Sven Giegold

Monitor Dokumentation: Steuermilliarden – wie sich die Banker in Brüssel die Regeln selber machen

Hunderte Milliarden der Steuerzahler wurden in die Rettung angeschlagener Banken gepumpt, dafür sollte im Gegenzug deren hochspekulatives Geschäft gesetzlich eingeschränkt und besteuert werden. Das hat die Finanzlobby weitgehend verhindert – in Europa der weltweit vernetzte Bankenverband IIF unter Vorsitz des scheidenden Deutsche Bank Chefs Josef Ackermann. Die IIF Vertreter haben in Brüssel durchschlagende Arbeit geleistet: Von 260 Experten, die die Kommission in Finanzfragen beraten, kommen 200 aus der Bankenwelt. Gesetzesvorschläge, die die Bankenindustrie gerne hätte, werden von Abgeordneten abgeschrieben und im Parlament eingereicht. Beim EU-Gipfeltreffen zur Griechenlandrettung sitzt Josef Ackermann mit am Tisch und die Vorschläge seiner Lobbyorganisation werden praktisch eins zu eins umgesetzt.

Bericht: Stephan Stuchlik, Kim Otto, Andreas Orth

Monika Wagener: „Guten Abend, und willkommen bei MONITOR. Den Deutschen ist mulmig, nicht nur den deutschen Unternehmen. Und das zu Recht. Täglich werden wir Zeuge, wie ein entfesseltes Finanzsystem Wirtschaft, Wohlstand und Gesellschaft gefährdet. Börsen spielen verrückt, Märkte geraten außer Kontrolle, Hedgefonds wetten gegen den Euro. Und die Politik? Wirkt hilflos und getrieben. Dabei hatten sich Politiker nach der Bankenkrise 2008 mit dem Ruf nach radikaler Zähmung der Finanzmärkte doch überboten. Aber wo sind die dringenden Reformen geblieben? Wo sind die Regeln, die das Spekulieren wirklich einschränken? Fehlanzeige. Stephan Stuchlik, Kim Otto und Andreas Orth haben sich auf die Suche nach den Gründen gemacht. Und fanden Lobbyisten, die einen echt guten Job gemacht haben.“

Das jährliche Treffen des International Institute of Finance. Das IIF ist die Lobbyvereinigung der mächtigsten Banken weltweit. Vorn dabei ihr Vorsitzender Josef Ackermann. Wer sich fragt, warum bei all den Finanzkrisen die Banken nicht mehr zur Kasse gebeten werden, warum sie nicht mehr reguliert werden, der muss diese Leute fragen. Banker in Feierlaune. Diese Herrschaften sind gut vernetzt, die Organisation hier hat ein Lobby-System entwickelt, das sich kaum noch perfektionieren lässt.

 

Beispiel eins: Die Kommission in Brüssel. Hier werden die europäischen Gesetze entworfen. Die Vorschläge für diese Gesetze erarbeiten Experten-Gruppen – sie sollten eigentlich unabhängig sein. Doch in den Experten-Gruppen sitzen beinahe ausschließlich Finanzlobbyisten. Ein Beispiel von vielen: In der Expertengruppe für die Bankenregulierung finden sich fast nur Vertreter eben dieser Banken.

 

Yiorgos Vassalos, NGO, Corporate Europe Observatory (Übersetzung MONITOR): „Die Kommission hat im Moment 260 Experten, die sie bei der Gesetzgebung am Finanzmarkt beraten sollen, die werden von der Kommission eingeladen. Nur, 200 von diesen 260 kommen direkt von der Finanzindustrie.“

 

Myriam vander Stichele, Mitglied Expertengruppe Bankwesen EU-Kommission (Übersetzung MONITOR): „Der Effekt dieser Art von Gesetzgebung ist, dass die Situation, die uns in die Krise geführt hat, zementiert wird. Die Finanzlobbyisten in diesen Expertengruppen haben den Gesetzgeber fest im Griff. Alles, was verabschiedet wird, nimmt große Rücksicht auf ihre Interessen.“

 

