Wir dürfen David Cameron nicht erlauben, das europäische Rad zurückzudrehen, sage ich im Gastbeitrag für das Handelsblatt. Aber: Um den Brexit zu verhindern, braucht es endlich wieder europäischen Fortschritt und Erfolge.
Bei seinem nächsten Besuch in Brüssel wird David Cameron mit breiter Brust auftreten. Er wird versuchen, mehr als je zuvor, das europäische Rad zurückzudrehen. Im Rat der Europäischen Union hat Cameron schon in den letzten Jahren bei jeder Gelegenheit versucht, den gemeinsamen EU-Binnenmarkt mit weniger gemeinsamen Regeln zu versehen.
Ein fataler Irrtum. Die anderen EU-Länder müssen klar machen, dass an gemeinsam gesetzten Zielen, wie die EU 2020-Ziele, die auch klare Maßgaben für den Klimaschutz, Bildung und Armutsbekämpfung machen, nicht gerüttelt werden kann.
Denn ein gemeinsamer Markt braucht einen gemeinsamen Ordnungsrahmen, sonst verliert er seine Legitimation und Akzeptanz. Ebenso braucht Europa gemeinsame Werte, denn ein gemeinsamer Markt allein wird Europa kaum voranbringen. Daher kann es auch beim europäischen Schutz von Grund- und Menschenrechten geben. Die europäischen Partner müssen Cameron klarmachen, dass es den gemeinsamen Markt nur mit Ordnungsrahmen und gemeinsamen Werten gibt.
Doch Vertiefungen in der gesamten EU sind unwahrscheinlicher geworden, da die eigentlichen Wahlsieger, die EU-Skeptiker unter Camerons Tories sind. Umso wichtiger ist es nun, dass endlich Fortschritte bei der Zusammenarbeit in der Euro-Zone gemacht werden. Den Eiertanz, den Cameron bezüglich des Brexits in der gesamten EU aufführt, darf Angela Merkel nicht innerhalb der Euro-Zone wiederholen.
Die Visionslosigkeit mit der Merkel Europa in den letzten Jahren eingeschläfert und einen Lösungsvorschlag der Euro-Krise bis heute nicht hervorgebracht hat, ist ein denkbar schlechter Start für eine Anti-Brexit-Kampagne. Um den Brexit zu verhindern, braucht es endlich wieder europäischen Fortschritt und Erfolge.
Der Labour-Partei kann man nicht viel mehr als ein Armutszeugnis ausstellen: Sie haben den Briten keine wirkliche Alternative zu den Tories angeboten. Dabei war genug Spielraum für alternative Erklärungsansätze, etwa in der Klima- und Energiepolitik oder bei sozialen Themen. Nicht zuletzt hat Labour auch Europa einen Bärendienst erwiesen, in dem sie sich kleinlaut dem anti-europäischen Geist der Tories untergeordnet haben. In Schottland hat die SNP bewiesen, dass man auch Labour-Wähler mit einer ausdrücklich europafreundlichen Kampagne gewinnen kann.
Zwei positive Seiten hat das für Europa insgesamt ernüchternde Wahlergebnis dennoch: Die Europafeinde der Ukip bekommen nur einen Sitz im Unterhaus. Parteichef Nigel Farage hat seinen Wahlkreis nicht gewinnen können. Jetzt muss er weiter den Oberpöbler im Europäischen Parlament geben. Das kann er wohl auch am besten und wird für uns EU-Parlamentarier weiter zu ertragen sein.
Zweitens, der Erdrutschsieg der Schottischen Nationalpartei (SNP) ist ein bemerkenswertes Bekenntnis der schottischen Wähler zu Europa. Die SNP hat deutlich an Sitzen im Unterhaus gewonnen und wird die neue pro-europäische Stimme in Westminister sein. Sie müssen klar machen, dass ein Brexit ein Schnitt in das eigene Fleisch wäre. Zudem müssen sie die Labour-Partei aus deren europapolitischen Tiefschlaf aufwecken, um zusammen in einer beherzten pro-europäischen Kampagne gegen den Brexit zu mobilisieren. Dabei sollten sie auch auf die Unterstützung aus dem Rest Europas zählen dürfen. Denn den Brexit will weder Europa, noch die Mehrheit der Briten.