Sven Giegold

FAZ: Kompromiss über Finanzaufsicht rückt näher

Kompromiss über Finanzaufsicht rückt näher

Eine einheitliche EU-Finanzaufsicht wird wahrscheinlicher. Der Streit über Kompetenzen der neuen Behörden soll an diesem Montag gelöst werden, hieß es in Brüssel. Nach bisherigem Plan sollen die drei Behörden für Banken, Versicherungen und Wertpapierhandel ihre Arbeit Anfang 2011 aufnehmen.

Von Werner Mussler, Brüssel

04. Juli 2010

In Brüssel hieß es am Wochenende von mehreren Seiten, der politische Wille sei gewachsen, den lange andauernden Streit über die Ausgestaltung der neuen EU-Finanzaufsicht noch vor der Sommerpause beizulegen. An diesem Montag wollen Vertreter der zuständigen Gesetzgebungsorgane – Europaparlament, Ministerrat und EU-Kommission – versuchen, die bestehenden Streitpunkte auszuräumen. Im Kern geht es um die Frage, wie weit die Kompetenzen der vorgesehenen drei EU-Aufsichtsbehörden für Banken, Versicherungen und Wertpapierhandel gehen sollen.

Die EU-Finanzminister hatten vor einem halben Jahr die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Durchgriffsrechte der neuen Behörden auf die nationale Aufsicht zurückgestutzt. Eine große Parlamentsmehrheit liegt dagegen auf Kommissionslinie und will den europäischen Behörden möglichst weitreichende Befugnisse einräumen. Wenn in dieser Woche eine Grundsatzeinigung erreicht wird, könnten die notwendigen Gesetze im September beschlossen werden. Kommt kein Kompromiss zustande, wollen die Parlamentarier eine harte Linie beschließen, was die Gesetzgebung verzögern würde. Nach bisherigem Plan sollen die drei Behörden ihre Arbeit Anfang 2011 aufnehmen.

„Das Durchgriffsrecht der EU-Behörden ist nicht verhandelbar“

Grundsätzlich sollen sie vor allem dafür sorgen, dass die europäischen Finanzmarktregeln von den nationalen Behörden einheitlich angewandt werden. Letztere sollen insoweit ihre Zuständigkeiten im Prinzip behalten. Der Konflikt zwischen den Mitgliedstaaten und der EU-Ebene bezieht sich vor allem auf die Frage, wann und in welchem Umfang dieses Prinzip durchbrochen werden soll. Umstritten ist zunächst, ob – wie vom Parlament verlangt – die Aufsicht über große, grenzüberschreitend tätige Institute wie die Deutsche Bank oder BNP Paribas ausschließlich von den europäischen Behörden wahrgenommen werden soll, denen die nationale Aufsicht dann nur noch zuarbeiten würde. Strittig ist vor allem die Behandlung von Konflikten zwischen verschiedenen nationalen Behörden – etwa zwischen der Heimataufsicht eines großen Instituts und lokalen Aufsehern ihrer ausländischen Tochterunternehmen. Es gilt aber auch zwischen der EU- und der nationalen Ebene.

Die Parlamentsmehrheit hat mögliche Kompromisslinien mit den Mitgliedstaaten in einem internen Papier ausgelotet. Alle vier großen Fraktionen fordern, dass in Konfliktfällen die EU-Ebene das letzte Wort haben muss: „In anderen Punkten kann ich mir eine Einigung vorstellen. Aber das Durchgriffsrecht der EU-Behörden ist nicht verhandelbar“, sagt der Parlamentsberichterstatter für die Wertpapieraufsicht, Sven Giegold (Grüne). Die Mitgliedstaaten wollen den nationalen Aufsehern in solchen Fällen bislang ein Vetorecht sichern. Der CDU-Abgeordnete Burkhard Balz widerspricht: Nur eine EU-Behörde könne die Risiken EU-weit tätiger Institute für die Finanzmarktstabilität überblicken.

Mit dem Durchgriffsrecht verknüpft ist die Frage, ob die EU-Aufsicht von sich aus jene Finanzmarktprodukte zeitweise verbieten kann, die von ihr als riskant eingestuft werden. Bislang dürfen das nur nationale Behörden. Dieser Punkt gilt als kompromissfähig. „Zumindest wenn Gefahr im Verzug ist, muss die EU-Behörde schnell und einheitlich handeln können“, sagt der SPD-Abgeordnete Udo Bullmann. Die Verbotsermächtigung soll aber restriktiv definiert werden. Ein Kompromiss zeichnet sich auch im Konflikt über die Kompetenzen der EU-Behörden in Krisenfällen ab. Sie sollen in diesen Fällen zwar direkte Anweisungen geben dürfen; wenn diese aber wesentliche Auswirkungen auf die nationalen Haushalte haben, sollen die Mitgliedstaaten ein Widerspruchsrecht erhalten. Für einen Fall wie den der in Schieflage geratenen deutschen Bank Hypo Real Estate hieße das, dass die Aufsicht zwar direkt eingreifen könnte, dass eine Rettung nur mit Billigung des deutschen Parlaments erfolgt, soweit sie deutsche Steuergelder erfordert.

Ein zentraler Sitz in Frankfurt ?

Als kompromissfähig gelten auch jene offenen Punkte, die den Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) betreffen. Dieser soll als „Makro-Aufsicht“ die drei Behörden ergänzen, aber keine einzelnen Institute überwachen, sondern Risiken für das ganze Finanzsystem erforschen. Als Sitz für den ESRB ist Frankfurt vorgesehen. Das Parlament fordert, dass der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) auch den Vorsitz im ESRB übernimmt. „Die Unabhängigkeit der EZB sichert auch die Unabhängigkeit des ESRB“, sagt Giegold. Diese solle aber dadurch verstärkt werden, dass unabhängige Fachleute, etwa Wissenschaftler, im ESRB eine Rolle spielen.

Die Frage, wo die Aufsichtsbehörden für Banken, Versicherungen und Wertpapierhandel ihren Sitz haben sollen, gilt nach dem Parlamentspapier als verhandlungsfähig. Ursprünglich strebten die Parlamentarier an, auch alle drei Behörden am Sitz des ESRB anzusiedeln, um die Finanzaufsicht an einem Ort – Frankfurt – zu konzentrieren. Nach dem Willen der Mitgliedstaaten sollen die Behörden dagegen an den Standorten der bisher zuständigen Regulierungsausschüsse – London, Frankfurt und Paris – belassen werden. Als Kompromiss zeichnet sich ab, die drei Standorte bis auf weiteres beizubehalten und langfristig einen zentralen Sitz in Frankfurt „anzustreben“.

Text: F.A.Z.