Liebe Freund*innen,
liebe Interessierte,
in dieser Woche haben sich die Verhandlungsführer*innen des Europäischen Parlaments, der Kommission und des Ministerrats auf den EU-Haushalt für die kommenden sieben Jahre geeinigt. Dieser sogenannte mehrjährige Finanzrahmen stellt wichtige Weichen für die Zukunft der Union. Er ist zudem verknüpft mit einer Einigung über das EU-Wiederaufbauprogramm in Folge der Coronakrise “Next Generation EU” (NGEU). Das Parlament hat hart verhandelt, um das Budget zu stärken und es auf die Zukunft und die gemeinsame europäische Handlungsfähigkeit auszurichten.
Der neue Haushaltsplan umfasst für sieben Jahre 1074 Milliarden Euro – das ist viel Geld, entspricht aber kaum mehr als 1% der europäischen Wirtschaftsleistung. Zusätzlich dazu konnte das Verhandlungsteam des Parlaments weitere 16 Milliarden Euro für europäische Programme, insbesondere in den Bereichen Erasmus, Jugendaustausch, Forschung und Gesundheit, durchsetzen. Das Europaparlament hat ursprünglich deutlich mehr gefordert. Doch leider sind die Rechte des Parlaments in den europäischen Verträgen im Haushaltsverfahren begrenzt. Das Parlament muss dem Haushalt zwar mit absoluter Mehrheit zustimmen, aber auch jedes einzelne Mitgliedsland hat ein eigenes Veto. So ist die Erweiterung des Budgetrahmens schon ein Erfolg, der vor sieben Jahren nicht gelungen ist. Durch die Corona-Wirtschaftshilfen (NGEU) stehen darüber hinaus 750 Milliarden Euro für wichtige Investitionen bereit, davon 360 Milliarden als Kredite. Finanziert werden die Corona-Programme durch die erstmalige Aufnahme von gemeinsamen Schulden in großem Maßstab (“Coronabonds”), refinanziert durch gemeinsame Steuern. Gegen gemeinsame Anleihen und gemeinsame Steuern der EU hatten sich Christdemokraten und Liberale in Deutschland jahrelang gewehrt. Insgesamt sind also mehr als 1,8 Billionen Euro bis 2027 vorgesehen. Damit ist Europa in der Krise stärker geworden, während die Mitgliedstaaten vor der Coronakrise die EU-Ausgaben senken wollten. Damit sind sie krachend gescheitert. Für uns Grüne war entscheidend, dass möglichst viel dieses Geldes in die gemeinsame Zukunft in Europa und in die Umsetzung des Europäischen Green Deals fließt. Hier stelle ich euch die größten Neuerungen vor.
Wir Grünen im Europaparlament sind besonders stolz auf die verbindlichen Umwelt- und Klimaschutzziele im neuen EU-Haushalt. Mindestens 30% aller EU-Gelder werden ab jetzt in den Klimaschutz fließen. Damit wird der EU-Haushalt zu einem Investitionshaushalt für den Europäischen Green Deal! Das ist das grüne Herzstück dieses Haushalts. Und wir konnten den Rat davon überzeugen, endlich strengere Vorgaben für den Erhalt der Artenvielfalt zu machen: Ab 2024 müssen 7,5% und ab 2026 mindestens 10% aller EU-Mittel hierfür eingesetzt werden. Das ist ein toller Verhandlungserfolg, denn der Rat hatte ursprünglich keine eigenen Ausgaben für die Artenvielfalt vorgesehen. Wir haben es geschafft, dass grüne Investitionen zur Regel werden! Allerdings kommt es jetzt auf die Regeln im Kleingedruckten an. Wir werden darauf dringen, dass die Gelder in keinem Fall in neuen Investitionsruinen wie Infrastruktur für fossiles Gas enden werden. Auch hier ist ein guter Anfang gemacht.
Diese Erfolge ändern allerdings nichts an der Tatsache, dass die europäische Agrarpolitik weit hinter den notwendigen Umwelt- und Tierschutzmaßnahmen zurück bleibt. Die Ausgaben für die Agrarproduktion in Europa sind immer noch der größte Kostenpunkt im EU-Haushalt. Die deutsche Ratspräsidentschaft mit der zuständigen Ministerin Julia Klöckner hat es eindeutig versäumt, die Weichen hier auf Zukunft zu stellen – das Europaparlament leider auch. Trotzdem: Noch vor drei Jahren waren verbindliche Gelder für den Klimaschutz und den Erhalt der Artenvielfalt kein Thema. Dass der Umweltschutz jetzt ein zentraler Bestandteil des Haushalts ist, ist ein großer Erfolg. Bis 2027 werden mindestens 322 Milliarden Euro in die Eindämmung der Klimakrise fließen.
