Sven Giegold

Kapitalmarktpaket der EU-Kommission: Kein großer Wurf für die Kapitalmarktunion

Heute, am 26.11.2021, stellt die EU-Kommission ihr Kapitalmarktpaket vor. Dieses umfasst Änderungen an der Finanzmarktverordnung (MiFIR), den Regeln für alternative Investments wie z.B. Hedgefonds (AIFMD), dem europäischen Rahmenwerk für langfristige Investmentfonds (ELTIF) sowie die Schaffung eines zentralen europäischen Datenhubs für Unternehmensdaten (ESAP). Die Vorschläge zielen vor allem auf mehr Transparenz in den zersplitterten europäischen Kapitalmärkten ab, etwa durch Schaffung eines gemeinsamen europäischen Datentickers (‘consolidated tape’). Größtenteils handelt es sich um die Umsetzung von Maßnahmen, die die EU-Kommission im vergangenen Jahr in ihrem Aktionsplan für die Kapitalmarktunion angekündigt hat. Die Kapitalmarktunion ist ein wichtiger Schritt für eine stabilere Währungsunion, in der Risiken über Grenzen hinweg gemeinsam getragen werden. Mehr Informationen zu den Inhalten der verschiedenen Vorschläge finden Sie unten in dieser E-Mail.

Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament, erklärt:

“Das Paket der EU-Kommission zum Kapitalmarkt ist kein großer Wurf. Einer wirklichen Kapitalmarktunion werden die Pläne nicht gerecht. Kapitalmarkttransparenz allein macht noch keine Kapitalmarktunion. Für eine echte europäischen Kapitalmarktunion braucht es eine konsequente Harmonisierung zentraler Bereiche zwischen den Mitgliedsstaaten. Harmonisiert werden sollten Steuer-, Unternehmens-, Insolvenz-, Aufsichts- und Verbraucherschutzrecht der EU-Länder. Mit ihren neuen Vorschlägen pflückt die EU-Kommission weiter nur die tief hängenden Früchte am Wegesrand. Dem Ziel der Kapitalmarktunion kommen wir so kaum näher. Immerhin will die EU-Kommission im kommenden Jahr Vorschläge für eine Mini-Harmonisierung in bestimmten Bereichen des Insolvenzrechts vorlegen. Doch das alleine genügt nicht. Die EU-Kommission muss ihren ambitionslosen Aktionsplan für die Kapitalmarktunion dringend überarbeiten und die entscheidenden Harmonisierungsprojekte ganz oben auf die Agenda setzen. Die kommende deutsche Bundesregierung hat angekündigt, sie dabei zu unterstützen.

Ohne mehr Transparenz und bessere Daten kann die Kapitalmarktunion nicht gelingen. Die Schaffung eines europäischen Zentralregisters für Unternehmensdaten bei der ESMA ist ein wichtiger Schritt. Außerdem ist es überfällig, dass die EU-Kommission beim Consolidated Tape endlich Nägel mit Köpfen machen will. Ein gemeinsamer europäischer Datenticker stärkt den Wettbewerb und kann bei Profis wie Kleinanlegern für mehr Durchblick im europäischen Kapitalmarktdschungel sorgen. Entscheidend ist, dass es für alle fairen und günstigen Zugang zu den Daten gibt. Allerdings füllt die EU-Kommission hier alten Wein in neue Schläuche: Das Consolidated Tape hätte schon die MiFID II bringen sollen. Der überfällige Vorstoß beim Consolidated Tape ist deshalb Pflicht, nicht Kür.

