Sven Giegold

Die Große Koalition darf Menschen mit Behinderung ihr Wahlrecht fürs Europaparlament nicht vorenthalten

Unter dem Druck des Bundesverfassungsgerichts wollen Union und SPD Menschen mit Behinderung endlich das Wahlrecht geben. Bisher ist vom Wahlrecht ausgeschlossen, für wen dauerhaft ein Berufsbetreuer bestellt wurde, der sich um alle rechtlichen Angelegenheiten kümmern muss. Das Bundesverfassungsgericht hatte dies im Februar bezüglich der Bundestagswahlen für verfassungswidrig erklärt. Für die Europawahl hat dies keine unmittelbare Rechtswirkung. Der Wahlrechtsausschluss im Europawahlgesetz ist allerdings wortgleich geregelt. Entsprechend des Koalitionsvertrags, wollen die Koalitionsfraktionen den Wahlrechtsausschluss für alle Wahlen streichen, allerdings soll die Änderung erst zum 1. Juli 2019 in Kraft treten, kurz nach der Europawahl am 26. Mai 2019. Gleichzeitig zur Europawahl stehen in einigen Bundesländern Kommunalwahlen an. Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat gestern verkündet, die Wahlrechtsausschlüsse zunächst nicht mehr anzuwenden, bis die Gesetze entsprechend geändert sind.

 

Dazu sagt der Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament, Sven Giegold:

“Die Große Koalition in Berlin darf Menschen mit Behinderung ihr Wahlrecht fürs Europaparlament nicht vorenthalten. Menschen mit Behinderung müssen für alle Wahlen schnellstmöglich das Wahlrecht erhalten wie es das Verfassungsgericht im Februar gefordert hat. Gerade für Menschen mit Behinderung hat Europa schon viele Hindernisse aus dem Weg räumen können. Dank der 4. Anti-Diskriminierungsrichtlinie haben viele Menschen heute weniger Behinderungen und bessere Chancen in unseren Gesellschaften. Seit vielen Jahren blockiert auch die Große Koalition in Brüssel die 5. Anti-Diskriminierungsrichtlinie. Es wäre eine bittere Ironie, wenn Menschen in Betreuung gerade auf der europäischen Ebene nicht wählen dürfen, die doch so viel für ihre Gleichstellung erreicht hat. Die Landesregierung von Baden-Württemberg zeigt, dass Wahlrechtsausschlüsse nicht unnötig angewendet werden sollten. Es wäre das Mindeste, dass der Bund dies für die Europawahl ebenfalls noch regelt.”

 


HINTERGRUND

Der Wahlrechtsausschluss für Menschen mit Behinderung betraf zur letzten Bundestagswahl rund 85 000 Bürgerinnen und Bürger. Stichtag für die Anpassung der Wählerverzeichnisse ist 42 Tage vor der Europawahl, also der 14. April 2019. Eine Anpassung rechtzeitig zur Europawahl wäre also möglich. Union und SPD hatten die Aufhebung der Wahlrechtsausschlüsse bereits im Koalitionsvertrag angekündigt. Auch im Dezember gab es noch eine  Ankündigung für einen Gesetzentwurf für Januar. Diskussionen in der Koalition führten zur Verzögerung bis jetzt.

 

Die Koalitionsfraktionen begründen das in-Kraft-Treten nach der Wahl mit der Empfehlung der Venedig-Kommission, das Wahlrecht nicht mehr kurz vor der Wahl zu ändern. So sollen die demokratischen Spielregeln nicht im anlaufenden Wahlkampf geändert werden. Hier geht es aber darum, einen verfassungswidrigen Wahlausschluss zu korrigieren. Die Begründung passt deshalb nicht zum Sachverhalt.

Rubrik: Demokratie & Lobby, Politik

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