Sven Giegold

Europäische Bürgerinitiative: Einigung von Parlament und Rat bringt partizipative europäische Demokratie in Gefahr

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Am 12. Dezember haben sich das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission nach zähen Trilog-Verhandlungen auf eine Überarbeitung der Verordnung über die Europäische Bürgerinitiative (EBI) geeinigt. Das ist dringend nötig, denn bisher haben nur 4 EBIs erfolgreich mehr als 1 Millionen Unterschriften europaweit sammeln können. Über 30 EBIs scheiterten dagegen. Künftige erfolgreiche EBIs werden so manche bürokratische Hürden weniger haben, jedoch keine größere Wirkung durch die neue Verordnung. Die Arbeit der EBI-Organisatoren wird insofern erleichtert, als Mitgliedstaaten aus nur noch 2 statt bisher 13 Sets an Datenanforderungen wählen müssen. Außerdem können die Mitgliedstaaten 16- und 17-Jährigen die Möglichkeit geben, EBIs zu unterstützen, auch wenn sie noch kein Stimmrecht bei Wahlen haben, wie dies in Österreich der Fall ist. Ein schwerer Rückschlag für die EBI ist dagegen, dass sich der Rat gegen Parlament und Kommission durchgesetzt hat und individuelle Online-Sammelsysteme künftig verboten sind. Ebenso dürfen E-Mail-Adressen über das verpflichtende zentrale System bald nach dem Ende von EBIs nicht weiter verwendet werden. NGOs hatten solche individuellen Systeme geschaffen, um Unterstützung für EBIs und gleichzeitig Kontakte zur Schaffung einer wachsenden europäischen Öffentlichkeit zu gewinnen. NGOs wie WeMove.eu haben mit EBIs erfolgreich eine wachsende europäische Öffentlichkeit aufgebaut, z.B. durch die Stop Glyphosate EBI. In die technische Grundlage dafür, ein individuelles Sammelsystem, hatten mehrere NGOs rund 50 000 EUR investiert. Mitgliedstaaten hatten das System zertifiziert. Gemäß der Einigung müssen NGOs stattdessen ab 2023 ein von der Kommission bereitgestelltes zentrales Online-Sammelsystem nutzen. Individuelle Systeme werden verboten und der Zugang zu zentral gesammelten Mail-Adressen wird bald nach dem Ende der EBI gesperrt werden. Die Einigung muss noch im Plenum des Europäischen Parlaments bestätigt werden. Das könnte bereits im Januar 2019 auf die Tagesordnung kommen.

 

MdEP Sven Giegold, Berichterstatter des Europaparlaments für Transparenz, Rechenschaftspflicht und Integrität in den EU-Institutionen, kommentiert die Trilog-Einigung:

 

„Einige Fortschritte beim Bürokratieabbau für neue EBIs werden überschattet durch die Enteignung von NGOs. NGOs müssen sich auf europäischen Recht verlassen können, auf dessen Grundlage sie massiv in IT-Tools investiert hatten, um Unterstützung für EBIs und gleichzeitig Kontakte zum Aufbau einer europäischen Öffentlichkeit zu sammeln. EBIs brauchen die Unterstützung großer NGOs, um mehr als eine Million Unterschriften zu sammeln. Das Verbot weiterer Kontakte zwischen NGOs und EBI-Unterstützern, die gerne in Kontakt bleiben möchten, ist eine verpasste Gelegenheit für eine stärkere Europäische Öffentlichkeit.

 

Der Schlag des Rates gegen individuelle Sammelsysteme der NGOs soll einigen nationalen Beamten die Arbeit ersparen, solche Systeme zu zertifizieren. Tatsächlich ist diese Blockade von Kommission und Rat gegen Fortschritte für die EBI ist eine kurzsichtige Engstirnigkeit, während in Europa Demokraten europaweit zusammenstehen müssten gegen anti-europäische Angriffe der Populisten.

 

Die Kommission widersetzt sich hartnäckig allen Verpflichtungen, die ihre eigene Freiheit begrenzen würden zugunsten der Teilnahme von Bürgern an der EU-Gesetzgebung. Erfolgreiche ECIs werden keine neuen Rechte auf eine schnellere oder wirkungsvollere Reaktion der Kommission erhalten.