Mit einem Komplettverbot von Payment for Order Flow würde die EU-Kommission Verbraucherinnen und Verbrauchern einen Bärendienst erweisen. Das Verbot wäre ein Geschenk für alle konventionellen Anbieter, die sich die lästige Fintech-Konkurrenz vom Hals schaffen wollen. Kleinanleger wären dann wieder auf die konventionellen Angebote angewiesen, die oft überteuerte Gebühren aufweisen und wenig kundenfreundlich sind. Beim Aktienhandel für Kleinanleger gibt es seit langem ein klares Marktversagen. Solange die EU-Kommission dieses Marktversagen nicht behoben hat, sollte sie die Geschäftsmodelle von innovativen Herausforderern nicht rundheraus verbieten. Die EU-Kommission sollte für faire Wettbewerbsbedingungen zwischen Fintechs und konventionellen Anbietern sorgen. Dazu gehört, dass Interessenskonflikte minimiert und der Anlegerschutz groß geschrieben werden. Es lässt tief blicken, dass die EU-Kommission gerade bei den Neobrokern die Markttransparenz gefährdet sieht. Während sie sämtliche Kleinanleger auf die bislang teuren Börsen zwingen will, lässt sie Finanzunternehmen weiter in großem Umfang in Dark Pools und auf anderen intransparenten Plattformen handeln. Das passt nicht zusammen. Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.

Eine Kapitalmarktunion kann es nur zusammen mit einer Anlegerschutzunion mit einheitlichen hohen Standards geben. ELTIFs können für Kleinanleger eine sinnvolle Langfristanlage sein. Doch die Pläne der EU-Kommission zu den ELTIFs sind unausgewogen. Durch die geplante starke Ausweitung den Anlagespektrums verlieren die ELTIFs an Profil. Kleinanlegern wird es schwer gemacht, den Durchblick bei den komplexen, hochriskanten und oft teuren Produkten zu behalten. Eine flächendeckende unabhängige Finanzberatung könnte massenhafte Fehlkäufe verhindern. Doch solange die MiFID II die provisionsgetriebene Beratung mit ihren grundlegenden Fehlanreizen weiter erlaubt, bleibt unabhängige Finanzberatung in weiten Teilen Europas ein Nischenphänomen. Mit der geplanten Öffnung der ELTIFs auch für Kleinanleger mit geringem Anlagekapital macht die EU-Kommission den zweiten Schritt vor dem ersten. Bevor die EU-Kommission bestehende Verbraucherschutzregeln aufweicht, muss sie erst das Marktversagen bei der Finanzberatung von Kleinanlegern beenden. Ich erwarte von der EU-Kommission, dass sie nächstes Jahr im Rahmen ihrer Retail-Investor-Strategie den strukturellen Fehlanreizen in der Finanzberatung von Kleinanlegern den Kampf ansagt.

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MiFIR: Für alle großen Wertpapierklassen soll ein gemeinsamer europäischer Datenticker geschaffen werden, der die Handelsdaten aller europäischen Börsen und sonstigen Handelsplätze zeitnah zusammenführt. Markt- und Transparenzregeln im Wertpapierhandel sollen teilweise angepasst (z.B. double volume cap), aufgeweicht (z.B. derivatives trading obligations) oder abgeschafft (z.B. open access for exchange traded derivatives) werden. Daneben sieht der Vorschlag überraschenderweise auch ein pauschales Verbot von Payment for Order Flow (PFOF) vor. Unter PFOF versteht man die gängige Praxis, dass Handelsplätze Provisionen an Broker zahlen, wenn diese Kundenorders an sie weiterleiten. Diese Rückvergütungen bilden die Grundlage für das Geschäftsmodell der sogenannten Neobroker, die Kleinanleger*innen den Handel mit Finanzprodukten online oder via App zu geringen Gebühren anbieten. Seit den Börsenturbulenzen um die Aktien der Firma Gamestop im Frühjahr, an denen die Nutzer*innen von Neobrokern einen erheblichen Anteil hatten, steht das Geschäftsmodell dieser Fintechs in der Kritik. Bemängelt wurde unter anderem, dass die oft spielartige Aufmachung des Börsenhandels (“Gamification”) vor allem eine junge Zielgruppe zum Zocken verleiten kann. Außerdem wurde kritisiert, dass PFOF für Interessenskonflikte sorgt und die Neobroker unter Umständen nicht immer im besten Interesse ihrer Kund*innen handeln. Die EU-Kommission begründet das geplante Verbot jedoch mit Vorteilen für die Markttransparenz, wenn die Orders von Kleinanleger*innen ausschließlich auf transparente Handelsplätze (Börsen und multilaterale Handelssysteme) geleitet werden. In der EU gehen 7 bis 10 Prozent des täglichen Aktienhandels auf Kleinanleger*innen zurück.

