Die makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone gelten zurecht als eine der Hauptursachen der Eurokrise. Länder, die innerhalb einer Währungsunion über längere Zeit erheblich mehr verbrauchen als produzieren, sind auch keine vertrauenswürdigen Schuldner. Die Krise der Staatsfinanzierung verschiedener Länder ist damit eng verbunden. Denn die Refinanzierung von Staatsschulden gelingt nur, wenn die eigene Wirtschaft läuft und der politische Wille zur Besteuerung der Wirtschaftsleistung vorhanden ist. Der politische Wille wiederum ist eng mit der ökonomischen Lage eines Landes verbunden. Steuererhöhungen sind schwerer durchsetzbar, wenn die Wirtschaft in der Dauerkrise steckt.
Viele KrisenbeobachterInnen – zuvorderst Hans-Werner Sinn – bezweifeln seit langem, dass die südlichen Krisenländer in der Eurozone in der Lage sind, innerhalb der Währungsunion erfolgreich zu wirtschaften und ihr Wirtschaftsmodell den Notwendigkeiten einer Währungsunion anzupassen.
Die aktuellen Daten von Eurostat zur Entwicklung der Leistungsbilanzen der EU-Staaten zeigen ein gemischtes Bild. Im Jahresvergleich haben sich die Daten im zweiten Quartal 2012 zu 2011 sehr unterschiedlich entwickelt. Deutschland erzielt weiter Rekordüberschüsse, 2/2012 waren es 37,6 Mrd. Euro im Vergleich zu 25,7 Mrd. vor einem Jahr. Die anderen klassischen Überschussländer Niederlande und Luxemburg haben keine dramatischen Änderungen zu verzeichnen.
In den Krisenländern sehen wir erfreulicherweise durchweg Verbesserungen der Leistungsbilanz. In Portugal fiel das Defizit von 4,8 Mrd. € auf 1,2 Mrd, in Spanien von -7,7 Mrd. auf -2,9 Mrd. in Griechenland von -5,6 Mrd. auf -2,3 Mrd. Spitzenreiter ist weiter Irland: Der Überschuss stieg von 0,5 Mrd. € auf 3,2 Mrd. €. Besonders dramatisch ist die Verbesserung in Italien, das von vorurteilsgetriebenen Kommentatoren gerne in einem Atemzug mit den Krisenländern genannt wird: Das Defizit schrumpfte von -12,2 Mrd. auf -0,8 Mrd. Erfreulich ist auch, dass Slowenien einen etwas höheren Überschuss von 0,3 Mrd. € in 2012 im Vergleich zu 0,1 Mrd. € in 2011 aufweist. Besorgniserregend ist die Situation in Frankreich. Das Defizit der Leistungsbilanz hat sich weiter erhöht von 14,0 Mrd. € in 2/2011 auf -15,8 Mrd. € in 2/2012. Frankreich braucht dringend wirtschaftspolitische Reformen.
Wenn auch außerhalb der Eurozone, so beunruhigt doch ein Blick nach Großbritannien. Die starke Abwertung des Pfund hat an der Leistungsbilanzfront praktisch nichts gebracht. Die Dienstleistungsbilanz stagniert, und die Leistungsbilanz ist tiefrot. Großbritannien musste sich in 2/2012 25,1 Mrd. € im Ausland beschaffen, während es in 2/2011 nur 2,9 Mrd. €. Nach wie vor schwächelt die Britische Industrie.
Zur Bewertung all dieser Veränderungen gilt es zu bedenken:
Erstens, ist die Verminderung der Defizite in den Krisenländern erfreulich. Sie geht jedoch auch auf Mengeneffekte durch die Verminderung der Binnennachfrage zurück. Zugespitzt gesagt: Wenn die Menschen arm und arbeitslos sind, importieren sie auch weniger. Kurz: Leistungsbilanzausgleich durch Verelendung. Ein weiterer Teil geht auf die Verbesserung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit zurück. Dazu finden sich interessante Analysen im jüngsten Eurokrisen-Bericht des IMK, die ich unten dokumentiere.
Zweitens, geben Quartalsdatenvergleiche zwar Hinweise, aber können durch Sondereffekte beeinflusst werden. Damit sind längere Zeitreihen sinnvoller zu betrachten. Doch auch deren Betrachtung liefert hier grob ein ähnliches Bild, so dass ich darauf hier verzichte.
Drittens, wie wir in unserer Studie nachgewiesen haben, gehen große Teile der verbleibenden Leistungsbilanzdefizite auf das Konto der gestiegenen Öl- und Gaspreise.
Viertens, sind die Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands weiter ein Zeichen dafür, dass wir unter unseren Verhältnissen leben. Niedriglohn- und Hartz Iv-Empfänger sowie die NutzerInnen unserer unterfinanzierten Bildungseinrichtungen zahlen die Zeche. Denn steigerten wir hier die Löhne und gäben wir mehr für Zukunftsinvestitionen aus, müsste die Anpassung der Leistungsbilanzungleichgewichte in Europa weniger durch krisenhafte Anpassung in den Defizitländern erfolgen. Ersparen kann man den Ländern Anpassungskrisen nicht, abmildern kann man sie schon. Auch deshalb ist die deutsche Überschusspolitik europäisch unverantwortlich und in Deutschland ungerecht.
Schließlich, droht jenseits all dieser innereuropäischen Spannungen größeres Ungemach durch die großen weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte, gegen die die Unterschiede in der Eurozone eher niedlich wirken.