 

Nicht alles in der Vereinbarung über eine neue ECI-Verordnung ist schlecht. Weniger Bürokratie für zukünftige ECIs dank harmonisierter Datenanforderungen und die Begrenzung rechtlicher Risiken für die Organisatoren sind willkommene Unterstützung, können aber die schlechte Gesamtbilanz der Einigung nicht ins Positive wenden. NGOs sollten nun prüfen, ob sie genügend Fortschritte sehen, um die Einigung nicht abzulehnen. Wir Grünen werden den NGOs aufmerksam zuhören, bevor wir entscheiden die Einigung im Plenum zu akzeptieren oder abzulehnen. Wir Grünen wollen nicht auf einen Komplettausfall erfolgreicher Bürgerinitiativen warten, bevor die EU-Institutionen endlich erfolgreichen EBI die nötige Wirkung geben, die für eine starke partizipative europäische Demokratie notwendig ist.“

 

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HINTERGRUND

Bewertung durch EBI-unterstützende NGOs: http://www.citizens-initiative.eu/eu-deal-creates-a-highly-uncertain-future-for-eci/

 

HINTERGRUND: zur ZUGÄNGLICHKEIT

Die neue Möglichkeit, dass eine EBI eine Rechtspersönlichkeit bekommt, begrenzt die persönliche Haftung der Organisatoren und erleichtert so deren Engagement.

 

Die neue Trennung von Registrierung und Sammelzeitraum gibt den Organisatoren einer EBI 6 Monate mehr Flexibilität bei der Planung und Vorbereitung der Unterschriftensammlung nach Erhalt der Registrierung.

 

Die teilweise Harmonisierung der Datenanforderungen belässt Mitgliedstaaten 2 statt 13 verschiedene Anforderungspakete, wodurch die Organisation der EBI vereinfacht wird. Dennoch müssen Unterstützer weiterhin ihre vollständige Ausweis- oder Passnummer angeben – eine Hürde, die mögliche Unterstützer abschrecken könnte. Das Parlament hat sich für nur die letzten vier Ziffern ausgesprochen, aber der Rat hat sich durchgesetzt.

 

Die Mitgliedstaaten können das Mindestalter für Unterzeichnende auf 16 Jahre herabsetzen, aber die 16- und 17-Jährigen werden so eine uneinheitliche, verwirrende Vielfalt von Regeln je nach Mitgliedstaat vorfinden.

 

Die Kommission wird ein zentrales Online-Sammelsystem kostenlos für Organisatoren neuer EBIs zur Verfügung stellen. Die Organisatoren können auch die E-Mail-Adresse der Unterstützer erfragen – zusätzlich zu für die Unterstützung erforderlichen Daten. Allerdings müssen sie diese Adressen – unter Vorbehalt einer letzten rechtlichen Klärung – nach dem Ende der EBI löschen und können so auch mit den Unterstützern nicht mehr in Kontakt bleiben, die sich dies aber wünschen würden.

 

Individuelle Online-Sammelsysteme dürfen nach 2023 nicht mehr verwendet werden, obwohl sie bereits von den Mitgliedstaaten zertifiziert wurden.

 

Die von der Kommission für EBIs zur Verfügung gestellten Übersetzungen umfassen auch den Anhang der EBIs, jedoch mit einer Zeichenbegrenzung für den der kostenlos zu übersetzenden Text, was eine fairer Kompromiss ist.

 

Zur WIRKUNG

Die einzige wesentliche Änderung für die Wirkung erfolgreicher EBIs ist nicht Teil der Trilog-Einigung, sondern eine davon unabhängige Änderung der Geschäftsordnung des Europaparlaments. Demzufolge hat das Parlament für zukünftige erfolgreiche EBIs nach der Anhörung der Organisatoren und vor der formellen Antwort der Kommission eine Plenardebatte zum Ziel der EBI zu führen. Der Verfassungsausschuss hat dies bereits ohne Kontroverse beschlossen. Das Plenum muss dem im Januar noch zustimmen. Die Mehrheit des Parlaments war jedoch dagegen, diese Verpflichtung auch in die neue Verordnung über EBIs zu schreiben.

Für die Anhörung einer erfolgreichen EBI im Parlament wollte das Parlament, dass die Kommission durch einen Kommissar vertreten wird. Stattdessen wird in der neuen Verordnung nur eine Vertretung „auf der geeigneten Ebene“ gefordert – ein enttäuschendes Ergebnis.

Die Kommission wird weiterhin ihren eigenen Zeitplan festlegen, wann die Kommission vorschlägt, wozu sie sich in ihrer Antwort auf eine erfolgreiche EBI bereits verpflichtet hat. Alle Versuche des Parlaments, eine Frist von 12 Monaten für einen versprochenen Vorschlag festzulegen, wurden abgelehnt.

Rubrik: Demokratie & Lobby, Politik

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