ESAP: Bei der ESMA soll ein Datenhub, genannt European Single Access Point (ESAP), entstehen. Darin sollen die Offenlegunsinformationen sämtlicher veröffentlichungspflichtiger Unternehmen in der EU gebündelt bereitgestellt werden. Derzeit müssen Nutzer und Investoren sich die Informationen auf den Einzelwebseiten der Unternehmen zusammensuchen oder teure kommerzielle Angebote nutzen. Das Angebot der ESMA soll für die meisten Nutzen kostenfrei sein.

ELTIF: Die Anlageklasse der europäischen langfristigen Investmentfonds (ELTIFs) wurde 2015 ins Leben gerufen, um insbesondere Kleinanlegern einen regulierten Zugang zu Sachanlagen und anderen illiquiden Investments bieten. ELTIFs sind geschlossene Fonds, die in langfristige Anlagen wie Infrastruktur oder Immobilien investieren und dabei unter anderem bestimmte Diversifikationsanforderungen erfüllen müssen. Der Vertrieb der risikoreichen Produkte an nicht-professionelle Anleger ist dabei nur unter Bedingungen erlaubt. Unter anderem müssen die Anleger über mindestens 100.000 Euro freies Kapital verfügen, wovon sie lediglich 10% in einen ELTIF stecken dürfen. Daraus ergab sich bisher eine Mindestanlagesumme von 10.000 Euro. Die Pläne des Kommission sehen vor, das Anlageuniversum der ELTIFs deutlich zu erweitern und unter anderem auch Verbriefungen zuzulassen. Außerdem steigt der Spielraum für die Beimischung nicht-langfristiger Investitionen sowie die Möglichkeit zur Verschuldung. Die Anforderungen an die Mindestanlagesumme und das freie Kapital bei Kleinanlegern soll künftig wegfallen.

AIFMD: Die AIFMD ist das europäische Rahmenwerk für alternative Investmentfonds (AIF). Dazu zählen etwa Hedgefonds, Immobilienfonds, Private-Equity-Fonds oder Rohstofffonds. Die EU-Kommission will die Anforderungen an das Outsourcing bei AIF-Verwaltern verschärfen. In erster Linie zielt das auf britische Fonds, die momentan de facto nur über Briefkastenfirmen in der EU präsent sind. Wer Fonds im EU-Binnenmarkt vertreiben will, muss künftig auch eine ausreichende physische Präsenz in der EU nachweisen. Außerdem sollen die Regeln für die Kreditvergabe durch Fonds auf europäischer Ebene stärker harmonisiert werden.

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Kapitalmarktpaket der EU-Kommission vom 25.11.2021:

https://ec.europa.eu/info/publications/211125-capital-markets-union-package_en

Aktionsplan der EU-Kommission für die Kapitalmarktunion 2020:

https://ec.europa.eu/info/business-economy-euro/growth-and-investment/capital-markets-union/capital-markets-union-2020-action-plan_en

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P.S.: Jetzt unterschreiben: “Super-GAU für Europas Energiewende: Stoppt das Greenwashing von Atomkraft und Gas!” – Auf Druck von Macron & der Atom- und Gaslobby planen Ursula von der Leyen und Frans Timmermans Investitionen in Atomkraft und Gas als nachhaltig zu labeln. Und das noch schnell, bevor die neue Bundesregierung steht. Das ist ein Frontalangriff auf die Energiewende. Helft mit Eurer Unterschrift das zu verhindern: https://www.change.org/keine-atomkraft

Rubrik: Wirtschaft & Währung

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