Außerdem bedeutet diese Einigung mehr Europa, denn es wird in den kommenden Jahren endlich gemeinsame Steuern auf EU-Ebene geben, die direkt in den europäischen Haushalt fließen. Das war schon lange ein Kernanliegen des Parlaments und der Freund*innen eines handlungsfähigen und demokratischen Europas. Gemeinsame EU-Steuern werden Europa dauerhaft stärken. So werden die Einnahmen aus einer europäischen Steuer auf Plastik ab nächstes Jahr direkt in den europäischen Haushalt fließen. Ab 2024 werden dann die Einnahmen aus der Bepreisung von CO2 sowohl innerhalb der EU als auch auf Importe hinzukommen, sowie die Einnahmen aus der kommenden Digitalsteuer. Die Staats- und Regierungschef*innen haben sich lange gegen Steuern auf europäischer Ebene gesträubt und nun haben wir die Zusage für mindestens vier – das ist ein Riesenschritt. Der neue EU-Haushalt bringt den Einstieg in eine echte ökologische Steuerreform auf europäischer Ebene! Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer ist für 2026 vorgesehen aber noch nicht verbindlich, hier werde ich weiter für kämpfen.
Ein dritter Kernpunkt während der Verhandlungen zwischen dem Parlament, der Kommission und dem Rat war das Thema Rechtsstaatlichkeit. Das Europäische Parlament hatte schon früh seine Zustimmung sowohl zu den Corona-Wirtschaftshilfen als auch zum mehrjährigen Finanzrahmen von einem funktionierenden Rechtsstaatsmechanismus abhängig gemacht, um die europäischen Grundwerte endlich besser zu schützen. Der Durchbruch kam am 5. November: von nun an sollen Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit mit der Kürzung von EU-Mitteln sanktioniert werden können. Das Europaparlament hat hier den schwachen Vorschlag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft verbessern können. Doch der Rechtsstaatsmechanismus bleibt nicht mehr als ein Einstieg.
Wie ist dieser Mechanismus gestrickt? Bisher war es so, dass Sanktionen gegen einen Mitgliedstaat einstimmig (außer der betroffene Staat) im Rat beschlossen werden mussten und deshalb faktisch unmöglich waren. Die neue Regelung sieht vor, dass “nur” noch eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten zustimmen muss. Ich schreibe nur in Anführungszeichen, weil das immer noch eine hohe Hürde ist, denn für eine qualifizierte Mehrheit braucht man die Zustimmung von mindestens 15 der 27 Mitgliedstaaten, die zusammen mindestens 65% der EU Bevölkerung ausmachen. Die ist angesichts vieler Mitgliedsstaaten mit schweren Defiziten bei Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten nur schwer zu erzielen. Der neue Rechtsstaatsmechanismus sieht dann so aus: Wenn die Kommission feststellt, dass in einem Mitgliedstaat der Rechtsstaat gefährdet ist und dadurch der Missbrauch von EU-Geldern droht oder bereits stattfindet, schlägt sie dem Ministerrat Sanktionen vor. Die Mitgliedstaaten müssen darüber innerhalb eines Monats abstimmen. Diese Frist verlängert sich auf maximal drei Monate, wenn der betroffene Staat um mehr Zeit bittet. Danach muss der Rat eine Entscheidung treffen. Dieser Mechanismus ist zwar nicht ganz so strikt wie wir uns das erhofft hatten, aber im Vergleich zu vorher ein wesentlich besserer Schutz der Grundrechte in Europa. Und das klare Zeichen: wer Geld will, muss sich an die Spielregeln halten. Immerhin – alleine die Existenz des Mechanismus ist ein Sieg, wie die Veto-Drohungen aus Ungarn und Polen aktuell zeigen.
Neben der Rechtsstaatlichkeit konnten wir Geschlechtergerechtigkeit zum ersten Mal strukturell im EU-Haushalt verankern. Im Rahmen der Coronakrisen-Programme wird es einen verbindlichen Einstieg in Gender Budgeting geben.
Ich danke vor allem Rasmus Andresen, der als einziger Deutscher den mehrjährigen Finanzrahmen im Verhandlungsteam des Parlaments mitausgehandelt hat. Ebenso saßen bei den Verhandlungen zum Rechtsstaatsmechanismus für uns Bündnisgrüne Terry Reintke und Daniel Freund am Verhandlungsteam. Durch unseren Einsatz ist der EU-Haushalt nicht nur europäisch stärker sondern vor allem auch grüner geworden. Wir rechnen mit einer starken Mehrheit im Plenum des Europaparlaments aus allen proeuropäischen Parteifamilien. Diese Stärkung Europas darf keine Eintagsfliege im Zuge der Coronakrise werden. Wir Grünen werden dafür streiten, dass ein starkes EU-Budget mit einer Orientierung auf gemeinsame Zuunftsinvestitionen dauerhaft die Handlungsfähigkeit Europas stärkt.
Mit erfreuten europäischen Grüßen
Sven Giegold
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