Versteckte Schulden
Sven Giegold plädiert dafür, dass auch die Lasten aus Schattenhaushalten öffentlich gemacht werden.
Von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen verhandelt das Europaparlament derzeit mit der EU-Kommission und den EU-Mitgliedstaaten über die Schuldentransparenz. Welche Daten soll die europäische Statistikbehörde Eurostat künftig erfassen und öffentlich machen? Parlament und Kommission fordern, auch sogenannte verdeckte Schulden transparent zu machen, die (noch) nicht haushaltswirksam sind. Gemeint sind zum Beispiel staatliche Garantien und Verpflichtungen gegenüber künftigen Pensionären und Rentnern. Aber auch mögliche Folgekosten aus öffentlich-privaten Partnerschaften. Schätzungen zufolge summieren sich diese verdeckten Verbindlichkeiten in der EU auf mehrere Hundert Milliarden Euro.
Bislang blockieren vier Länder der Europäischen Union die schonungslose Transparenz über mögliche Lasten der Zukunft: Italien, Portugal, Frankreich und Deutschland. Berlin begründet sein Veto mit dem „Bürokratieaufwand“, den eine vollständige Offenlegung erfordern würde. Gleich aus mehreren Gründen ist die deutsche Haltung brisant.
Öffentlich-private Partnerschaften können schnell zum Bumerang für die öffentlichen Haushalte werden. So haben viele EU-Staaten private Unternehmen mit dem Bau und Betrieb von Autobahnen beauftragt. Doch den privaten Betreibern droht der Bankrott, wenn die erwarteten Mauteinnahmen ausbleiben – und dann muss der Staat eben doch wieder einspringen.
Unwahrscheinlich? In Spanien und Portugal ist der Fall eingetreten. Auf vielen spanischen Autobahnen herrscht gespenstische Leere. Die neuen Trabantenstädte, die sie anbinden sollten, bleiben Visionen auf dem Reißbrett. Die Immobilienblase ist geplatzt. Private Autobahnbetreiber haben Schulden von vier Milliarden Euro angehäuft, berichtet die spanische Zeitung „El País“. Der Steuerzahler wird sie retten müssen, um das Infrastrukturdesaster abzuwenden. Das „Outsourcing“ öffentlicher Aufgaben entlastet zunächst auf dem Papier die klammen Haushalte und endet nicht selten in der Misere.
Die Risiken verdeckter Staatsschulden sind nicht trivial. In der Krise steigt sogar noch der Anreiz für die EU-Länder, „kreative Buchführung“ zu betreiben und Verbindlichkeiten, so gut es geht, aus den offiziellen Haushalten herauszuhalten. Die Haltung der Bundesregierung schützt Spielräume für riskante Manöver. Ausgerechnet der Lehrmeister in puncto Haushaltsdisziplin durchlöchert damit das Fundament des neuen, strengen Schuldenregimes in der EU („Sixpack“), bevor es überhaupt greifen kann. Ohne Rückendeckung aus Berlin würden die „Problemländer“ Portugal, Spanien und Frankreich völlige Transparenz in Brüssel nicht blockieren können.
Auch deutsche Bürger haben das Recht zu erfahren, welche Schulden ihre Verwaltungen und Volksvertreter wirklich machen. 40 000 Unternehmen im öffentlichen Besitz und öffentlich-private Partnerschaften dienen auch hierzulande als Verschiebebahnhof der Verbindlichkeiten. Beispielsweise müssen Kommunen zunächst privat finanzierte Gebäude über Jahrzehnte zurückmieten. Verträge bleiben unter Verschluss. Einen Überblick hat niemand.
