Sven Giegold

Europaparlament: Geheime Abstimmung über Transparenz im Lobbyismus ist bittere Ironie

Am 31. Januar wird das Europaparlament zum ersten Mal über bindende Regeln für die Lobbytransparenz von Europaabgeordneten abstimmen, als Teil einer Reform über die Änderung der Geschäftsordnung des Europaparlaments. Letzte Woche Mittwoch hat die christdemokratische EVP-Fraktion beschlossen, über diese Geschäftsordnungsänderung geheim abstimmen zu wollen. Die Entscheidung in der EVP-Fraktionssitzung fiel knapp mit 41 ja zu 34 nein bei einer Enthaltung. Ein Abgeordneter von Viktor Orbans Fidesz hatte den Antrag gestellt. Die 76 EVP-Europaabgeordneten, die an der Fraktionsabstimmung teilnahmen, machen ein Drittel (35 Prozent) der 218 Mitglieder starken Christdemokraten-Fraktion aus. Die 41 ja-Stimmen machen 19 Prozent aus. Laut Regel 180a der aktuellen Geschäftsordnung muss eine Abstimmung geheim stattfinden, wenn MdEPs oder Fraktionen dies beantragen, die wenigstens 20 Prozent der Mitglieder des Parlaments ausmachen. Die EVP könnte eine geheime Abstimmung also gegen alle anderen durchsetzen.

 

Zur Reform der Geschäftsordnung sagt Sven Giegold, Berichterstatter des Europaparlaments für Transparenz, Rechenschaftspflicht und Integrität in den EU-Institutionen:

 

“Es ist eine bittere Ironie, dass gerade über Transparenz geheim abgestimmt werden soll. Transparenz von Lobbyismus im Europaparlament darf nicht zur Geheimsache gemacht werden. Entgegen der Gepflogenheiten des Parlaments, wollen die Christdemokraten eine geheime Abstimmung. Die Christdemokraten dürfen nicht den Anschein erwecken, die Abgeordneten trauten sich nicht öffentlich für ihre Überzeugungen einzustehen. Die Abstimmung wird darüber entscheiden, ob Bürgerinnen und Bürger künftig erfahren werden, welche Lobbyisten Europaabgeordnete getroffen haben. Die Abgeordneten sollten in einer namentlichen Abstimmung zu ihrer Meinung stehen. Eine geheime Abstimmung über Transparenz wäre eine Farce, die den Ruf des Europaparlament in Frage stellt. Bisher gilt das Parlament zu Recht als in Transparenzfragen führende EU-Institution. Die Christdemokraten lassen sich von einer Minderheit in ihrer Fraktion die Forderung nach geheimer Abstimmung aufdrücken. Es wäre tragisch wenn diese Minderheit der Christdemokraten nun auch dem ganzen Europaparlament schweren Schaden zufügt. Wir tragen das Thema in die Gremien des Europaparlaments, um auf eine erneute Abstimmung in der EVP-Fraktion und den Verzicht auf die geheime Abstimmung zu drängen. Dass eine große Fraktion eine unbequeme namentliche Abstimmung mittels der Geschäftsordnung verhindert ist äußerst unüblich. Es stärkt die Europäische Demokratie, wenn die große Fraktionen demokratische Zurückhaltung pflegen und ihre Möglichkeiten nicht dafür nutzen, demokratische Rechte zu schwächen. Ein Missbrauch der Möglichkeiten großer Fraktionen, um sich Rechenschaftspflicht zu entziehen, nützt nur den Europagegnern, die die Herzkammer der Europäischen Demokratie als undemokratisch verächtlich machen.”

 

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HINTERGRUND: Regel 180a über geheime Abstimmungen im Plenum

 

TITEL VII : SITZUNGSPERIODEN

KAPITEL 5 : BESCHLUSSFÄHIGKEIT, ÄNDERUNGSANTRÄGE UND ABSTIMMUNG

Artikel 180a : Geheime Abstimmung(1)

1. Über Ernennungen wird unbeschadet der Anwendung von Artikel 15 Absatz 1 und Artikel 204 Absatz 2 Unterabsatz 1 geheim abgestimmt.

Nur die Stimmzettel, die die Namen von Personen tragen, deren Kandidatur vorlag, werden bei der Berechnung des Abstimmungsergebnisses berücksichtigt.

2. Eine geheime Abstimmung erfolgt auch, wenn sie von Mitgliedern oder einer oder mehreren Fraktionen, durch die mindestens die hohe Schwelle erreicht wird, beantragt wird. Ein solcher Antrag muss vor Eröffnung der Abstimmung gestellt werden.

3. Ein Antrag auf geheime Abstimmung hat Vorrang vor einem Antrag auf namentliche Abstimmung.

4. Bei jeder geheimen Abstimmung zählen zwei bis acht durch das Los bestimmte Mitglieder die Stimmen, es sei denn, es wird elektronisch abgestimmt.

Bei Abstimmungen gemäß Absatz 1 können die Kandidaten nicht mit der Stimmenzählung beauftragt werden.

Die Namen der Mitglieder, die an einer geheimen Abstimmung teilgenommen haben, werden im Protokoll der Sitzung aufgeführt, in der diese Abstimmung stattgefunden hat.

(1) Artikel 180a gilt entsprechend für Ausschüsse (siehe Artikel 209).