Sven Giegold

Chance vertan: Mehrheit des Europaparlaments verschließt Augen vor sinnvollen Schritten für mehr Rohstoffeffizienz und zur Stabilisierung der Eurozone

Das Europaparlament hat heute im Plenum eine Resolution zum Frühwarnsystem (sog. Scoreboard) verabschiedet. Dieses System ist ein zentraler Bestandteil des Verfahrens gegen makroökonomische Ungleichgewichte (Macroeconomic Imbalance Procedure). Das Scoreboard besteht aus zehn Indikatoren (z. B. Leistungsbilanz sowie private und öffentliche Verschuldung) und soll volkswirtschaftliche Ungleichgewichte in der EU aufspüren. Das Frühwarnsystem definiert die Schwerpunkte, die bei der Analyse der wirtschaftlichen Ungleichgewichte der Mitgliedstaaten in den Blick genommen werden. Auf dieser Basis macht die Kommission Vorschläge, wie die betroffenen Mitgliedsstaaten ihre Ungleichgewichte abbauen sollen. Am Ende des Verfahrens kann die Kommission auch finanzielle Sanktionen verhängen, wenn Mitgliedsstaaten die Empfehlungen der Behörde zum Abbau der Ungleichgewichte nicht ausreichend umsetzen.

Das Ergebnis der Abstimmung kommentiert Sven Giegold, finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament:

“Die Aufforderung an die Kommission, das Europarlament voll in die wirtschaftspolitische Arbeit einzubinden, ist begrüßenswert und notwendig. Die Abgeordneten fordern damit zu Recht eine effektive Einbindung des Co-Gesetzgebers und unterstreichen ihren Anspruch, die Arbeit der Kommission demokratisch zu kontrollieren.

Abgesehen von diesem Punkt ist der heutige Beschluss kein wirklicher Schritt nach vorn. Eine schwarz-gelbe Mehrheit des Europaparlaments hat heute eine wichtige Chance vertan, um ein Signal für die effektivere Verwendung von Rohstoffen und die Bekämpfung von Ungleichgewichten zu geben. Grüne Vorschlage zur Aufnahme zwei neuer Indikatoren für Rohstoffeffizienz und einer Untergrenze für Lohnstückkosten in das Frühwarnsystem fanden keine Mehrheit. Damit weigert sich die Mehrheit der Abgeordneten, ein wesentliches Problem der krisengeplagten südeuropäischen Staaten wie Griechenland, Spanien oder Italien anzugehen: ihre steigenden Nettoausgaben für Rohstoffe. Dieser Kostenblock hängt wie ein Mühlstein an der Leistungsbilanz dieser Länder und beeinträchtigt ihre Wettbewerbsfähigkeit. Ein Frühwarnsystem mit Rohstoffeffizienz-Kennziffer wäre ein effektives Instrument, um den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten den Handlungsbedarf in diesem Punkt vor Augen zu führen. Damit würde der notwendige ökologische Strukturwandel der europäischen Wirtschaftsmodelle vom tagespolitischen Kleinklein abgehoben. Die Erholung der Leistungsbilanz der Krisenländer und die wirtschaftliche Stabilisierung der Eurozone braucht eine Überwindung der Rohstoffabhängigkeit.

Eine Untergrenze für die Senkung der Lohnstückkosten sollte die Fixierung des Frühwarnsystems auf Leistungsbilanzdefizite überwinden und damit die Blickrichtung des Scoreboards sinnvoll erweitern. Trotz Unterstützung von Sozialdemokraten und Grünen fand dieser Vorschlag keine Mehrheit. Dies ist  ein herber Rückschlag, denn ohne Grenzwert werden Mitgliedsstaaten, die sich durch starke Lohnzurückhaltung kurzfristige Wettbewerbsvorteile verschaffen, auch zukünftig nicht vom Radar des Frühwarnsystems erfasst. Diese Scheuklappen-Perspektive kommt vorallem der Bundesregierung gelegen. Insbesondere Deutschland hat durch unterdurchschnittliche Lohnabschlüsse und der Ausweitung des Niedriglohnsektors die Ungleichgewichte befeuert. Die heutige Absage der Mehrheit der Europaabgeordneten an diese Untergrenze ist ein Schlag ins Gesicht sozial benachteiligter und unterbezahlter ArbeitnehmerInnen in Deutschland und erschwert die wirtschaftliche Erholung in den Krisenländern.”

 

Die Resolution finden Sie hier: http://bit.ly/17IenwN

Einen weiteren Beitrag von Sven Giegold zum Verfahren gegen volkswirtschaftliche Ungleichgewichte finden Sie hier: http://bit.ly/12Iv1wa

Einen weiteren Beitrag von Sven Giegold zur Rohstoffabhängigkeit der Krisenländer finden Sie hier: http://bit.ly/PAp3H0