Der Autor ist Mitglied des Europaparlaments für die Grünen. Sie erreichen ihn unter: gastautor@handelsblatt.com
Gastkommentar Meinung Wirtschaft und Politik
Handelsblatt Nr. 226 vom 21.11.2012 Seite 015
Mehr von mir zum Thema:
https://sven-giegold.de/2012/deutschland-verhindert-ehrliche-schuldenstatistik/
https://sven-giegold.de/2012/wams-berlin-wehrt-sich-gegen-mehr-schuldentransparenz/
Handelsblatt Nr. 226 vom 21.11.2012 Seite 015 21.11.2012 Gastkommentar Meinung Wirtschaft und Politik GASTKOMMENTAR Versteckte Schulden Sven Giegold plädiert dafür, dass auch die Lasten aus Schattenhaushalten öffentlich gemacht werden. |
Von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen verhandelt das Europaparlament derzeit mit der EU-Kommission und den EU-Mitgliedstaaten über die Schuldentransparenz. Welche Daten soll die europäische Statistikbehörde Eurostat künftig erfassen und öffentlich machen? Parlament und Kommission fordern, auch sogenannte verdeckte Schulden transparent zu machen, die (noch) nicht haushaltswirksam sind. Gemeint sind zum Beispiel staatliche Garantien und Verpflichtungen gegenüber künftigen Pensionären und Rentnern. Aber auch mögliche Folgekosten aus öffentlich-privaten Partnerschaften. Schätzungen zufolge summieren sich diese verdeckten Verbindlichkeiten in der EU auf mehrere Hundert Milliarden Euro. Bislang blockieren vier Länder der Europäischen Union die schonungslose Transparenz über mögliche Lasten der Zukunft: Italien, Portugal, Frankreich und Deutschland. Berlin begründet sein Veto mit dem „Bürokratieaufwand“, den eine vollständige Offenlegung erfordern würde. Gleich aus mehreren Gründen ist die deutsche Haltung brisant. Öffentlich-private Partnerschaften können schnell zum Bumerang für die öffentlichen Haushalte werden. So haben viele EU-Staaten private Unternehmen mit dem Bau und Betrieb von Autobahnen beauftragt. Doch den privaten Betreibern droht der Bankrott, wenn die erwarteten Mauteinnahmen ausbleiben – und dann muss der Staat eben doch wieder einspringen. Unwahrscheinlich? In Spanien und Portugal ist der Fall eingetreten. Auf vielen spanischen Autobahnen herrscht gespenstische Leere. Die neuen Trabantenstädte, die sie anbinden sollten, bleiben Visionen auf dem Reißbrett. Die Immobilienblase ist geplatzt. Private Autobahnbetreiber haben Schulden von vier Milliarden Euro angehäuft, berichtet die spanische Zeitung „El País“. Der Steuerzahler wird sie retten müssen, um das Infrastrukturdesaster abzuwenden. Das „Outsourcing“ öffentlicher Aufgaben entlastet zunächst auf dem Papier die klammen Haushalte und endet nicht selten in der Misere. Die Risiken verdeckter Staatsschulden sind nicht trivial. In der Krise steigt sogar noch der Anreiz für die EU-Länder, „kreative Buchführung“ zu betreiben und Verbindlichkeiten, so gut es geht, aus den offiziellen Haushalten herauszuhalten. Die Haltung der Bundesregierung schützt Spielräume für riskante Manöver. Ausgerechnet der Lehrmeister in puncto Haushaltsdisziplin durchlöchert damit das Fundament des neuen, strengen Schuldenregimes in der EU („Sixpack“), bevor es überhaupt greifen kann. Ohne Rückendeckung aus Berlin würden die „Problemländer“ Portugal, Spanien und Frankreich völlige Transparenz in Brüssel nicht blockieren können. Auch deutsche Bürger haben das Recht zu erfahren, welche Schulden ihre Verwaltungen und Volksvertreter wirklich machen. 40 000 Unternehmen im öffentlichen Besitz und öffentlich-private Partnerschaften dienen auch hierzulande als Verschiebebahnhof der Verbindlichkeiten. Beispielsweise müssen Kommunen zunächst privat finanzierte Gebäude über Jahrzehnte zurückmieten. Verträge bleiben unter Verschluss. Einen Überblick hat niemand. Der Autor ist Mitglied des Europaparlaments für die Grünen. Sie erreichen ihn unter: gastautor@handelsblatt.com |