Ackermann und seine mächtige Weltbankenlobby IIF leisten ganze Arbeit. Sie verhindern erfolgreich schärfere Regeln für die Banken. In Brüssel haben sie offenbar großen Einfluss, nicht nur auf die Kommission, sondern auch auf die zweite wichtige Einrichtung: Das Parlament. Die Gesetzesvorlagen, die hier landen, sind sowieso schon bankenfreundlich. Hier wird darüber abgestimmt und nachpoliert. Da jeder der 736 Abgeordneten das Recht hat, Änderungsanträge zu stellen, bearbeitet die Bankenlobby auch jeden, der für die Finanzgesetzgebung zuständig ist. Selbst ihn: Sven Giegold von den GRÜNEN sitzt im Ausschuss für Wirtschaft und Finanzen, er wird bombardiert mit Vorschlägen.

 

Sven Giegold, EU-Abgeordneter, GRÜNE-Fraktion: „Die Finanzmarktlobbys sind absolut erfolgreich. Das sieht man daran, dass die Anträge, die sie einem vorformulieren und die sie mehr oder weniger an alle relevanten Abgeordneten schicken, tatsächlich im Gesetzgebungsverfahren landen. Sehr oft werden die entsprechenden Texte von Kollegen eingebracht und dann auch tatsächlich beraten.“

 

Nur ein Beispiel von vielen. Der Abgeordnete Burkhard Balz von der CDU hat mehrere Änderungsanträge eingereicht, die den Vorschlägen der Finanzindustrie gleichen. Hier die Belege: Die Finanzlobby schlägt vor, einen kompletten Artikel zu streichen, der soll übermäßige Spekulationen eindämmen. Auch Balz streicht diesen Artikel ersatzlos.

 

Reporter: „Wir haben ganz einfach verglichen, Ihre Änderungsanträge mit den Papieren in der Lobby-Organisation. Und da sieht man eigentlich, dass Sie die Vorschläge 1:1 übernommen haben, wenn Sie mal reingucken.

 

Burkhard Balz, EU-Abgeordneter, CDU: „Das kann eigentlich so in der Form nicht sein, und auch eigentlich nicht unbedingt so gewesen sein. Ich gucke mir, wie gesagt, viele Sachen an und schaue dann und entscheide dann letztendlich, was ich für Änderungsanträge einbringe.“

Reporter: „Ja, aber Sie übernehmen sogar den Originaltext. Und das ist von der Argumentation vollkommen identisch.“

 

Burkhard Balz, EU-Abgeordneter, CDU: „Ja, ja, das ist doch schön. Wenn andere Organisationen eine Meinung haben, und ich vielleicht zufällig auch mal diese Meinung habe.“

 

Reporter: „Ja, aber dann haben Sie …“

Burkhard Balz, EU-Abgeordneter, CDU: „Es spricht doch in keiner Weise etwas dagegen, wenn ich aufgrund meines beruflichen Hintergrundes dementsprechend und mit meiner Sachkenntnis hier Meinungen vertrete. Die können doch auch durchaus mal mit Institutionen aus der Finanzbranche übereinstimmen.“

 

Noch origineller ist die Erklärung des Abgeordneten Markus Ferber von der CSU. Nicht er habe die Vorschläge der Börsenlobby übernommen, sondern sie von ihm.

 

Markus Ferber, EU-Abgeordneter, CSU: „Hier ist von Seiten der Börsen ein Vorschlag unterbreitet worden, der sich mit meinen Überlegungen gedeckt hat. Dass das dann in ein Grundsatzpapier gewandert ist, das entzieht sich meiner Kenntnis, das habe ich auch erst später festgestellt.“

 

Das kann eigentlich nicht sein. Vom Dezember 2010 ist der Vorschlag des Börsenvereins, auf Englisch, ein entscheidender Absatz zur Einschränkung von Leerverkäufen soll entschärft werden. Fast wortgleich, auch auf Englisch, findet sich diese Passage bei Ferber, einen Monat später. Tatsachen – doch der Abgeordnete bleibt dabei, irgendwie habe man ihm seine Ideen geklaut.

