Gestern in Aachen: Es lohnt sich, die Karlspreisrede von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen anzuhören. Sie fordert ein “wirklich unabhängiges Europa”. Dafür sieht sie vier zentrale Aufgaben:
1. Entwicklung einer europäischen Friedensordnung “Pax Europaea”, die von Europa selbst gestaltet und gelenkt wird. Die Einbindung in die NATO werde fortbestehen, doch Europa wird nun selbst in seine Sicherheit investieren. Ziel bleibe die Verteidigung des Friedens.
2. Innovation und Wettbewerbsfähigkeit: Stärkung des Binnenmarkts im Rahmen einer Sozialen Marktwirtschaft. Sie betont Forschung, eingebettet in Wissenschaftsfreiheit. Europa hat einen Masterplan für Investitionen in Innovationen und Vertiefung von Handelspartnerschaften weltweit.
3. Sie betont die Erweiterungsperspektive für die Ukraine, Westbalkan, Moldau und “hoffentlich Georgien”. Die Perspektive knüpft sie nicht an Vorbedingungen für die innere Reform und Handlungsfähigkeit der EU selbst.
4. Demokratie erneuern und stärken. Angesichts der Angriffe von außen und von innen, müsse Europa gegen diese Angriffe ankämpfen. Dazu müssten die Sorgen der Menschen ernst genommen werden.
Der Begriff der “Unabhängigkeit Europas” ist zwar leichter verständlich als der Begriff der “Europäischen Souveränität”. Aber der Begriff hat auch eine Schieflage. “Wirklich unabhängig” kann nur sein, wer isoliert ist. Die globalen Probleme lassen sich aber nur durch multilaterale Zusammenarbeit lösen, das bedingt Abhängigkeiten.
Anders als ihr Laudator Friedrich Merz betont die Kommissionspräsidentin mehrfach die Bedeutung des Klima-, Natur- und Umweltschutzes. Aber auch sie bringt den Begriff “Green Deal” nicht über die Lippen, auch nicht den “Clean Industrial Deal”. Schade, dass sie nicht offensiv zu ihrem Erfolg steht!