Sven Giegold

taz: Im Steuersumpf Europas

PORTUGAL Sparen, sparen, sparen heißt Wolfgang Schäubles Devise für das Land. Maßnahmen gegen die Steuerflucht gibt es noch nicht.

 

Nachdem das portugiesische Verfassungsgericht vier von neun Bausteinen des Sparprogramms für unrechtmäßig erklärte, folgte reflexhaft eine Zurechtweisung aus Berlin. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble forderte, einfach neue Sparmaßnahmen zu beschließen.

Nach Schätzungen muss die portugiesische Regierung zwischen 900 Millionen und 1,3 Milliarden Euro einsparen, um die Kriterien der EU und des IWF für weitere Hilfszahlungen zu erfüllen. Auch die Europäische Kommission meldete sich zu Wort und forderte Portugal dazu auf, die „wichtigsten politischen Institutionen“ zu einem Konsens zu bewegen – ein Euphemismus dafür, das Verfassungsgericht unter Kontrolle zu bringen.

Steuern aufs Arbeitslosengeld

Dabei verwarfen die Verfassungsrichter zu Recht Sparreformen, die mit einer gerechten Lastenverteilung wenig zu tun haben. Laut den Richtern verletzt die Streichung des Urlaubs- und Weihnachtsgelds für Beamte und Rentner den Gleichheitsgrundsatz, da finanzielle Lasten nur bestimmten Bevölkerungsgruppen aufgebürdet würden.

Die Ungerechtigkeit der Sparprogramme ist aber noch weitgehender. Die Ausgabensenkungen treffen Leistungsempfänger und somit den ärmeren Teil der Bevölkerung besonders hart. Sie müssen auf Rentenzahlungen, Sozialleistungen, Kinder- und Krankengeld verzichten. Auch Steuererhöhungen, die darauf abzielen, Portugals Einnahmen aufzubessern, gehen einseitig zulasten von Arbeitnehmern mit niedrigen und mittleren Einkommen: Die vorm Verfassungsgericht gescheiterten Sparmaßnahmen sahen auch eine Steuer von sechs Prozent auf Arbeitslosenunterstützung und von fünf Prozent auf Gehaltszahlungen im Krankheitsfall vor.

Dagegen scheute sich die portugiesische Regierung davor, Maßnahmen für Steuergerechtigkeit zu beschließen. Denn noch immer erlaubt das europäische Steuersystem den Eliten, sich ihrer Verantwortung zu entziehen. Insbesondere Großunternehmen bietet sich eine breite Palette an Möglichkeiten, ihre Besteuerung in Portugal zu minimieren.

Zuletzt machte der Fall Jéronimo Martins (JM) Schlagzeile. Der portugiesische Handelskonzern wuchs in seiner 200-jährigen Geschichte von einem kleinen Krämerladen zum Betreiber von über 2.000 Supermärkten in Portugal. Im Jahr 2012 trat das Unternehmen die Flucht an. Teile seiner Geschäfte lagerte JM in eine niederländische Holding aus. In Holland wird zwar eine durschnittliche Körperschaftssteuer von 20 bis 25 Prozent erhoben, diese fällt aber nicht auf geistiges Eigentum an. So kann die niederländische Holding Lizenzgebühren von ihren Töchterunternehmen verlangen. Gebühren, die dann nicht mehr in Portugal versteuert werden müssen, sondern in Holland – und zwar zu praktisch null Prozent. Ein Fall von europäischem Steuerdumping.

Auf nach Holland

Der Fall JM steht beispielhaft für den portugiesischen Exodus. 17 der 20 größten börsennotierten Unternehmen in Portugal sind bereits in Holland registriert und umgehen so zumindest teilweise die Besteuerung im Heimatland. Und Portugal ist kein Einzelfall, sondern typisch für Großunternehmen in Europa. Und die Niederlande sind nur die größte Drehscheibe eines absurden Steuersystems, in dem sich europäische Länder auf die Steuerfreistellung verschiedener Einkommensarten spezialisieren. In den Niederlanden und Zypern kommt man als Holding in den Genuss von Vorteilen. Irland lockt mit niedrigen Körperschaftssteuern. In Österreich und Luxemburg schützt das Bankgeheimnis Privatpersonen.

1.000 Milliarden Euro Steuereinnahmen versinken nach Schätzungen jährlich in diesem Sumpf aus Steuerhinterziehung, aggressiver Steuervermeidung und Schwarzarbeit. Mehr als die öffentlichen Defizite aller EU-Länder zusammen. Geld, das in den Krisenstaaten dringend für den Abbau der Staatsverschuldung und für Investitionen gebraucht wird. Die portugiesische Regierung steht hier alleine auf verlorenem Posten. Es fehlt eine überstaatliche gesetzliche Grundlage, um auch der transnationalen Unternehmen habhaft werden zu können. Dafür braucht es einen europäischen Pakt, der eine effektive Mindestbesteuerung vorsieht.

Erste Maßnahmen dafür wurden ergriffen. Unter dem öffentlichen Druck der „Offshore-Leaks“-Debatte ließ die deutsche Regierung am Dienstag ihren Bekenntnissen zur Steuergerechtigkeit endlich Taten folgen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wandte sich zusammen mit den Finanzministern Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und Spaniens (G 5) an EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta. Darin bekannten sich die Finanzminister zum gegenseitigen automatischen Informationsaustausch von Steuerdaten nach US-Vorbild. Nach dem von ihm forcierten, auf Anonymität basierenden Steuerabkommen mit der Schweiz wandelt sich Schäuble hier vom Saulus zum Paulus.

Notwendige Einsparungen

Nun gilt es, konsequent nach diesem Bekenntnis zu handeln und die Verquickung eines ungerechten Steuersystems mit ungerechten Sparreformen ernst zu nehmen. Einsparungen und Strukturreformen sind sicherlich notwendig. Doch bislang sind sie sozial einseitig. Sie verlieren ihre Legitimation, wenn Großunternehmen und Vermögensbesitzer weiterhin von ihren Pflichten befreit bleiben.

Durch Schäubles Forderung, weitere Ausgabensenkungen vorzunehmen, muss sich die portugiesische Bevölkerung betrogen fühlen. Die Bundesregierung muss daher Steuerkooperation zum Thema ihrer Krisenpolitik machen. Die europaweite Versteuerung der Gewinne und deren gerechte Verteilung zwischen den EU-Staaten mittels automatischem Datenaustausches muss endlich eingeleitet werden. Dabei kommt es auf das Tempo an. Die soziale und ökonomische Situation in den südlichen Krisenländern verträgt kein weiteres Anziehen der Sparschraube und daher auch keine Verzögerung beim Einsammeln gerechter Mehreinnahmen aus Fluchtkapital. Statt den Zwingherren im Spardiktat zu spielen, sollte die Merkel-Regierung Steuerflucht endlich konsequent bekämpfen.

 

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