Dieser Gastbeitrag von mir ist am 9. April in der Frankfurter Rundschau erschienen.
Alexis Tsipras und Jens Weidmann. Auf den ersten Blick haben der griechische Ministerpräsident und der Präsident der Deutschen Bundesbank wenig gemeinsam. Der eine ein Rebell in der EU, der seit Wochen gegen die strengen Sparauflagen der übrigen Euroländer protestiert. Der andere ein knallharter Vertreter deutscher Geld- und Ordnungspolitik. Aber in einem Punkt bekommt Tsipras nicht nur Rückendeckung von Weidmann, sondern dieser will eine von Tsipras‘ Ideen sogar nach Deutschland bringen. Worum es geht? Um den sogenannten Fiskalrat. Die griechische Regierung hat die Einführung einer solchen Behörde auf ihre erste Reformliste geschrieben, die sie Ende Februar in Brüssel eingereicht hat.
Der griechische Fiskalrat soll ein „Wächter“ sein, der Gesetzesentwürfe auf ihre haushaltswirksamen Folgen überprüft und eingreifen kann, wenn Gesetze zu mehr Schulden führen. Um bei den Politikern und in der Öffentlichkeit ein größeres Bewusstsein zu schaffen, dass Wahlversprechen auch Geld kosten, soll der Fiskalrat die Programme der Parteien vor den Wahlen auf ihre Auswirkungen auf die Staatsfinanzen analysieren – auch über die kurzfristige Legislaturperiode hinaus. Diese Idee findet sich erstaunlicherweise im jüngsten Monatsbericht der Deutschen Bundesbank wieder. Sie scheint ihre traditionelle Zurückhaltung aufzugeben und der Politik klare, unabhängige Ratschläge geben zu wollen, wie sie die Fiskalpolitik strukturieren soll. Die Bundesbank möchte Fiskalpolitik, die zur wirtschaftlichen Stabilität beiträgt, besser verankern. Sie bemängelt in ihrem Bericht, dass die Defizitregeln in der EU zu unklar seien und die EU-Kommission sie nicht unabhängig prüfen könne, weil sie immer auch von politischen Zwängen abhängig ist. All das geht genau in die Richtung von Tsipras und seinem Wächter über die Politik.
Der Vorschlag ist nicht neu. Der IWF, die OECD und andere Institutionen haben sich in der Vergangenheit dafür eingesetzt. Viele Länder, darunter die Niederlande, Dänemark und allen voran die USA haben damit beste Erfahrungen gemacht. Leider war diese Idee in Deutschland bisher noch nicht mehrheitsfähig.
Man muss nicht die Politikwissenschaft zurate ziehen, um zu erkennen, dass Politik meist von kurzfristigen Interessen getrieben ist. Wichtig ist zuallererst die Wiederwahl, auch wenn sie teuer erkauft wird. Das Abarbeiten der entstandenen Schulden wird auf die kommenden Generationen abgewälzt. Dagegen wäre ein Fiskalrat genau das richtige Instrument.
Das regelgläubige Deutschland führt lieber eine fixe Schuldenbremse ein. Explizit ausgenommen werden davon zusätzliche Ausgaben in Konjunkturkrisen. Wer entscheidet aber, wie viele Ausgaben notwendig sind, um die Konjunktur wieder auf den richtigen Pfad zu bringen? Und noch viel schwieriger: Wer traut sich in Zeiten, in denen die Wirtschaft brummt, auf die Bremse zu treten und Schulden zu tilgen? Politiker bestimmt nicht. Schließlich müssten sie dann Steuern erhöhen oder Staatsausgaben einschränken. Einem Fiskalrat, der nicht von Wählerstimmen abhängig ist, fiele das leichter.
Der Vorschlag mag auf den ersten Blick undemokratisch klingen, weil er die Gestaltungsmöglichkeiten der Parlamente einschränkt. Wichtig ist deshalb, dass nur der konjunkturelle Teil des Staatshaushaltes von einer unabhängigen Behörde überwacht wird; also die Schulden beziehungsweise Überschüsse. Das Parlament hätte weiterhin das volle Recht, souverän zu entscheiden, welche Aufgaben der Staat wahrnimmt, ob die Staatsquote 30 oder 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen soll, wofür das Geld ausgegeben wird und ob man dafür lieber Erbschaften oder Einkünfte aus Arbeit besteuert.
Allein die konjunkturelle Stimulierung oder Dämpfung wird dem Fiskalrat übertragen. Das Prinzip kennen wir bereits aus der Geldpolitik: Da wurde auch einst festgestellt, dass es besser ist, wenn die Politiker nicht den direkten Zugang zur Notenpresse haben. Seitdem obliegt die Entscheidung, mehr oder weniger Banknoten in den Umlauf zu bringen, der Bundesbank.
Spätestens seit der Schuldenkrise wissen wir, dass auch das permanente Schuldenmachen brandgefährlich sein kann und Politiker nicht unbedingt verantwortlich mit unserem Geld umgehen. Deshalb sollte es auch hier eine unabhängige Entscheidungsinstanz geben.
Genauso gefährlich wie überbordende Schulden ist eine alles erstickende Austerität. Wenn man aufgrund starrer Regeln zum falschen Zeitpunkt zu sehr spart, wird konjunkturelle Arbeitslosigkeit leicht strukturell. Wenn Menschen jahrelang ohne Arbeit waren, sind sie oft nicht mehr reintegrierbar. Mit einem Fiskalrat bräuchten wir diese starren Regeln nicht, weil dieser in der Krise keine Austerität vorschreiben würde. Und so wie wir dank der unabhängigen Notenbank keine Angst vor Inflation haben müssen, drohen auch keine zu hohen Schulden. Schließlich würde der Fiskalrat ohne Rücksicht auf Wählerstimmen im Konjunkturaufschwung rechtzeitig wieder den Abbau der Schulden verlangen.
Darum ist die Forderung von Tsipras und Weidmann so radikal wie gut. Mit einer unabhängigen Instanz gibt es keine übertriebene Austerität mehr in Krisenzeiten, aber auch keine permanenten strukturellen Defizite. Wir erreichen nachhaltige Staatsfinanzen und können trotzdem die überbordende Arbeitslosigkeit in Europa effektiv bekämpfen. Dafür brauchen wir einen starken Fiskalrat in Griechenland, in Deutschland und in Europa.