 

Reporter: „Das verstehe ich nicht, Herr Ferber, wirklich nicht.“

 

Markus Ferber, EU-Abgeordneter, CSU: „Ja, aber wie soll ich es Ihnen noch sagen?“

 

Reporter: „Die machen ein Papier, die schlagen vor: soundso stellen wir uns das vor.“

Markus Ferber, EU-Abgeordneter, CSU: „Ich führe mit denen ein Gespräch, ich werde mit denen keins mehr führen, ja. Weil ich so eine – Entschuldigung – Verarschung auch nicht über mich ergehen lasse. Ich führe mit denen ein Gespräch, ich entwickele Ideen, wie man das Ganze machen könnte, die schreiben es in Positionspapiere. Meinen Sie, ich komme mir da toll vor?“

 

Ackermann und seine Großbankenlobby IIF haben in Brüssel Kommission und Parlament gut im Griff. Und für die Regierungschefs im Rat reist der Chef persönlich an. Wie beim großen Krisengipfel im Juli, das letzte Rettungspaket für den Euro. Nicht nur Angela Merkel hat erklärt, dass jetzt vor allem die Banken, die gut an Griechenland verdient haben, ihren Teil zur Rettung beisteuern müssten. Oberlobbyist Josef Ackermann darf bei diesem Ablasshandel mit am Tisch sitzen. Nach dem Treffen behauptet er, die Banken müssten schwer bluten.

Josef Ackermann, Vorsitzender IIF: „Ja, es trifft uns hart, das sind Abschreibungen von 21 %, die wir auf die Positionen nehmen, also auf die griechischen Positionen.“

 

Was Ackermann verschweigt: Der angebliche Verlust ist eigentlich ein großer Erfolg. MONITOR liegt das Papier seiner Lobbyorganisation IIF vor. Schon vor dem Gipfel hat sie genau diese 21 % als Wunschvorgabe festgelegt und schon einmal die technische Umsetzung ausgearbeitet. Vieles davon findet danach Eingang in die Schlusserklärung der Staats- und Regierungschefs. Dass sich die Finanzlobby derartig durchsetzen kann, geht sogar dem Chefökonom der Bundesregierung zu weit. Der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz hätte die „privaten Gläubiger“, also die Banken weit mehr zur Kasse gebeten.

Prof. Wolfgang Franz, Wirtschaftsweiser der Bundesregierung: „Der Sachverständigenrat hatte eine private Gläubigerbeteiligung in Höhe von etwa 50 % vorgeschlagen. Herausgekommen sind auf dem Brüsseler Gipfel 21 %, und die sind noch sehr vorteilhaft für die Finanzbranche gerechnet. Gemessen an den 21 % und unserer Forderung um 50 % Gläubigerbeteiligung ist die Finanzbranche sehr erfolgreich gewesen.“

 

Etwa 700 Finanzlobbyisten mit einem geschätzten Etat von 300 Millionen Euro üben in Brüssel Druck aus. Wenn sie weiterhin so viel Erfolg damit haben wie bisher, stellt das die gesamte europäische Idee in Frage.

Yiorgos Vassalos, NGO, Corporate Europe Observatory (Übersetzung MONITOR): „Was wir gerade erleben, ist, dass hier in Brüssel die Politik zunehmend von Leuten gemacht wird, die nicht gewählt sind, also etwa von der Finanzlobby. Es gibt immer mehr kleine Zirkel, die hier das Sagen haben. Das heißt, auf der einen Seite bekommt die Finanzindustrie einen Luxuszugang zur Politik, auf der anderen Seite verliert man hier den normalen Wähler mehr und mehr aus dem Blick. Der aber zahlt das alles. Wenn Sie das zusammen nehmen, wird das zu einer ernsthaften Bedrohung für die Demokratie.“

 

Inzwischen geht es um die grundsätzliche Frage, ob die Gesellschaft den Banken dienen soll oder aber die Banken der Gesellschaft.

Rubrik: Unkategorisiert

Bitte teilen!