Mit dem sogenannten “CRR quick fix” der Eigenkapitalregeln sollen europäischen Banken in der Corona-Krise weitreichende Kapitalerleichterungen gewährt werden. Nachdem die EU-Kommission dazu Ende April einen Vorschlag vorgelegt hatte, hat heute der Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) des Europäischen Parlaments seine überarbeitete Fassung beschlossen. Diese dehnt die von der Kommission geplanten Erleichterungen für Banken noch einmal deutlich aus und wird nun voraussichtlich am 18. Juni dem Plenum des Europaparlaments zur Abstimmung vorgelegt.
Mit den Vorschlägen soll verhindert werden, dass die buchhalterischen Rückstellungen für erwartete Kreditausfälle (“expected credit losses” gemäß des neuen Rechnungslegungs-Rahmenwerks IFRS 9) in der Corona-Krise das Eigenkapital der Banken reduzieren. Darüber hinaus sollen vorübergehend notleidende Kredite ganz von den Mindestregeln für Rückstellungen (“NPL prudential backstop”) ausgenommen werden, wenn sie von einer staatlichen Garantie erfasst sind. Damit werden mögliche Verluste zunächst “unsichtbar” gemacht. Die Anwendung der neuen Regeln zur Verschuldungsgrenze (“leverage ratio”) soll zudem, wie auch im Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht vereinbart, um ein Jahr verschoben werden. Zentralbankreserven sollen in Krisenzeiten von der Verschuldungsgrenze ausgenommen werden und Buchwertverluste bei Staatsanleihen sich nicht auf das Eigenkapital der Banken auswirken.
Wir Grüne haben uns in den Verhandlungen dafür stark gemacht, die weitreichenden Lockerungen mit Auflagen zu verknüpfen, die gewährleisten, dass die Kapitalerleichterungen der Realwirtschaft und nicht nur Eigentümern und Risikoinvestoren der Banken zugute kommen. Vor allem haben wir vorgeschlagen, dass Banken bis Ende 2021 keine Ausschüttungen an Eigentümer und Risikoinvestoren vornehmen und insbesondere auf Zinszahlungen bei sogenannten CoCo-Bonds (“contingent convertible bonds” oder “AT1 Instrumente”) verzichten sollen. Dass solche Beschränkung der Kapitalausschüttungen in der aktuellen Krisensituation essentiell sind, wurde in den vergangenen Wochen immer wieder von Expert*innen und Institutionen betont. Auch Christine Lagarde unterstrich in ihrer gestrigen Anhörung vor dem ECON-Ausschuss die Bedeutung von Ausschüttungsstopps für die Finanzstabilität. Wichtig sei vor allem, dass diese von allen Marktteilnehmern umgesetzt werden, um das Stigma zu vermeiden, das mit Einschränkungen auf Einzelfallbasis einhergeht. Genau dieses Ziel verfolgten wir mit dem von uns eingebrachten Alternativvorschlag.
Christdemokraten, Liberale, Rechtskonservative (EKR) und Rechtsextreme (ID) blockierten von Anfang an alle verbindlichen Vorgaben zur Haftung von Bankeigentümern und Risikoinvestoren. Um den Prozess zu beschleunigen, stimmte sich der sozialdemokratische Berichterstatter Jonás Fernández parallel zu den Beratungen im Ausschuss bereits mit dem Ministerrat ab, der entsprechende Auflagen ebenfalls ablehnt, aber die Ausdehnung der Lockerungen mitträgt. Der von Fernandez vorgelegte und heute auch mit Stimmen der Sozialdemokraten verabschiedete Bericht ist deshalb ein reines Geschenkpaket an die Banken. Der von uns Grünen eingebrachte Alternativvorschlag zur rechtlich verbindlichen Beschränkung von Ausschüttungen wurde von den Linken sowie einigen Sozialdemokraten unterstützt, die sich damit gegen die Linie ihres Berichterstatters stellten, fand aber keine Mehrheit.
Dazu erklärt Sven Giegold, finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher von Grüne/EFA im Europäischen Parlament und Schattenberichterstatter für den “quick fix”:
“Auch im Europäischen Parlament geht das Virus der Deregulierung um. Die geplante Änderung der Eigenkapitalregeln für Banken fällt viel zu einseitig aus. Statt verbindliche Auflagen einzufordern, die Bankeigentümer und Risikoinvestoren in der Krise in die Haftung nehmen, dehnt der Vorschlag des Europäischen Parlaments die Erleichterungen für die Banken sogar noch weiter aus. Auch der Ministerrat trägt dieses unausgewogene Vorgehen mit. Es ist in keiner Weise sichergestellt, dass Banken die geschaffenen Spielräume für die dringend benötigte Finanzierung der Realwirtschaft nutzen.
Wir werden uns bis zur Abstimmung im Plenum nächste Woche weiter dafür einsetzen, dass Bankeigentümer und Risikoinvestoren in der aktuellen Krisensituation ihrer Verantwortung nachkommen. Die größten Verluste werden erst im Laufe der Zeit in den Büchern der Banken ankommen. Für jeden Euro, der heute ausgezahlt wird, muss womöglich am Schluss wieder der europäische Steuerzahler aufkommen.
Auf die erste Welle der Pandemie folgt in Europa in vielen Bereichen eine Welle der Deregulierung. Etliche Regeln, die jetzt abgeschafft werden sollen, bekämpfen Lobbyverbände schon seit Jahren. Erleichterungen liefern jedoch nur dann sicher einen positiven Beitrag zum Wiederaufbau nach der Krise, wenn man sie mit klugen Vorgaben kombiniert. Bei den heute verabschiedeten Vorschlägen zur Lockerung der Eigenkapitalregeln wurde das versäumt.”
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