Die Aachener Nachrichten haben mich am 23. Juni zu den aktuellen Entwicklungen um den Verbleib Griechenlands interviewt. Das Interview finden Sie hier:
Herr Giegold, glauben Sie, dass es einen Kompromiss zwischen der Regierung in Athen und den griechischen Gläubigern geben wird?
Giegold: Ich besitze leider keine Kristallkugel. Aber ich hoffe auf einen Kompromiss. Griechenland aus der Euro-Zone zu drängen, wäre für Europa, den deutschen Steuerzahler, vor allem aber für die griechische Bevölkerung die schlechteste Lösung.
Wer trägt die Hauptverantwortung dafür, dass es bisher zu keiner Einigung gekommen ist. Vertreter der Bundesregierung sagen, schuld sei allein die griechische Regierung. Stimmt das?
Giegold: Beide Seiten tragen Verantwortung. Beide Seiten haben blockiert. Die Bundesregierung und andere Gläubiger haben aus dem Scheitern der bisherigen Troika-Politik nichts gelernt. Ganz im Gegenteil: Die Gläubiger fordern eine neue Orgie von Kürzungen und Steuererhöhungen von Griechenland. Andererseits hat die Regierung in Athen in den letzten fünf Monaten noch nicht an den entscheidenden Stellschrauben gedreht. Von ihrem Wahlkampfversprechen, massiv gegen Korruption und Steuerhinterziehung vorzugehen, ist bisher wenig zu sehen.
Vielleicht liegt es daran, dass die Regierung in Athen erst seit fünf Monaten im Amt ist.
Giegold: Das mag sein. Aber wer sich in einer Notlage wie Griechenland befindet, kann sich fünf Monate faktische Untätigkeit nicht erlauben. Hinzu kommen unverständliche Maßnahmen der Regierung: Ich kann nicht nachvollziehen, warum selbst Steuerzahler, die mit Millionenbeträgen im Rückstand sind, mit Rabatten belohnt werden sollen, wenn sie endlich ihrer Steuerpflicht nachkommen. Das Gleiche gilt für das geplante Steuerabkommen mit der Schweiz. Auch da soll eine Abschlagszahlung von 15 bis 20 Prozent die Steuerhinterziehung vergessen machen. Das ist doch das Gegenteil vom versprochenen Kampf gegen Steuerflucht.
Die griechische Regierung argumentiert, nur so käme sie zumindest an einen Teil der hinterzogenen Steuergelder heran.
Giegold: Dafür gibt es bessere Möglichkeiten. Warum schlagen Athen und die Institutionen nicht Folgendes vor: Jeder griechische Steuersünder, der einen Steuerrückstand von mehr als einer Million Euro hat, wird nach einer Warnfrist öffentlich gemacht. Es handelt sich dabei um rund 3000 Personen mit Steuerschulden von etwa 60 Milliarden Euro. Alle EU-Länder sollten zusagen, bei der Suche nach Vermögen zu helfen. Mit diesem Geld könnte Tsipras locker die kurzfristigen Finanzprobleme lösen, ohne auch nur ein einziges Wahlkampfversprechen zu brechen.
Apropos Wahlkampfversprechen: Tsipras wollte auch die Austeritätspolitik beenden. Inzwischen kommt er den Gläubigern weit entgegen und stimmt Kürzungen und Steuererhöhungen zu. Ist das politisch vernünftig?
Giegold: Ich kann Tsipras verstehen, wenn er einen Kompromiss sucht. Dass Griechenland im Euro bleibt, ist für das Land und für Europa politisch vernünftig.
Ist der sich abzeichnende Kompromiss auch ökonomisch vernünftig?
Giegold: Nein. Das Paket, das Tsipras jetzt unter dem Druck der Gläubiger vorgelegt hat, wird Griechenland noch tiefer in die Wirtschaftskrise stürzen.
Trotzdem drängen die Gläubiger auf die Fortsetzung einer Politik, die in der internationalen Wissenschaft überwiegend auf Kritik stößt. Vor kurzem hat der Ökonom und Nobelpreisträger Amartya Sen die Austeritätspolitik mit einem Medikament verglichen, das eine toxische Mischung aus Antibiotika und Rattengift enthält. Warum verabreichen die Gläubiger den Griechen diese Rezeptur weiter?
