Dieser von mir mitinitiierte Antrag an die nächste Bundesdelegiertenkonferent der Grünen (16.-18.11.) fordert einen umfassenden Steuerpakt für die EU.
Update: Der Antrag wurde mittlerweile modifiziert übernommen.
Ein Steuerpakt für Europa
Für die schwarz-gelbe Bundesregierung scheint es zur Einhaltung der im europäischen Fiskalpakt vereinbarten Schuldenbremsen nur einen Weg zu geben: Haushaltskürzungen und Sozialabbau. Dabei können wir schon heute sehen, welche desaströsen Wirkungen diese Politik zur Folge hat: In den Krisenstaaten bricht die Wirtschaft ein, die Arbeitslosigkeit – besonders unter Jugendlichen – steigt immer weiter und die Schuldenquoten sinken nicht, sondern steigen. Wer in der Rezession weiter prozyklisch spart, der verschlimmert die Situation.
Der EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta berechnet, dass den EU-Mitgliedstaaten jedes Jahr etwa 1000 Milliarden Euro an Steuerzahlungen entgehen – durch legales Steuerdumping und illegale Steuerflucht. Eine Billion, die für den Abbau der Staatsschulden und Zukunftsinvestitionen fehlt. Wer angesichts dieser Zahlen das Problem einseitig auf der Ausgabenseite sucht, ist weiter auf dem marktradikalen Kurs unterwegs, der uns in die Krise geführt hat. Denn die Probleme liegen nicht nur auf der Ausgaben-, sondern auch auf der Einnahmeseite der öffentlichen Haushalte: die Vermögensbesteuerung in der EU befindet sich seit 2000 auf gleichbleibend niedrigem Niveau, der Anteil der unternehmensbezogenen Steuern ging in den letzten zehn Jahren um über 15% zurück, der Anteil der Kapitalertragsteuern um rund 10%. Das ist kein Wunder: der europäische Binnenmarkt hat die Grenzen für Unternehmen zu Fall gebracht, aber die Steuersysteme sind national geblieben. Das hat dafür gesorgt, dass heute fast jedes Land in der EU Steueroase eines anderen ist: niedrige Unternehmensteuern in Irland, Holding-Privilegien in Zypern und den Niederlanden, Steuergestaltung für vermögende Privatpersonen in Luxemburg, Sonderbehandlung von Kapitaleinkommen in Österreich, laxe Geldwäscheregeln in Deutschland. Wir Grüne stellen dem das Ziel eines europäischen Steuerpakts entgegen, ein Bündnis zur Stärkung der Staatseinnahmen, damit nicht länger nur die Schwächsten der Gesellschaft für die Einhaltung des Fiskalpakts zahlen müssen. Dafür müssen die EU-Mitgliedstaaten endlich mit- und nicht gegeneinander arbeiten, wenn es darum geht, die Steuerbasis zu verbreitern. Der klare Zeitplan zur Einführung der Finanztransaktionsteuer, den wir in den Verhandlungen mit der Bundesregierung um den Fiskalpakt zusammen mit der SPD durchsetzen konnten, war dafür ein erster Erfolg. Doch in anderen Bereichen herrscht Stillstand oder falls das Steuerabkommens mit der Schweiz beschlossen werden sollte sogar Rückschritt. Und von der schwarz-gelben Bundesregierung ist nicht zu hören, dass sie daran etwas ändern will. Sie versteckt sich stattdessen hinter Einstimmigkeitsregel in Steuerfragen im Rat der Mitgliedsländer, die von einigen Staaten zur Blockade genutzt wird. Wir wollen daher unseren Steuerpakt stattdessen über die verstärkte Zusammenarbeit als Kooperation der Entschlossenen umsetzen, unter voller Beteiligung des Europaparlaments.
Der Steuerpakt, den wir in der Europäischen Union durchsetzen wollen, hat vier Elemente: Er besteht erstens aus europaweit koordinierten Vermögensabgaben, die einen relevanten Beitrag zum Abbau der Verschuldung der Staaten leisten können. Denn die Vermögen der einen sind die Schulden der anderen: Staatsschulden sind auch Vermögen in Form von Staatsanleihen bei den Anlegern. Deshalb brauchen wir einen koordinierten Ausgleich zwischen öffentlichen Schulden und privaten Vermögen.
