Sven Giegold

Dringend gesucht: Vertrauen in Europa

Hier ein Gastbeitrag von mir, der heute in der Frankfurter Rundschau erschienen ist:

Die Zypernkrise lehrt: Wir brauchen eine europäische Regierung, keine Schattenregierung namens EZB. Damit es nicht zu Zerwürfnissen zwischen Staaten wie Deutschland und Zypern kommt, muss europäische Solidarität dringend europäisch organisiert werden – nach demokratisch kontrollierten Kriterien.

Das Zyperndrama hat das Vertrauen in Europa grundlegend beschädigt. Ein erster schwerer Fehler war bereits der ursprüngliche Plan, die Vermögen aller Bankkunden auf Zypern zu belasten, der EU-weit versprochenen Sicherheit der Einlagen bis 100.000 Euro zum Trotz. Dass man sich formal-juristisch mit einer Sondersteuer an der Einlagensicherung vorbeitricksen wollte, macht die Sache nur noch schlimmer. Nach dem abenteuerlichen Manöver können auch Menschen in Spanien oder Italien Europas Versprechen kaum noch trauen. Dort sind mehr als zehn Prozent der Kredite in den Bankbilanzen faul – haften eines Tages die Sparer?

Die Schnapsidee der Kleinsparer-Beteiligung war das Ergebnis hektischer, nächtlicher Verhandlungen hinter verschlossenen Türen in Brüssel. Wir erlebten eine Fünf-vor-Zwölf-Diplomatie, in der sich die Beteiligten maximal unter Druck setzten. Schon jetzt ist klar, so kann das Krisenmanagement nicht weitergehen.

Pistole auf die Brust der Zyprer

Der maltesische Finanzminister Edward Scicluna beschreibt, wie das erste Katastrophentreffen der Eurogruppe ablief. Ich kenne Scicluna gut als Vize-Präsident im Wirtschafts- und Währungsausschuss des EU-Parlaments. Er ist ein besonnener Politiker. Umso drastischer wirkt sein Bericht. Er spricht von Erfahrungen, die „niemand auch nur träumen geschweige jemals erleben will“. Die Vertreter Zyperns seien gewissermaßen im Sitzungsraum eingesperrt und ihnen die Pistole auf die Brust gesetzt worden.

Nach zehnstündigen Verhandlungen willigten sie in die Hilfs-Bedingungen ein – laut Scicluna nicht aus Einsicht, sondern aus Erschöpfung. Der europäische Albtraum setzte sich fort. Als das Parlament in Zypern gegen die Zwangsabgaben aufbegehrte, zog die Europäische Zentralbank (EZB) die Daumenschrauben an. Sie drohte, Notkredite an Zyperns Banken einzustellen, wenn das Land nicht binnen weniger Tage in ein Hilfsprogramm einwilligt. Auch diese muss verstören. Mit ihrem Ultimatum mischt sich die EZB entgegen ihrem Mandat direkt in die Politik ein.

Die Bürger fragen zu Recht, wie mit so rabiaten Methoden noch eine gemeinsame, kluge und gerechte Politik für Europa gemacht werden kann. Den Zyprern wird es schwer fallen, die mit allen Mitteln erpressten Beschlüsse als fair und demokratisch anzuerkennen. Andere Euroländer werden ähnliche Situationen fürchten. Gezeigt hat sich kein verlässliches und transparentes europäisches Verfahren, sondern ein brutales Machtspiel zwischen Gläubigern und Schuldnern.

Bei diesem Politikmodus kann es nicht verwundern, wenn sich die Wut der zyprischen Bürger gegen Berlin und schlimmer noch gegen den europäischen Gedanken wendet. Statt nach der Misswirtschaft der eigenen Regierung zu fragen, suchen in den Krisenländern immer mehr Menschen den Sündenbock allein in Berlin und Brüssel. Da mag die Reform des zyprischen Geschäftsmodells „Steueroase“ noch so überfällig sein. Wird sie als Fremdherrschaft, als Diktat von außen wahrgenommen, fehlt ihr die Akzeptanz bei den Bürgern. Das bisherige Verhandlungsformat schürt stattdessen die Legendenbildung und nationale Ressentiments.

Das Zyperndrama steht stellvertretend für postdemokratische Abläufe. Auch Griechen, Spanier und Portugiesen haben weder Angela Merkel gewählt, noch EZB-Chef Mario Draghi oder IWF-Chefin Christine Lagarde. An welcher Stelle der Hinterzimmer-Politik können sie noch über das richtige Konzept für ihr Land bestimmen? Europa muss nun dem systematischen Demokratiedefizit begegnen, das naturgemäß aus dem Machtverhältnis zwischen Gläubigern und Schuldnern folgt. Damit es nicht zu Zerwürfnissen zwischen Staaten wie Deutschland und Zypern kommt, muss europäische Solidarität dringend europäisch organisiert werden – nach demokratisch kontrollierten Kriterien.

Zu Ende gedacht muss eine gewählte europäische Regierung über die Hilfsgelder verfügen. Für ihre Entscheidungen muss sich diese Regierung vor dem Europäischen Parlament verantworten, in dem alle Bürger der Eurozone vertreten sind. Nur so kann ein Raum entstehen für den demokratischen Wettbewerb um die richtige Krisenpolitik.

Wie alternativlos ist ein realitätsblindes Spar-Diktat tatsächlich? Wie wäre der Weg aus der Krise sozial und nachhaltig zu gestalten? Nur in ihrem gemeinsamen Parlament können Italiener und Spanier über diese Grundsatzfragen genauso streiten wie Deutsche und Niederländer.

Ein neues demokratisches Verfahren ist auch deshalb dringend geboten, weil die EZB entpolitisiert werden muss. Sie darf keine europäische Schattenregierung sein. Die rein faktische Macht der Geberländer und der EZB kann die demokratische Legitimierung einer gemeinsamen europäischen Politik nicht ersetzen. Vor allem Deutschland hat kein Interesse daran, zum verhassten Hegemon Europas zu werden, der anderen in Brüsseler Nächten seine Vorgaben diktiert.

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