Die Fraktionen von Grünen, FDP und Linken im Bundestag haben in dieser Woche vor dem Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung beantragt. Damit soll sichergestellt werden, dass der Ausschluss von Menschen mit Behinderung vom Wahlrecht schon rechtzeitig für die Europawahl ein Ende hat. Bisher ist vom Wahlrecht ausgeschlossen, für wen dauerhaft ein Berufsbetreuer bestellt wurde, der oder die sich um alle rechtlichen Angelegenheiten kümmern muss. Dabei geht es um das Wahlrecht von rund 85.000 Bürgerinnen und Bürgern! Das Bundesverfassungsgericht hatte dies im Februar bezüglich der Bundestagswahlen für verfassungswidrig erklärt. Der Antrag der Grünen und der anderen Fraktionen richtet sich gegen die Wort für Wort gleiche Regelung im Europawahlgesetz. Die Große Koalition will den Wahlrechtsausschluss für alle Wahlen streichen, allerdings soll die Änderung erst zum 1. Juli 2019 in Kraft treten, kurz nach der Europawahl am 26. Mai 2019. Union und SPD hatten die Abschaffung des Wahlrechtsausschluss schon im Koalitionsvertrag versprochen, dann aber über Monate im parlamentarischen Verfahren blockiert.
Dazu sagt der Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament, Sven Giegold:
“Wir nehmen nicht hin, dass die Untätigkeit der Großen Koalition in Berlin droht, Menschen mit Behinderung ihr Wahlrecht fürs Europaparlament vorzuenthalten. Menschen mit Behinderung müssen für alle Wahlen schnellstmöglich das Wahlrecht erhalten wie es das Verfassungsgericht im Februar gefordert hat. Es ist unerträglich, dass sich zwar alle Fraktionen im Ziel einig sind, die Blockade der Großen Koalition Menschen mit Behinderung aber ausgerechnet das Wahlrecht zum Europaparlament vorenthält. Gerade für Menschen mit Behinderung hat Europa schon viele Hindernisse aus dem Weg räumen können. Dank der 4. Anti-Diskriminierungsrichtlinie haben viele Menschen heute weniger Behinderungen und bessere Chancen in unseren Gesellschaften. Seit vielen Jahren blockiert auch die Große Koalition in Brüssel die 5. Anti-Diskriminierungsrichtlinie. Es wäre eine bittere Ironie, wenn Menschen in Betreuung gerade auf der europäischen Ebene nicht wählen dürfen, die doch so viel für ihre Gleichstellung erreicht hat.”
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HINTERGRUND
Antrag der Grünen, Linken und FDP an das Bundesverfassungsgericht mit Begründung: https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/behindertenpolitik/Wahlrecht_Einstweilige_Anordnung_Bundesverfassungsgericht.pdf
Treibende Kraft hinter der Klage ist die großartige und unermüdliche Britta Haßelmann, Grüne MdB aus Bielefeld.
Der Wahlrechtsausschluss für Menschen mit Behinderung betraf zur letzten Bundestagswahl rund 85 000 Bürgerinnen und Bürger. Stichtag für die Anpassung der Wählerverzeichnisse ist 42 Tage vor der Europawahl, also der 14. April 2019. Eine Anpassung rechtzeitig zur Europawahl wäre also möglich. Union und SPD hatten die Aufhebung der Wahlrechtsausschlüsse bereits im Koalitionsvertrag angekündigt. Auch im Dezember gab es noch eine Ankündigung für einen Gesetzentwurf für Januar. Diskussionen in der Koalition führten zur Verzögerung bis jetzt.
Die Koalitionsfraktionen begründen das in-Kraft-Treten nach der Wahl mit der Empfehlung der Venedig-Kommission, das Wahlrecht nicht mehr kurz vor der Wahl zu ändern. So sollen die demokratischen Spielregeln nicht im anlaufenden Wahlkampf geändert werden. Hier geht es aber darum, einen verfassungswidrigen Wahlausschluss zu korrigieren. Die Begründung passt deshalb nicht zum Sachverhalt.