Sven Giegold

Mehr Phantasie für den Frieden

Die kürzliche zur Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland gewählte Bischöfin Margot Käßmann hat zu Weihnachten und Neujahr mutige Predigten gehalten, in denen sie auf den Afghanistan-Krieg bezogen „mehr Phantasie für den Frieden“ anmahnt. Dafür ist sie heftig in die Kritik geraten, zu unrecht, wie ich finde. Gemeinsam mit Freundinnen und Freunden aus den Grünen und der Evangelischen Kirche habe ich einen Offenen Brief an Frau Käßmann geschrieben, um ihr unserer Solidarität und Unterstützung auszusprechen und ihr für ihre mutige und hilfreichen Predigten zu danken. Der Brief kann unter www.peacenow.eu weiter unterstützt werden.

An Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann
Vorsitzende des Rates der EKD
Per E-Mail: Landesbischoefin@evlka.de

11. Januar 2010


„Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“
Matthäus 5,9

Liebe Bischöfin Käßmann,

mit diesem Brief möchten wir uns herzlich für Ihre Predigten zu Weihnachten und Neujahr bedanken!

Wir, Mitglieder und SympathisantInnen von Bündnis 90/Die Grünen, darunter viele Christinnen und Christen, fühlen uns berührt von Ihrem Appell an Hoffnung, Zuversicht und Mut in unserer Welt, in der jeden Tag die Würde und die Rechte von Menschen in drastischer Art und Weise verletzt werden.

In Ihren Predigten und den darauf folgenden Interviews haben Sie sich kritisch und deutlich zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan geäußert. An diesen Äußerungen wird seitdem harsche Kritik geübt. Dabei werden nicht nur die Inhalte Ihrer Aussagen unter Beschuss genommen. Einige Ihrer KritikerInnen geben Ihre Formulierungen in überzogen zugespitzter Form wieder. Ihnen wird unterstellt, Sie würden es sich zu einfach machen und zudem die Soldatinnen und Soldaten im Stich lassen. Ferner wird in Frage gestellt, ob Sie als Frau der Kirche überhaupt die Berechtigung haben, sich in dieser Deutlichkeit zu einer politischen Frage zu äußern. Banalität, Naivität und Mangel an Differenzierung wird Ihnen vorgeworfen, zu unserem Bedauern auch von einem Co-Vorsitzenden der Heinrich-Böll-Stiftung.

Wir lesen Ihre Predigten anders. Sie fordern die Politikerinnen und Politiker dazu auf, nicht darauf zu verzichten, nach Alternativen zur gewaltsamen Konfliktbewältigung zu suchen. Das ist das Gegenteil von einfach und banal. Nicht nur in Afghanistan, auch in vielen anderen Regionen dieser Welt werden Konflikte gewaltsam ausgetragen. Uns fehlen allzu oft schlüssige Konzepte, um diese mit friedlichen Mitteln zu bewältigen. Solche Lösungswege sind langwierig, kompliziert und unbequem. Dennoch ist es richtig, sie zu suchen und zu verfolgen.

Wer Gewaltlosigkeit als Strategie zur Konfliktlösung verächtlich macht, verleugnet die Geschichte der Menschheit, in der Großes immer wieder nicht durch Krieg und Gewalt, sondern durch Liebe und Gewaltlosigkeit geleistet und erreicht wurde.

US-Präsident Barack Obama sagte bei der Entgegennahme des Friedensnobelpreises 2009 in Oslo: „Dabei bin ich mir dessen bewusst, was Martin Luther King vor Jahren während derselben Zeremonie sagte: ‚Gewalt führt nicht zu dauerhaftem Frieden. Sie löst kein soziales Problem, sie erzeugt nur neue und kompliziertere.’ Als jemand, der als unmittelbare Konsequenz des Lebenswerks von Dr. King hier steht, bin ich der lebendige Beweis für die moralische Kraft von Gewaltlosigkeit. Ich weiß, dass die Überzeugung und das Leben von Gandhi und King nichts Schwaches, nichts Passives und nichts Naives hatten.“

Das sagt der US-Präsident, obwohl er zwei Kriege führt. Wenn selbst der oberste Befehlshaber der US-amerikanischen Truppen in Afghanistan an die Kraft der Gewaltlosigkeit glaubt, wie kann es dann „naiv“ sein, Alternativen zum Krieg einzufordern, damit auch die Gewalt in Afghanistan endlich ein Ende findet?

Wir sind auf der Suche nach diesen Alternativen. Wir glauben, dass jeder Mensch in seinem Innersten auf der Suche danach ist. Viele konkrete alternative Friedensstrategien sind schon ausgearbeitet worden; meist fehlt es am politischen Willen zu ihrer Umsetzung.

Wir finden uns nicht ab mit der Welt wie sie ist, sondern hoffen auf und wirken für eine bessere. Viele Christinnen und Christen finden Hoffnung in ihrem Glauben und setzen sich aus Nächstenliebe für andere ein. Dasselbe gilt für die AnhängerInnen anderer Religionen. Viele Menschen ohne konfessionelle Bindung praktizieren Solidarität als Konsequenz einer humanistischen Orientierung. Aber alle eint die Suche nach Wegen, wie wir die Gewalt, die Unterdrückung und den Hass in dieser Welt überwinden können. Mit Hoffnung, Mut und Zuversicht.

Wir möchten Ihnen gerade angesichts der überzogenen Kritik Mut machen, sich auch in Zukunft deutlich zu gesellschaftlichen und politischen Fragen zu äußern.

Wir wünschen uns Kirche, die auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes zivile Opfer in Afghanistan genauso hoch bewertet wie Terroropfer im Westen. Wir wünschen uns Kirche, die Volkskirche nicht damit verwechselt, der Mehrheit oder den Mächtigen nach dem Munde zu reden, wenn sie ethische Maßstäbe verletzen. Wir wünschen uns Kirche, die deutlich hörbar ist, wenn Menschenwürde verletzt, Frieden bedroht und Natur zerstört wird. Mit Ihrer Biographie und Ihren klaren Worten zu Afghanistan haben Sie uns Hoffnung gemacht, dass Sie Ihr Amt als Ratsvorsitzende der EKD in diesem Sinne begreifen. Bitte wissen Sie uns dabei an Ihrer Seite.

Mit herzlichen und hochachtungsvollen Grüßen

UPDATE: Der Rheinische Merkur berichtet über die Debatte:
http://www.merkur-online.de/nachrichten/politik/kaessmann-bekommt-unterstuetzung-gruenen-588554.html?popup=true