Sven Giegold

n.tv: Sven Giegold zur griechischen Haushaltstragödie

Sven Giegold zur griechischen Haushaltstragödie

„Das sind Krokodilstränen“

In der europäischen Währungsunion herrscht helle Aufregung wegen der exorbitanten griechischen Staatsschulden. Mit harten Auflagen haben die Staats- und Regierungschefs auf das Desaster reagiert. n-tv.de spricht mit dem Europa-Abgeordneten und Wirtschaftsexperten der Grünen, Sven Giegold, über die geeignete Hilfsmaßnahmen, warum die Euro-Skeptiker trotzdem daneben liegen und die falsche Empörung über den Fall Griechenland.

n-tv.de: Die griechischen Verwicklungen und der Euro. Wie ist denn die Wahrnehmung der Vorgänge im EU-Parlament?

Sven Giegold: Das EU-Parlament an sich ist ja keine einheitliche Größe. Es gibt dort verschiedene Auffassungen. Klar ist, dass die Lage Griechenlands und einer Reihe weiterer Staaten als höchst bedrohlich wahrgenommen wird. Vor allem, was die Stabilität des Euros angeht.

Wie werden die Vorgänge in ihrer Fraktion bewertet?

Griechenland hat im Wesentlichen die Verantwortung selbst zu tragen. Aber: Ein Grundwert der Europäischen Union ist und bleibt die Solidarität. Die Einsparungen, die Griechenland vornehmen muss werden äußerst schmerzhaft sein, gerade für die Normalbevölkerung. In einer solchen Situation ist es angemessen, die Zinskosten Griechenlands durch die Ausgabe von gemeinschaftlich gesicherten Anleihen zu senken. Das würde die Steuerzahler in anderen Ländern kaum etwas kosten. Es wäre aber eine gute Investition in die Stabilität des Euro, die in unser aller Interesse liegt.

Ein Rauswurf ist keine Option?

Das ist ohnehin keine Option. Dann würden die Märkte sofort mit Spekulationen beginnen, dass auch anderen Ländern mit ähnlichen Problemen ein ähnliches Verfahren ins Haus steht. Nein, Europa muss zusammen halten. Gerade in einer solchen Situation müssen wir klar machen, dass die Regeln gelten, dass aber auch das Prinzip der Solidarität nicht aufgehoben ist.

Nun sind die Bilanzen von Griechenland offenbar stark geschönt worden, wie sich in diesen Tagen herausstellte. Welche Lehren lassen sich aus dem Fall Griechenland ziehen?

Die Griechen haben bereits seit langem ihre Statistik manipuliert, schon seit dem Eintritt in den Euro. Gleichzeitig war das in Brüssel ein offenes Geheimnis. Insofern sind das Krokodilstränen, die da vergossen werden. Jetzt versucht man Goldman Sachs die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben. Aber jeder wusste, dass der griechische Staat am Rande der Zahlungsunfähigkeit steht. Es ist ja kein Zufall, dass selbst Rechnungen nicht bezahlt wurden. Andererseits ist es so, dass es Bilanztricksereien auch in anderen Ländern gibt, inklusive Deutschland. Auch hier wurden Staatsschulden umdeklariert, um das Defizitkriterium zu umgehen. Das Fazit muss lauten: Erstens müssen Statistikbehörden politisch unabhängig sein, zweitens müssen die Regeln, die man beschließt auch durchgesetzt werden und drittens, ein ganz zentraler Punkt, eine gemeinsame Währung kann ohne eine starke politische Kooperation nicht funktionieren. Daher muss Europa wirtschaftspolitisch zusammenrücken. Anders als der Kurs der Bundesregierung, die auf neue Formen von wirtschaftlichem Nationalismus setzt.

Was bedeutet denn das „enger zusammenrücken“? Wie kann man sich das vorstellen?

