Sven Giegold

Rüstungsexporte: Meine Bilanz nach einem Jahr Ampel

Liebe Freundinnen und Freunde,

Liebe Interessierte,

seit nun einem Jahr verantworte ich die Rüstungsexportentscheidungen der Bundesregierung als zuständiger Staatssekretär. Nichts finde ich schwieriger als diese Aufgabe. Nach einem Jahr lässt sich eine erste Bilanz der Ampel-Regierung ablesen.

Im Jahr 2022 haben wir nach vorläufigen Zahlen Einzelgenehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern im Wert von 8,36 Mrd. € erteilt (anteilig: 3,96 Mrd. € Kriegswaffen und 4,4 Mrd. € sonstige  Rüstungsgüter). Im Jahr 2021 betrug der Gesamtwert 9,35 Mrd. €. Das war der bisher zweithöchste Wert an Rüstungsexporten überhaupt. Trotzdem war unsere Linie ausdrücklich restriktiv bei den Exporten an Drittländer.

Denn der weit überwiegende Teil dieses Gesamtwertes (7,54 Mrd. € von 8,36 Mrd. €) ist dabei auf Genehmigungen für enge Partnerländer sowie zur Unterstützung der Ukraine bei ihrer Selbstverteidigung gegen den völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs zurückzuführen. Über ein Viertel aller Genehmigungen (ca. 2,24 Mrd. €) entfiel auf die Ukraine. Damit ist die Ukraine in der Länderzuordnung das Land mit dem höchsten Genehmigungswert im Jahr 2022 (siehe unten).

Die Bilanz der Bundesregierung im ersten Jahr ihrer Amtszeit zeigt die Ergebnisse wertegeleiteter Rüstungsexportpolitik im Angesicht der Zeitenwende. Über 90 % der Rüstungsexporte gehen an enge Partnerländer (EU, NATO, Südkorea), sowie an die Ukraine zur Selbstverteidigung. Die übrigen Drittländer werden im Einklang mit den politischen Grundsätzen restriktiv behandelt. Das entspricht auch unseren Sicherheitsinteressen. Denn kritische Rüstungsgüter sollten nicht in die Hände von Ländern kommen, die Menschenrechte systematisch verletzen.

Die Klarheit unserer Linie bei den Rüstungsexportentscheidungen wird durch die Zahlen gestützt. 

Noch 2021 gingen unter der Großen Koalition atemberaubende 48,9 % aller Rüstungsexporte in Entwicklungsländer. In 2022 waren es nur knapp 3% (247 Mio Euro)! Dabei lag die Verantwortung für die Rüstungsexportentscheidungen 2021 zu 97% des Genehmigungswertes bei der Großen Koalition.

Noch klarer ist die Linie bei Kleinwaffen und Kleinwaffenteilen. Hier belief sich nach vorläufigen Zahlen im Jahr 2022 der Wert auf 87,1 Mio. € (2021: 43,9 Mio. €). Davon entfielen 86 Mio. € und damit rund 99 % des Genehmigungswertes auf die Partnerländer EU-/NATO- und NATO-gleichgestellte Länder.

Bitter war allerdings die Entscheidung weiter Teile zu europäischen Gemeinschaftsprogrammen (z.B. Eurofighter) auch zur Endverwendung in Saudi-Arabien zu liefern. Ich habe diese Vorgänge genau geprüft. Leider haben Regierungen schon vor langer Zeit Deutschland vertraglich verpflichtet zu diesen Rüstungsexportentscheidungen zuzuliefern. Die europäischen Partnerländer sind jedoch nicht bereit, die Lieferungen nach Saudi-Arabien trotz des Jemen-Krieges einzustellen. Das liegt auch daran, dass sich Saudi-Arabien glaubhaft um ein Ende des Krieges mit den Huthi-Rebellen bemüht. Ein Bruch der Verträge durch Deutschland wäre nicht nur rechtswidrig, sondern hätte das Ende weiterer europäischer Zusammenarbeit bei militärischen Gemeinschaftsgütern bedeutet.