Giegold: Ökonomisch ist längst klar, dass die Sparpolitik in den Krisenländern zu großem Elend geführt hat. Zwar werden jetzt gerne Irland, Portugal oder Spanien als positive Gegenbeispiele genannt. Doch das geschieht meist von Leuten, die in jüngster Zeit nicht in diesen Ländern waren, sondern nur irgendwelche einseitigen Berichte gelesen haben.
Wären sie dort gewesen, wüssten sie: Durch die Austeritätspolitik hat in diesen Ländern die Armut massiv zugenommen, Hunderttausende Menschen sind aus ihren Wohnungen vertrieben worden, sehr viele junge Leute mussten auswandern. Nur unter Inkaufnahme dieser sozialen Krise hat sich in den Ländern die ökonomische Lage ein Stück weit stabilisiert. Nein, die Austeritätspolitik ist in ganz Europa, vor allem aber in Griechenland gescheitert. Wenn man trotzdem daran festhalten will, dann gibt es in meinen Augen dafür keine ökonomische, sondern nur eine politische Erklärung.
Und die lautet?
Giegold: Das politische Signal lautet: Es darf sich nicht lohnen, eine linke Regierung wie in Griechenland zu wählen. Darin sind sich offenbar alle Gläubiger einig. Nun hat sich – wie bereits gesagt – die neue Regierung in Athen bisher nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Aber eines muss man ihr lassen: Die von Tsipras vorgeschlagenen Kürzungen und Steuererhöhungen sind sozial ausgewogener als die seiner Vorgänger.
Parallel zu den Kürzungen der Gesundheitszuschüsse für Rentner werden auch die Steuern für Unternehmen erhöht und von Reichen Solidaritätsabgaben gefordert. Trotzdem gilt: Auch Steuern auf die Gewinne von Unternehmen wirken in der Stagnation wie konjunkturelles Gift. Tsipras’ Vorschläge sind eine Wirtschaftskrise mit Ansage. Diese Steuererhöhungen sind in der jetzigen Lage Griechenlands ökonomisch höchst kontraproduktiv.
Dass die Steuererhöhungen und Sparmaßnahmen im kommenden Jahr 2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen sollen, schockiert mich. Es ist völlig utopisch, die Kürzungen durch neues Wirtschaftswachstum kompensieren zu können. Es wird deshalb zu einer Verschärfung der Wirtschaftskrise in Griechenland kommen. Doch das nehmen die Gläubiger in Kauf, weil sie einfach nicht eingestehen wollen, dass ihr Programm für Griechenland völlig aus dem Ruder gelaufen ist.
Heißt das: Griechenland wird bei Fortsetzung der Austeritätspolitik ein weiteres Hilfspaket benötigen?
Giegold: Durch Kürzungen und Steuererhöhungen wird die griechische Wirtschaft weiter abgewürgt. Die Folge werden noch höhere Schulden sein. Von daher wird auch ein weiteres Hilfspaket notwendig sein. Die Pleite Griechenlands wird nur verzögert.
Was schlagen Sie als Alternative zu der bisherigen Politik vor?
Giegold: Statt weiter zu kürzen, müssen in Griechenland endlich andere Reformen angegangen werden. Es müssen eine funktionierende staatliche Verwaltung und eine effiziente Steuerbehörde aufgebaut werden. Nordrhein-Westfalen hat Athen vorgeschlagen, Steuerfahnder auszubilden. Bis heute ist das Angebot nicht angenommen worden.
Und ökonomisch, wie müsste ein Kurs aussehen, der Griechenlands Wirtschaft wieder wachsen lässt?
Giegold: Auf Vorschlag von Jean-Claude Juncker gibt es inzwischen einen EU-Investitionsfonds. Diesem Fonds fehlt allerdings frisches Geld. Richtig wäre es, wenn europäische Länder, die finanziellen Spielraum haben, Geld in diesen Fonds stecken würden. Sie sollen das Geld nicht verschenken, nein , sie sollen es investieren. Und zwar in den von der Krise besonders stark gebeutelten Ländern.
Solch eine sozial-ökologische Investitionspolitik ist die Alternative zur Austeritätspolitik. Sie würde die Wirtschaft wirklich voranbringen. Allerdings hat die schwarz-rote Bundesregierung keine Bereitschaft gezeigt, auch nur einen Cent zusätzlicher Gelder in den Fonds hineinzustecken, obwohl sie sich durch die niedrigen Zinsen auf Kosten der europäischen Nachbarn eine goldene Nase verdient.