Dass man nicht nur zwei Zahlen, Schuldenstands- und Defizitkriterium, festlegt. Vielmehr muss man sich auch auf eine Koordinierung der Ausgabenpolitik festlegen, gerade in guten Zeiten. Das heißt, es müssen auch verbindlich Schulden abgebaut werden. Zudem brauchen wir Kooperationen im Steuerbereich. Es kann ferner nicht sein, dass sich Reiche der Besteuerung mit Hilfe der europäischen Steueroasen entziehen können. Das ist übrigens auch für Griechenland ein Problem. Dort gehen relevante Summen von griechischen Vermögenden in die Schweiz und andere Orte. Wir brauchen aber auch eine Kooperation bei der Lohnsetzung. Die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands hat sich zwar durch überhöhte Tarifabschlüsse deutlich verschlechtert. Auf der anderen Seite haben Deutschland oder Österreich derart massive Lohnzurückhaltung betrieben, was zu hohen Überschüssen zu Lasten unserer europäischen Nachbarn geführt hat. Das hat auch zu den Problemen Griechenlands beigetragen, wird aber in Deutschland gerne verschwiegen.

Ist die Euro-Zone am Ende doch zu heterogen? Liegt die wirtschaftliche Kraft doch zu weit auseinander?

Das glaube ich nicht. Schauen Sie in die USA, dort gibt es eine ähnliche Spanne zwischen Hochleistungszentren wie dem Silicon Valley und Gegenden, wo Armut immer noch an der Tagesordnung ist. Eine gemeinsame Währung braucht dann aber entsprechende Ausgleichs- und Kooperationsmechanismen. Ohne sie wird eine gemeinsame Währung in der Krise enden.

Das sind aber genau die Argumente der Euroskeptiker, die sagen: Das kann ja gar nicht funktionieren. Was entgegnen Sie diesen Leuten?

Die Euro-Skeptiker denken im Grunde im nationalen Rahmen und wollen nicht, dass es mehr Europa in der Wirtschafts- und Sozialpolitik gibt. Sie haben insofern Recht, dass wenn Europa in der Sozial- und Wirtschaftspolitik so national bleibt wie heute, dann wird auch eine gemeinsame Währung nicht funktionieren. Aber die konstruktive Alternative dazu ist, dass wir eine stärkere europäische Zusammenarbeit und ein stärkeres Zusammenrücken erreichen. Ein Weiter-so, mit einer EU mit einem Budget von einem Prozent des europäischen BIP, nationaler Lohnsetzung, nationaler Sozialpolitik, nationalegoistischer Wirtschaftspolitik, ist mit einer gemeinsamen Währung nicht vereinbar. Der Euro wird dann nicht mehr für die Bedürfnisse aller Länder passen.

Nun war die Wirtschaftspolitik immer das zentrale Bindeglied der Europäischen Union. In welchem Stadium der europäischen Integration befinden wir uns denn? Im Rückwärtsgang?Ja und Nein. Wir haben derzeit eine paradoxe Situation. Durch den Lissabon-Vertrag haben wir jetzt viel mehr Europa. Gleichzeitig haben wir aber Regierungen in vielen Mitgliedsländern, darunter auch die deutsche, die eher auf dem Weg in die Renationalisierung sind. Sie haben den europäischen Traum ausgeträumt. Das ist aber fatal. Schauen Sie mal nach China, Brasilien, Indien oder die USA. Die warten nicht darauf, ob wir zusammenrücken oder nicht. Wenn Europa seine Werte von Solidarität, Menschenrechten, aber auch wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit, ernstlich leben will, dann wird das nur gemeinsam gehen. Diese mutlose Renationalisierung können wir dabei nicht gebrauchen. Relevante Teile der Regierungen der Mitgliedsstaaten sind aber genau auf diesem Pfad.

Kann diese Krise Europa auf lange Sicht auch stärker machen?

Wenn Europa aufgrund dieser Krise lernt zusammenzurücken, dann kann das natürlich die EU stärken. Ähnliches gilt für den Klimaschutz. Aber das setzt voraus, dass man die Griechen jetzt nicht alleine lässt. Einerseits Eigenverantwortung, aber andererseits Solidarität. Den Griechen, die wollen, dass der korrupte Staat aufhört, muss man helfen. Deshalb haben sie ja die alte Regierung abgewählt. Mit den richtigen europäischen Auflagen können die vernünftigen Kräfte gestärkt werden. Aber die Kombination von beidem ist wichtig. Das ist am Ende im wohlverstandenen Eigeninteresse Deutschlands.

Mit Sven Giegold sprach Markus Mechnich.

Adresse:
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