Die Folgen für die Sicherheit in Europa und mehr europäische Souveränität im Bereich der Verteidigung wären unabsehbar gewesen. Deshalb hat der Bundessicherheitsrat die Exporte letztlich genehmigt. Trotzdem besteht ein konsequenter bilateraler (also Waffen nur in deutscher Verantwortung) Stopp der Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien fort, wie ihn ja schon die vorige Regierung praktizierte. Im Bundessicherheitsrat (BSR) entscheiden der Bundeskanzler und die Minister*innen über wenige, aber heikle Rüstungsentscheidungen. Für uns Grüne gehören Annalena Baerbock und Robert Habeck dem BSR an. Die Vorbereitungsarbeiten zum BSR liegen für das BMWK federführend bei mir.

Auf Grundlage des Koalitionsvertrages erarbeitet die Bundesregierung unter Federführung des BMWK derzeit ein Rüstungsexportkontrollgesetz (REKG). 

Mit dem Gesetz soll erstmalig in der deutschen Geschichte die restriktive Rüstungsexportkontrolle der Bundesregierung ausdrücklich gesetzlich festgeschrieben werden. In einem breit angelegten und transparenten Konsultationsprozess haben hierzu im Jahr 2022 zur Vorbereitung des Gesetzgebungsvorhabens mehrere Fachgespräche mit Vertreterinnen und Vertretern aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft stattgefunden.

Aktuell laufen die Arbeiten an den Eckpunkten für ein solches Gesetz, dessen Entwurf gerade innerhalb der Bundesregierung abgestimmt wird. Dazu hat jüngst das Magazin “Der Spiegel” eine große Geschichte gebracht, die auf der gewagten These beruhte, wir Grünen (erzählt an meiner Person) seien die Hoffnung der deutschen Rüstungsindustrie. In dem Artikel werden viele Zusammenhänge durchaus korrekt dargestellt. Insbesondere wird zurecht betont, dass die deutsche Rüstungsexportkontrolle eine Art von “Scheinsouveränität” darstellt. Denn komplexe Waffensysteme lassen sich zunehmend nur noch in europäischer Zusammenarbeit halbwegs wirtschaftlich und auf Stand der Technik herstellen. Als Deutschland eine Rüstungsindustrie nur für den Eigenbedarf vorzuhalten (wie es z.B. die Linkspartei fordert), ist weder möglich noch finanziell wünschenswert.

Wenn jedoch Rüstungsgüter mit anderen europäischen Ländern in Partnerschaft hergestellt werden, so müssen auch die Rüstungsexportentscheidungen gemeinschaftlich getroffen werden, weil sie alle Partnerländer betreffen. Heute gibt es schon EU-Regeln mit durchaus strengen Prinzipien für die Genehmigung von Rüstungsexporten. Doch werden sie in den verschiedenen Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich ausgelegt und sind bisher untergesetzlich (z.B. durch Verordnungen) verankert.

Daher setzt sich die Bundesregierung – auf Basis des Koalitionsvertrags – für eine EU-Rüstungsexportverordnung ein. In den Eckpunkten zum Rüstungsexportkontrollgesetz schlagen wir zusätzlich vor, dass zwischen den Partnerländern bei einem gemeinschaftlich produzierten Rüstungsgut auch eine europäische Gemeinschaftsentscheidung erfolgt, statt eine Addition scheinbar nationaler Entscheidungen. Solche Gemeinschaftsentscheidungen müssen durch ein gemeinsames Sekretariat vorbereitet werden, um die Gleichmäßigkeit der Entscheidungen auf Basis der gemeinsamen Regeln sicherzustellen. Das ist notwendig, um die notwendige und sinnvolle europäische Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich mit einer wertegeleiteten Rüstungsexportkontrolle zusammenzubringen.

Das Ergebnis wäre unter dem Strich ein Mehr an Rüstungsexportkontrolle und nicht weniger. 

