Diesen Beschluss zum Flüchtlingssterben im Mittelmeer hat die 12. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland am 2. Mai 2015 gefasst:
„Die jüngste Katastrophe vor der libyschen Küste am 19. April 2015 hat mehr als 900 Flüchtlinge das Leben gekostet. Sie hat wieder gezeigt, dass die EU-Asyl- und Migrationspolitik neu ausgerichtet werden muss. Jedes weitere Zögern wird noch mehr Menschenleben fordern. Die Beschlüsse der europäischen Staats- und Regierungschefs auf ihrem Sondergipfel in Brüssel am 23. April 2015 zur Flüchtlingssituation im Mittelmeer werden dem Ernst der Lage nicht gerecht und sind ein weiterer Ausweis der fatalen Uneinigkeit der EU-Mitgliedstaaten in der Asylpolitik. Der Schwerpunkt der Beschlüsse liegt auf Abwehr und Abschottung, nicht auf der Ausweitung legaler Wege für Schutzsuchende und Migranten in die EU. Angemessene Handlungsinstrumente sind bekannt, nun muss endlich gehandelt werden.
Als Kirchen stehen wir in der im Evangelium von Jesus Christus gegründeten Verpflichtung, angesichts des massenhaften Sterbens von Flüchtlingen für eine Politik einzutreten, die am Grundsatz der Barmherzigkeit orientiert ist. Wir brauchen eine Asylpolitik, die Würde, Leib und Leben der Flüchtlinge schützt und dem Anspruch einer europäischen Wertegemeinschaft gerecht wird.
Die Synode dankt allen Menschen, die sich an den unterschiedlichsten Orten für die Flüchtlinge engagieren: in den Kirchengemeinden, den Diensten und Werken und in den Kommunen hier in Deutschland. In gleicher Weise dankt die Synode für entwicklungspolitisches und humanitäres Engagement in den Herkunfts- und Gastländern und für allen Einsatz, den Ursachen für Flucht entgegenzuwirken.
Die Synode bittet den Rat der EKD, sich gegenüber der Bundesregierung und den europäischen Institutionen dafür einzusetzen, dass
- ein umfassendes europäisches Seenotrettungsprogramm in Nachfolge von „Mare Nostrum“ von der Ägäis bis zur Meerenge von Gibraltar aufgelegt wird,
- mehr legale Wege für Schutzsuchende in die EU eröffnet werden, indem die bestehenden Instrumente stärker genutzt werden und etwa Familienzusammenführungen erleichtert und die Vergabe von humanitären Visa ausgeweitet werden,
- ein umfassendes und ehrgeiziges europäisches Neuansiedlungsprogramm aufgelegt wird, das möglichst vielen Flüchtlingen einen sicheren Zugang und eine Perspektive in Europa bietet,
- mehr Möglichkeiten für Arbeitsmigranten aufgezeigt werden, legal nach Europa einzureisen, um hier zu arbeiten,
- aktiv an Alternativen zum problematischen „Dublin“-System gearbeitet wird, um die Überstellungen von Flüchtlingen in andere EU-Staaten, die keine angemessenen Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende gewährleisten, zu beenden und um eine verantwortungsvolle europaweite Lösung für eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge zu entwickeln,
- die Herkunftsländer der Flüchtlinge durch nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit darin unterstützt werden, politische und wirtschaftliche Ordnungen aufzubauen, die allen Menschen Sicherheit, Teilhabe und Auskommen ermöglichen,
- Fluchtursachen bekämpft werden, indem Handels-, Agrar-, Klimaschutz- und Waffenexportpolitik darauf überprüft werden, dass sie nicht zu Menschenrechtsverletzungen, kriegerischer Gewalt, gravierender Ungerechtigkeit und Zerstörung der Lebensgrundlagen beitragen und so Menschen zur Flucht treiben.
Würzburg, den 2. Mai 2015
Die Präses der Synode
der Evangelischen Kirche in Deutschland
Dr. Irmgard Schwaetzer