 67).

Unionsfraktion hat faktisches Vetorecht

Die Attacke der Unionsfraktion ist so ernst zu nehmen, weil die Unionsfraktion ein faktisches Vetorecht besitzt. Wenn der Europäische Währungsfonds über Artikel 352 AEUV eingerichtet wird, braucht die Zustimmung im Rat durch die Bundesregierung nach § 8 IntVG (Integrationsverantwortungsgesetz) einen Beschluss des Bundestages, anders als bei normalen EU-Gesetzen. Da FDP, AfD und Linke sich klar in Richtung Ablehnung eines Europäischen Währungsfonds aufgestellt haben, braucht die Zustimmung der Bundesregierung eine aktive Zustimmung der Unionsfraktion.

Deutsches Super-Veto-Recht ist krisenverschärfend, europafeindlich und rechtlich nicht zwingend

Die Unionsfraktion fordert in jedem Falle ein Vetorecht für jede Vergabe von Geldern aus dem (Ziffer 2, Spiegelstrich 4 des Entwurfs einer Stellungnahme zum EWF) für den deutschen Bundestag. Damit würde unmöglich, dass der Rat der Mitgliedsländer im Notfall eine Krisenmaßnahme verändern kann, wenn eine grundsätzliche Hilfszusage (selbst mit Zustimmung des Bundestages) bereits gegeben ist. Diese Flexibilität kann aber in einer schweren Fällen jede Flexibilität rauben und Krisenländern massiv schaden.

Entmachtung der EU-Kommission und des Europaparlaments schwächt die europäische Demokratie und ist europarechtswidrig

Die Unionsfraktion will der EU-Kommission wichtige Funktionen der wirtschaftspolitischen Überwachung nehmen und dem Europäischen Währungsfonds übertragen (Ziffer 2, Spiegelstrich 6 des Entwurfs einer Stellungnahme zum EWF). Damit wird nicht nur die Europäische Kommission geschwächt, sondern auch die Kontrollfunktion des Europaparlaments. Zudem ist die Rückübertragung von bereits europäisierten Kompetenzen nur zulässig, wenn dazu die europäischen Verträge geändert werden. Das wäre ein europapolitischer Rückschritt und zudem unzulässig.

Festhalten an strikter Auflagenpolitik ist ökonomisch und sozial schädlich

Das Festhalten an “strikten Auflagen” (Ziffer 2, Spiegelstrich 5 des Entwurfs einer Stellungnahme zum EWF) für jede Hilfe ist eine fatale Lernverweigerung. Währung IWF und EU-Kommission Fehler bei den Auflagen einräumen, verweigert sich die Unionsfraktion jeder Selbstkritik. Sicherlich sind Reformanstrengungen im Gegenzug für Kredite und Hilfen angemessen, aber sie müssen ökonomisch und sozial verändert werden, um effektiv und fair zu sein. Die Lernverweigerung der Unionsfraktion zeigt sich auch in der Verwendung des Begriffs “Staatsschuldenkrise”, obwohl es sich um eine globale Banken- und Finanzkrise handelte, die auch die Staatshaushalte betraf (Punkt 2 der Reformagenda).

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