Damit erfüllen wir die zwei zentrale Zusagen des Koalitionsvertrags: Mehr Europa in der Verteidigungspolitik in einer für kleine Nationalstaaten immer unsicheren Welt zu ermöglichen UND unsere starken Prinzipien für eine restriktive Rüstungsexportpolitik langfristig gesetzlich abzusichern. Bedauerlicherweise hat der Dachverband der Rüstungslobby BDSV und auch der Industrieverband BDI seine Ablehnung des REKG als nationalen Alleingang klargemacht. Das ist jedoch ein Trugschluss, denn eine europäische Regelung, die letztlich ähnliche Bedingungen mit fairem Wettbewerb für die Rüstungswirtschaft überall in Europa sichert, gibt es nur, wenn einzelne Staaten voranschreiten. Harmonisierung folgt in Europa mutigen Vorreitern. Gerade deshalb setzen wir Grünen und ich mich persönlich mit voller Kraft für die vereinbarte Verabschiedung des REKG ein.

Auf Twitter und in einigen Medien wurde zudem über eine parlamentarische Anfrage von MdB Sevim Dagdelen, deren Beantwortung unser BMWK hinauszögern wollte. Dazu für euch kurz der Hintergrund: Die vielen kritischen parlamentarischen Anfragen zum Thema der Rüstungsexportkontrolle sind für die Öffentlichkeit und auch für mich eine wichtige Informationsquelle. Immer wieder wurde ich durch diese Anfragen auf wichtige Probleme hingewiesen, die ich aus dem Regierungsapparat selbst nicht erfahren hätte. Immer wieder dringe ich intern darauf, dass diese Anfragen offener und genauer beantwortet werden. Es gibt jedoch einen merkwürdigen Typ von Anfragen: Jedes Jahr zu Beginn eines Kalenderjahres schafft unser Ministerium Transparenz über die Höhe der Rüstungsexporte im Vorjahr. So haben wir das auch dieses Jahr am 4. Januar gemacht (hier nachzulesen).

Doch jeweils kurz vor Jahresschluss werden die fast vollständigen Zahlen kurz vor Schluss der Statistik parlamentarisch abgefragt. Wissend, dass über die Weihnachtstage fast nichts mehr genehmigt wird, können so scheinbare Jahreszahlen kommuniziert werden. In diesem Falle lag der Wert Mitte Dezember bei 8,34 Mrd. statt der abschließenden 8,36 Mrd. Euro zum Jahresende. Da jedoch die Medien wissen, dass die Zahlen fast identisch sind, kann in diesem Falle MdB Dagdelen die Zahlen – garniert mit einem Zitat der persönlichen Einschätzung – an die Medien geben. Das trägt zur Aufklärung nichts bei, erzeugt aber jede Menge Arbeit im ohnehin u.a. durch Energieförderanträge durch die Krise überlasteten Bundesamt BAFA. Sicher ist das Abfragen der Daten das gute Recht von Abgeordneten. Daten, die ohnehin in Kürze ohnehin veröffentlicht werden, einfach vorab abzufragen, ist jedoch nichts anderes als die Generierung sinnlosen Verwaltungsaufwands ohne öffentlichen Erkenntnisgewinn. Normalerweise erhalten Abgeordnete die Ergebnisse parlamentarischer Anfragen für einige Tage zur exklusiven medialen Verwertung. Diese Praxis sollte überdacht werden, wenn die Veröffentlichung ohnehin bevorsteht.

Mit diesen Neuigkeiten aus dem schwierigsten meiner Arbeitsfelder verabschiede ich mich und wünsche ein frohes und vor allem friedlicheres neues Jahr!

Euer und Ihr Sven Giegold

 

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Die Eckpunkte zum Rüstungsexportkontrollgesetz und Transparenz über die Konsultation dazu:

https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Artikel/Service/Gesetzesvorhaben/erarbeitung-eines-rustungsexportkontrollgesetzes.html

Rubrik: BMWK

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