Sven Giegold

Notenbanker als Quotenopfer – SZ-Bericht über männliche Dominanz im EZB-Direktorium

Notenbanker als Quotenopfer

Europaparlamentarier blockieren eine wichtige Nachbesetzung bei der EZB – weil der Luxemburger Yves Mersch ein Mann ist
Von Javier CÁceres UND Cerstin Gammelin

Brüssel – Peinliche Ausladung für Yves Mersch. Der Präsident der Luxemburger Notenbank, der als sechstes Mitglied in das Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) ziehen soll, muss erneut in die Warteschleife. Das Europäische Parlament, bei dem sich der Kandidat vorstellen muss, setzte die für Montag in Straßburg geplante Anhörung ab.

Nun wollen die Volksvertreter den Kandidaten zappeln lassen. Ob es überhaupt einen neuen Termin geben wird, wollen die Koordinatoren des zuständigen Ausschusses für Wirtschaft und Finanzen erst am kommenden Dienstag beraten. Das sagte die französische Liberale Sylvie Goulard der Süddeutschen Zeitung. Sie ist Mitglied im Ausschuss. Bereits am Donnerstagmittag war der ursprüngliche Termin von der Tagesordnung des Parlaments verschwunden. Ein Sprecher der Luxemburger Notenbank sagte, es sei keine Ausladung eingegangen. Im Umfeld wurde der abgesetzte Termin aber bestätigt.

Hintergrund des Ganzen ist das Bestreben des Parlaments, die komplett männliche Führungsriege der Notenbank der Euro-Zone auch mit weiblichen Direktoren zu besetzen. Das Direktorium der EZB sei das ‚derzeit mächtigste Gremium in Europa‘, sagte Wirtschaftsexperte Sven Giegold von den Grünen. ‚Es kann nicht sein, dass über das Schicksal Europas entschieden wird, und es ist keine einzige Frau dabei‘, erklärte er. Die Vorsitzende des Ausschusses, die Britin Sharon Bowles, hatte bereits im Mai im Namen aller politischen Koordinatoren in einem Brief an den Vorsitzenden der Euro-Gruppe, Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker, sowie an alle europäischen Länder und den EZB-Rat selbst gegen die männliche Dominanz protestiert.

Eine Antwort von Juncker hat der Ausschuss bis heute nicht erhalten. Die Parlamentarier fühlen sich allein schon dadurch brüskiert. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sei ‚einer der wenigen Minister‘ gewesen, die den Parlamentariern immerhin geantwortet haben, sagte die Französin Goulard.

Den Volksvertretern geht es allerdings vor allem darum, Frauen zu berücksichtigen. Tatsächlich gibt es seit dem Ausscheiden von Gertrude Tumpel-Gugerell aus dem Direktorium der EZB Ende Mai 2011 im Frankfurter Turm keine weiblichen Direktoren mehr. Im Frühjahr dieses Jahres fiel eine slowakische Kandidatin gegen den Belgier Peter Praet durch. Goulard betonte am Donnerstag, die Ausladung richte sich nicht gegen Herrn Mersch persönlich oder dessen Fähigkeiten. Es gehe auch nicht darum, ‚jetzt nur noch Frauen, Frauen, Frauen zu nominieren‘. Aber die völlige Nichtberücksichtigung von Frauen widerspreche dem Postulat der Modernisierung, das sich Europa immer auf seine Fahnen schreibe, und vor allem den Europäischen Verträgen, in denen Gleichberechtigung festgelegt ist.

‚Es dauert keine zehn Minuten, eine Liste mit geeigneten Frauen zusammenzustellen‘, sagte Goulard. In den verschiedenen Zentralbanken Europas und Aufsichtsräten gebe es genug Frauen mit mehr als ausreichender Kompetenz. Dem Rat sei auch eine informelle Liste zugestellt worden, auf der die Namen von gut einem Dutzend Frauen zu lesen waren.

Yves Mersch komplett verhindern kann das Europäische Parlament allerdings nicht. Die Kandidaten für das Direktorium der EZB müssen sich vor dem Parlament lediglich einer Anhörung unterziehen und den Abgeordneten Rede und Antwort stehen. ‚Das machen wir nicht, um ein nettes Gespräch zu haben, sondern weil wir unserer Verantwortung gerecht werden wollen‘, sagte Goulard. Das Parlament sei ‚keine Registrierstelle oder ein Amt, in dem man sich einen Stempel abholt‘.

Die Volksvertreter zeigen sich fest entschlossen, konsequent zu bleiben. Goulard betonte, dass man sich in den vergangenen Krisenjahren oft genug zurückgehalten habe, schließlich habe stets die Krise im Vordergrund gestanden. Schon als der griechische EZB-Direktor Lucas Papademos im Jahr 2010 ersetzt werden musste, forderte das Parlament eine weibliche Nachfolge. Im Lichte der akuten Krise und der Qualitäten des portugiesischen Kandidaten Vitor Constancio habe man nicht auf einer Frau beharrt, so die Französin. Jetzt allerdings sei das Maß voll. Man habe nämlich festgestellt, dass die nächste reguläre Ernennung eines EZB-Direktors erst im Mai 2018 ansteht. ‚Wenn man jetzt keine Frau als Kandidatin nominiert, können wir den Sitz der EZB bis dahin auch nach Riad vergeben‘, sagte Goulard.

Für Mersch ist das neuerliche Dilemma bitter. Der Luxemburger musste bereits monatelang darauf warten, dass sich die Euro-Länder überhaupt auf seine Nominierung einigen konnten – es gab zu viele nationale Begehrlichkeiten. Jetzt muss er erneut in die Warteschleife. Auch für die EZB ist es eine mehr als peinliche Angelegenheit. Der sechste Stuhl im Direktorium ist bereits seit 1. Juli unbesetzt. Und das in einer Zeit, in der die Notenbank eine entscheidende Rolle bei der Rettung des Euro spielt.

(SZ vom 07.09.2012)

Rubrik: Unkategorisiert, Wirtschaft & Währung

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