Vor der nächsten Verhandlungsrunde über ein Freihandelsabkommen mit den USA hat der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold den Sozialdemokraten Martin Schulz aufgefordert, die Verhandlungen auf europäischer Ebene zu stoppen. Im Gespräch erläutert er die Gründe.
Sven Giegold ist einer der Mitbegründer des globalisierungskritischen Netzwerks Attac. Seit fünf Jahren sitzt der heute 44-jährige Ökonom für die Grünen im Europaparlament. Ein Gespräch über alte und neue Kritiker am Freihandelsabkommen mit den USA.
Herr Giegold, die Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit den USA, kurz: TTIP, sollen kommende Woche weitergehen, was stört Sie daran?
Wir Grünen wollen einen EU-Binnenmarkt mit starken Regeln für Gesundheit, Verbraucherschutz, Umwelt und Soziales. Wir wollen diese Regeln nicht nur erhalten, sondern erhöhen für Essen ohne Chemie, Gentechnik und Tierquälerei ohne um Zustimmung des US-Kongress und von Lobbyisten betteln zu müssen.
Auch in der SPD beginnt ein Umdenken. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat zuletzt erklärt, er könne auf eine Investitionsschutzregelung im Rahmen des Vertrags verzichten.
Mich überrascht die Arroganz mit der Gabriel auf eine halbe Million Unterschriften besorgter Bürger reagiert. Es ist nicht glaubwürdig, wenn CDU und SPD plötzlich gegen Konzernjustiz sprechen, aber im April im EU-Parlament dafür gestimmt haben. Zuvor hatten sie unseren Antrag auf Veröffentlichung des Verhandlungsmandats abgelehnt.
Das müssen Sie näher erläutern.
Vor dem Wahlkampf hat sich EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ohne diese Einschränkungen für das TTIP ausgesprochen. Wenn er gegen Investorschiedsverfahren im EU-US-Abkommen ist, müssten seine Sozialdemokraten im Rat der Kommission das Mandat dafür entziehen. Und er müsste das auch im EU-Kanada-Abkommen tun, das fast unterschriftsreif ist.
Die Schiedsverfahren sind eine deutsche Erfindung. Seit 1959 hat sich daran kaum jemand gestört, warum brandet die Kritik nun auf?
Demokratie und soziale Marktwirtschaft bedeuten, dass Konzerne Gewinne machen können, sich aber an demokratisch gesetzte Regeln halten müssen. Wenn die Steuerzahler aber milliardenschwere Entschädigung für den Atomausstieg oder mehr Umweltschutz zahlen sollen, stellt das die Demokratie auf den Kopf.
Warum wird der Aspekt „Living Agreement“ kaum diskutiert?
Das Abkommen soll mit dem Abschluss nicht fertig sein, sondern ständig weitergeschrieben werden. Dafür sollen in einem neuen Gremium Konzernlobbyisten entscheiden, ob Gesetzentwürfe zum Abkommen passen oder nicht. So entscheiden Lobbyisten, was unsere Parlamente noch behandeln dürfen. Entscheidungen würden ins Hinterzimmer verlegt statt endlich ans Licht zu kommen.
Sind die Befürchtungen nicht übertrieben, es gibt in den USA doch keine Epidemien, weil Chlorhühnchen im Bratfett enden?
Die starke Agrar- und Industrielobby in den USA will genau das von uns: Marktöffnung für Gentechnik, für tausende bisher verbotene Chemikalien, und zwar ohne Kennzeichnung. Unsere Finanzmarktlobby will im Gegenzug Marktzugang für schwächer regulierte Finanzprodukte.
Richtet sich Ihre Kritik gegen einzelne Punkte oder lehnen Sie das gesamte Abkommen mit den USA ab?
Dieses Verhandlungsmandat lehnen wir ab. Zu einem Abkommen, dass die Demokratie und die Verbraucher schützt und vor allem technische Standards behandelt, sagen wir ja.
Das Gespräch führte Peter Riesbeck (11.05.2014).