Zweitens geht es um einen klaren Zeitplan zur Einführung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB), die das Verschieben von Steuersubstrat in Niedrigsteuerländer unwirksam werden lassen würde. So kann verhindert werden, dass durch die Steuergestaltung großer, grenzüberschreitend tätiger Unternehmen in der EU die Steuerlast sich immer mehr auf kleine, standortgebundene Unternehmen verlagert. Denn diese haben nicht die Möglichkeit der Verschiebung steuerlichen Bemessungsgrundlagen und erleiden dadurch einen Wettbewerbsnachteil. Das Projekt einer Gemeinsame, Konsolidierte Körperschaftssteuerbemessungsgrundlage (GKKB) darf nicht am Widerstand einiger Weniger scheitern. Daher ist auch hier ein Vorgehen mit einer Koalition der Willigen eine sinnvolle Option. Im Rahmen der Harmonisierung der deutsch-französischen Körperschaftsteuer können Deutschland und Frankreich hier auch vorangehen und die Möglichkeit schaffen, dass weitere Mitgliedsstaaten folgen können. Dazu soll es zunächst gemeinsame Mindeststandards für die bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen innerhalb der EU und mit Drittstaaten geben. Darauf aufbauend streben wir gemeinsame europäische Doppelbesteuerungsabkommen mit Drittstaaten an. Das erspart den Unternehmen die bürokratische Last, Hunderte von Doppelbesteuerungsabkommen innerhalb der EU und mit Drittstaaten zu berücksichtigen, und erleichtert den Kampf gegen Steueroasen. Wenn wir Steuerdumping in der EU wirksam verhindern wollen, brauchen wir auch einen Mindeststeuersatz für die Körperschaftsteuer. Unser Ziel ist, in einem europäischen Steuerpakt einen konkreten Pfad zu einem Mindeststeuersatz von 25% zu vereinbaren. Er wird auch helfen, die Spitzensteuersätze der Einkommenssteuer in Europa zu stabilisieren. Über einige Länder können Unternehmen und Privatpersonen Gewinne und Kapitalerträge steuerfrei in außereuropäische Steueroasen bringen. Das liegt auch daran, dass Quellensteuern innerhalb der EU durch die Mutter- Tochter-Richtlinie und die Zins-und-Lizenzgebühren-Richtlinie weitgehend abgeschafft wurden. Diese Richtlinien wollen wir zukünftig an Bedingungen knüpfen. Steuerdumping darf hierdurch in der EU nicht weiter legalisiert werden.. Außerdem ist eine Einigung aller EU-Länder auf Mindestquellensteuersätze für Zahlungen in Nichtmitgliedsländer anzustreben. Um Steuergestaltungen von Unternehmen auch für die Zivilgesellschaft und die breite Öffentlichkeit transparent zu machen, treten wir für eine umfassende länderbezogene Berichterstattung (country-by-country-reporting) von grenzüberschreitend tätigen Unternehmen ein. Gewinne, Umsätze, Löhne und das Vermögen müssen nach Ländern ausgewiesen werden und auch die Finanzbeziehungen zwischen unterschiedlichen Konzernteilen sichtbar werden. Während die Bundesregierung hier auf europäischer Ebene der größte Bremser ist, wollen wir aktiv vorangehen.
Drittens geht es darum, das Unwesen der Steueroasen in Europa insgesamt zu überwinden. Dazu wollen wir eine europäische Definition von Steueroasen erstellen. Diese Definiton muss tatsächlich alle Niedrigsteuergebiete umfassen und zum Anknüpfungspunkt für Nachversteuerungen und Niederlassungsbeschränkungen in der Finanzmarktgesetzgebung werden, wie es das Europaparlament fordert . Frankreich belegt Finanzströme von Unternehmen in Steueroasen mit einer Strafsteuer um einen Anreiz zur Steuerehrlichkeit zu geben, das sollten die EU-Staaten zur allgemeinen Regel machen. Die Steuerhinterziehung von Privatpersonen wollen wir durch einen umfassenden automatischen Informationsaustausch verhindern. Bereits seit 2008 liegt dafür die überarbeitete EU-Zinsrichtlinie vor, die den Informationsaustausch sachlich und räumlich ausdehnen würde. Doch gerade die Bundesregierung hat durch die Unterzeichnung des Steuerabkommens mit der Schweiz mit ihrem bilateralen Vorgehen dafür gesorgt, dass die Verhandlungen auf Eis liegen. Wir Grüne halten diesen Weg für falsch – stattdessen muss der Weg der EU-Verhandlungen weitergegangen und Druck auf Steueroasen ausgeübt werden. Wir fordern dazu auf EU-Ebene auch Möglichkeiten zur Beschränkung für die Geschäftstätigkeit von Banken, die wiederholt gegen Steuergesetze verstoßen haben oder Informationspflichten nicht nachkommen. Die USA haben dazu mit der Umsetzung des „Foreign Account Tax Compliant Act“ (FATCA) einen Weg aufgezeigt, dem die EU folgen sollte: Banken, deren Kunden für die Steuerbehörden nicht transparent sind, werden deutlich gegenüber kooperativen Banken benachteiligt. Zum Kampf gegen Steueroasen gehört auch eine Regelung, die sicherstellt, dass sich Spitzenverdiener in Europa nicht durch eine Verlagerung ihres Wohnsitzes der Steuerpflicht entziehen können – denn auch sie haben davor jahrelang die Infrastruktur im Land ihrer Staatsbürgerschaft in Anspruch genommen. In den USA wird dies durch eine an die Nationalität gebundene Steuerpflicht bereits seit langem erfolgreich sichergestellt. Uns geht es nicht nur um die Steueroasen in der Europäischen Union. Die Europäische Union muss auch gemeinsam dafür sorgen, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft keine Steueroasen bestehen. Derzeit ist das außer in der Schweiz etwa bei Monaco, Andorra und den britischen Kanalinseln der Fall – alles drei Länder mit engen Verbindungen der EU-Staaten, ohne selbst Mitglied der EU zu sein.
Steuerwettbewerb gibt es aber nicht nur bei Unternehmenssteuern und Kapitalerträgen. Auch die Besteuerung natürlicher Ressourcen ist immer noch so ungleichmäßig, dass es zu Tanktourismus und Verlagerung wegen anderer Steuerniveaus kommt. Die Mitgliedsstaaten halten das Niveau der Energiesteuern absichtlich gering, um diese Verlagerung von Unternehmen und Arbeitsplätzen zu verhindern. Die Verlierer sind die nationalen Haushalte und der Klimaschutz. Daher müssen die Mindeststeuersätze der Energiesteuerrichtlinie endlich angehoben werden. Ausnahmen müssen weitgehend abgeschafft werden. Die Bundesregierung hat den sehr guten Reformvorschlag der EU-Kommission in Brüssel verhindert. Deutschland hätte bei einer Umsetzung schrittweise die niedrige Besteuerung von Diesel beenden müssen. Mit ihrer Verweigerungshaltung hat die Bundesregierung erneut bewiesen, dass bei ihr die Energiewende hinten anstehen muss und sie einem falsch verstandenen Schutz einer Automobilindustrie, die die Entwicklungen der Zeit verschlagen hat, Vorrang einräumt.
Einfügen nach Zeile 371.
Nummer des Antrags: E-01-371 – Europapolitik
AntragsstellerInnen: Gerhard Schick (KV Mannheim), Sven Giegold (KV Düsseldorf), Stefan Wenzel (KV Göttingen), Rebecca Harms (KV Lüchow-Dannenberg), Franziska Brantner (KV Heidelberg), Jan Philipp Albrecht (KV Wolfenbüttel), Barbara Lochbihler (KV Ostallgäu), Anna Cavazzini (KV Berlin-Mitte), Peter Alberts (KV Münster), Lisa Paus (KV Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf), Ulrich Steinbach (KV Mainz), Tobias Lindner (KV Germersheim), Sven-Christian Kindler (KV Hannover), Eike Hallitzky (KV Passau-Land), Rasmus Andresen (KV Flensburg), Suzan Ünver (KV Tübingen), Eugen Schlachter (KV Biberach/Riss), Zora Hocke (KV Frankfurt), Wolfgang G. Wettach (KV Tübingen), Andreas Bühler (KV Stuttgart) u.a.
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